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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 28.1913-1914

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3. Heft
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Baumann, Felix: Chrysanthemen - Verehrung in Japan
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https://doi.org/10.11588/diglit.31172#0097

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Chrysanthemen-Verehrung in Japan

uli hat das Wort „Dangozaka“ verstanden. Vergnügt lächelnd legt er sich
ins Rickshageschirr und trabt mit mir von dannen. Der Weg erscheint
endlos, denn die Vorstadt Dangozaka, wo alljährlich die berühmte Tokioer
Chrysanthemum-Ausstellung stattfindet, ist hinter der Kaiserlichen Universität
gelegen.
Endlich kann ich mein zweirädriges Wägelchen wieder verlassen und mich
unter die Chrysanthemen-Besucher mischen. Ich hatte viel erwartet, sehr viel;
aber das, was sich meinen Blicken bot, setzte mich doch in Erstaunen. Tausende
und aber Tausende von Chrysanthemen in allen Größen und Farben, Hunderte von
Blüten an einem Strauch und last not least: eine Art „Panoptikum“ aus Chry-
santhemen. Hier ein historisches Ereignis, dort eine Tagesbegebenheit, alles
vollendet künstlerisch dargestellt aus Chrysanthemen. Die Wachsmaske des
Kapitäns Hiroze, der mit seinen Getreuen den Hafen von Port Arthur blockierte,
war vorzüglich wiedergegeben. Nicht weniger als 2000 Chrysanthemenstauden
hatte die Zusammenstellung dieser Szene erfordert. Auch das Antlitz des

Der Japaner selbst zählt das Chrysanthemum zu den vier „Herren des
Blumenreiches“. Nach seiner Ansicht verkörpert der „erste Herr des Blumen-
reiches“, die Pflaume — in Japan werden alle Obstblüten unter die Blumen
gerechnet —, die Kraft, weil sie im Lande der aufgehenden Sonne bereits am
Anfang des Jahres blüht und die erste Blüte ist, die dem Frost widersteht. Der
„zweite Herr“ ist die Orchidee, weil sie trotz ihres Gedeihens in unwirtlichen
Gegenden ihre „Grazie“ behält. Als „dritter Herr“ gilt der Bambus, in dem der
Japaner die Verkörperung eines unbeugsamen Willens sieht. Den „vierten
Herrn“, das Chrysanthemum, vergleicht man mit der Reinheit.
Der Dichter Kanesuke besingt das Chrysanthemum als „die Königin der
Blumen“, und Toshiyuki Ason vergleicht sie mit „Sternen am wolkenlosen
Himmel“. Die Frau des Ministers Hanazono apostrophiert den „vierten der
Herren im Blumenreiche“: Liebes Chryanthema! und bittet es, im Glanze seines
jetzigen Seins die Vergangenheit nicht zu vergessen — „als du noch ein be-
scheidenes Dasein an der Hecke führtest“.



Chrysanthemen-Ausstellung in Japan. Auch die Figuren bestehen aus Chrysanthemen.

Admirals Makaroff, der mit dem Schwerte in der Hand auf der Kommandobrücke
seines sinkenden Schiffes dargestellt war, konnte sofort erkannt werden. Der
Fremdling wird sich zuerst den Kopf zerbrechen, auf welche Weise die wunder-
baren Wirkungen der einzelnen Chrysanthemenbilder erzielt werden können.
Bis er erfährt, daß zuweilen Tausende von Stauden, deren Wurzeln sorgfältig
kaschiert sind, für ein einziges Bild zur Verwendung kommen. Einen herrlichen
Effekt erzielte auch ein Wasserfall aus weißen Chrysanthemen, der besonders
bei elektrischer Beleuchtung eine packende Wirkung hervorrief.
Die Chrysantheinen-Verehrung der Japaner geht in die Zeit des Kaisers
Godaigo zurück. Damals wurde das erste Chrysanthemenfest abgehalten, das
eine Fortsetzung bis auf den heutigen Tag gefunden hat. Alljährlich im Herbst
läßt das Kaiserpaar zahlreiche Einladungen ergehen, die die Gäste in den kaiser-
lichen Gärten versammeln. Infolge des Ablebens des Kaisers Mutsuhito unter-
blieb das Hof-Chrysanthemenfest im vergangenen Jahre; in diesem Jahre wird
jedoch das Fest mit besonderem Glanze gefeiert und mit einem großen Ilofball
verbunden werden.
Der verstorbene Kaiser hatte das Chrysanthemum zum Wappen erwählt,
um dadurch seine Liebe für das Volk zum Ausdruck zu bringen. In alten Zeiten
wurde das Chrysanthemum nämlich „Kukuri hana“, die Bindeblume, genannt!
weil die Blüten sich nach oben zu vereinen pflegen. So wollte sich auch der
Kaiser in die Herzen seiner Untertanen ranken.

Bei den früheren Festessen zu Ehren des Chrysanthemums wurde ein Gericht
aus Reis, Kastanien und Rosinen serviert und dazu Chrysanthemenwein getrunken,
d. h. Chrysanthemenblätter wurden in den Sake gestreut.
Das alljährlich stattfindende Chrysanthemenfest ist das letzte der fünf großen
japanischen Saisonfeste, die als „gosekku“ bezeichnet werden. Das erste wird
„Waka na no sechiye“ (das Fest der jungen Kräuter) oder „Nana kusa“ (Fest der
sieben Kräuter) genannt. Das zweite Saisonfest ist das „Hina Matsuri“, das
Puppenfest, das dritte Fest „Tango“ ist der männlichen Jugend geweiht, während
das vierte als „Tanabata“ oder „das Fest der Sternenhochzeit“ bezeichnet wird.
Das fünfte Fest, das Chrysanthemumfest, hat den Namen „Chöyö-no-sekku“ erhalten.
Die Chrysanthemenzucht ist in Japan heute eine wahre Manie geworden.
Einer sucht den andern an Prachtexemplaren zu überbieten, so daß schon
mancher infolgedessen einem finanziellen Ruin entgegengegangen ist. Einige
Chrysanthemengärten, wie die der Grafen Okuma und Sakai, sind Sehenswürdig-
keiten ersten Ranges. Es sollen in Tokio schon Chrysanthemenstauden mit
1272 Blüten gezeigt worden sein.
Unzählig smd die Namen, die den einzelnen Arten gegeben worden sind.
So gibt es eine „Blutprinzessin“, eine „Mondgefährtin“, eine „Welle in der
Morgensonne“, eine „Sommerwolke“, ein „Gefrorenes Mondlicht“ usw. Eine
entzückende Spezies, auf die ich aufmerksam gemacht wurde, trug die Bezeich-
nung „Fujischnee“.
 
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