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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 28.1913-1914

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5. Heft
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Zobeltitz, Fedor von: Das Dementi: eine Journalistengeschichte aus Ceylon
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https://doi.org/10.11588/diglit.31172#0152

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MODERNE KUNST.

63

Gärtchen raschle es zuweilen so bedenklich, daß eine Nachsuchung nach dem giftigen
Gewürm am Platze sein würde. Ich lachte über den Ausfall, der auch sonst noch
allerhand kleine Spitzen enthielt, und da ich mit dem Major Barry zu Ehren unserer
Jagdbeute eine Flasche Klaret geleert hatte, so beschloß ich, an diesem Abend früher
als sonst zu Bett zu gehen. Ich sagte schon, daß mein Schlafzimmerchen nach dem
Garten hinauslag, den ich sonst nie betrat; aber, weiß der Geyer, vielleicht gerade
infolge des Artikels der „Capital" lüstete es mich, vor dem Schlafengehen noch einen
Blick in meinen Dschungel zu werfen. Ich nahm also meine Windlampe und trat
hinaus, blieb jedoch auf den Steinstufen der Treppe stehen. Ich muß es sagen: ich
getraute mich nicht in diese kleine Wildnis hinein; ich hatte wahrhaftig Furcht, daß
ich eine Cobra aufstören könnte. Denn zweifellos hatte die „Capital" recht: in dem
Gewirr von Farrn und wilden Anemonen, zwischen Kalophyllen, Myrtaceen, Rododen-
dronbüscheln und Trichterwinden, in dem Geknäuel der Schlingpflanzen und riesigen
Bartflechten, die von abgestorbenen Baumästen herabhingen, konnte sich genug Ge-
würm verborgen halten, und vor diesen ekelhaften Reptilien empfand ich ungleich
mehr Scheu als vor Elefanten, Leoparden und Tigern. Ich hielt die Lampe hoch und
starrte in den grünbläulichen Dämmer des verwilderten Gartens hinein, aus dem mir
der scharfe Geruch der Eukalypten und Vanillesträucher entgegenschlug, und gestand
mir zu, daß es ganz zweckmäßig sein würde, wenn man hier einmal mit Scheere und
Rodehacke vorgehen wollte. Freilich hatte der Anblick seine malerischen Reize: es
war ein Stückchen Wunderland, ein Tropenwald en miniature, und da am Himmel
Wolkenfetzen hingen, die zeitweilig über den umdunsteten Mond strichen, so war auch
die Beleuchtung höchst eigenartig. Bildete ich es mir ein oder war es wirklich so: ich
hörte plötzlich ganz in meiner Nähe unter dem dichtgeschichteten welken Laub des
vorigen Sommers, das bis hoch auf die Treppenstufen hinaufklomm, ein unangenehmes
Rauschen und Rascheln — und machte, daß ich in mein Zimmer kam . . .
Sei es nun, daß der Klaret zu stark gewesen, sei es, daß die Erregungen der Jagd-
partie noch nachwirkten: jedenfalls schlief ich unruhig. Kennen Sie den Zustand
zwischen Schlummer und Halbschlaf, in dem man zu träumen glaubt und dabei zu-
gleich das sichere Empfinden hat, völlig wach zu sein? Ein höchst unbehaglicher
Zustand, so eine Art Starrsucht, aus der man sich gern losreißen möchte und es doch
nicht vermag, weil man wie mit unsichtbaren Klammern festgeschmiedet liegt . . .
Ähnlich so erging es mir in dieser Nacht; ich hatte die Augen geschlossen, fühlte
aber, daß ich wach war; ich wollte eigentlich weiterschlafen und hätte auch wieder
gern die Lider geöffnet, die gewisser-
maßen gewaltsam zugeriegelt waren.
Also kurz: mir war so zu Mute, als
seien alle Lebensbedingungen wie
in der Katalepsie aufgehoben. Ich
vermochte mich nicht zu rühren,
doch schärften sich meine Sinne von
Minute zu Minute mehr. Und von
Minute zu Minute stieg ein Gefühl
des Grauens in mir; ich spürte, daß
etwas Unheimliches um mich vor-
ging; ich hatte das klare Bewußt-
sein einer nahenden Gräßlichkeit —
es regte sich neben meinem Bette —
ja, da regte sich — was? ich wußte
nicht, was — doch mir war, als setze
plötzlich mein Herzschlag aus und
als gerinne mein Blut zu Eis . . .
Das Grauen kam näher und wuchs
und wuchs — eine unsichtbare Ge-
walt, gegen die ich mich nicht
wehren konnte ... Es schien mir,
als rankten sich schleimige Polypen-
arme um meine Glieder und fesselten
mich an das Bette, als neige sich
ein schauderhaftes Gorgonenhaupt
dicht über mein Gesicht und wehe
ein scheußlicher Odem mich an . . .
und da schlug ich auf einmal die
Augen auf — und schloß sie wieder
voller Entsetzen . . .
Jetzt wagte ich kaum noch zu
atmen. Ich fragte mich, ob ich wirk-
lich wach sei oder nur träume. Aber
nein, ich schlief längst nicht mehr.
Ich dachte logisch und folgerichtig
und nahm nun allen meinen Mut
zusammen und öffnete die Augen
langsam noch einmal. Langsam, be-
ginnend mit einem Blinzeln, und
dann muß ich sie gewaltsam aufge-
rissen haben . . Da sah ich nun
dicht neben meinem Bette eine große
Schlange. Ich sah sie ganz deutlich,
denn die vermorschte Holzjalousie

vor meinem Fenster ließ sich nicht mehr völlig schließen, und durch alle Fugen
quoll das Mondlicht. Es war eine Brillenschlange, sicher weit über einen Meter lang,
bräunlichgelb mit schmutzig weißem Schwänze, und sie mußte sich in starker Reizung
befinden, denn sie hatte den schleimigen Körper starr aufgerichtet und den Hals wie
eine Scheibe gebläht. Der gespaltene Rachen war nur halb geöffnet, ihre Zunge
zischte hin und her, und der Kopf wiegte sich fast rhytmisch von einer zur andern
Seite, die Augen glitzerten, und ich unterschied deutlich auf dem dunkel getüpfelten
dicken Hals die brillenähnliche Zeichnung . . . Ich rührte mich nicht. Ich war nicht
geübt im Umgang mit giftigen Reptilen, aber mir fiel ein einmal gehört zu haben,
daß die Brillennatter niemals zuerst den Menschen angreife, daß ihr Biß freilich fast
immer tödlich wirke. So lag ich also ganz still. Ich zweifelte nicht daran, daß das
Biest sich aus dem Garten in das Zimmer geschlichen hatte; vielleicht hatte es bisher
ruhig unter meinem Bette gelegen und war nun durch den Mondschein gelockt
worden oder durch eine Ratte oder ein verflogenes Vögelchen ... Ich rührte mich
nicht. Ich hoffte, die Schlange würde sich beruhigen und sich wieder zusammen-
ringeln; dann wollte ich den Revolver nehmen, der immer auf meinem Nächtlich lag,
und ihr eine Kugel in den Kopf feuern
Dieser Vorsatz gab mir eine gewisse Sicherheit — wenigstens schwand das erste
Empfinden tiefen Grauens. Aber nun denken Sie, daß ich plötzlich in einer Ecke
meines Zimmers ein raschelndes und kriechendes Geräusch vernahm. Ich wandte den
Kopf vorsichtig ein wenig zur Seite und starrte in das Dunkel hinein, denn der
Glanz des Mondes vermochte nicht das ganze Gemach zu erhellen. In dem tief
durchschatteten Winkel zwischen Tür und Kleiderspind regte sich ein dicker schwarzer
Klumpen. Das war die sinnfällige Verkörperung des ekelhaften Traumbildes von
vorhin: es sah aus, als hocke da ein polypenhaftes Ungeheuer mit sich krümmenden
Fangarmen, die weit in die Luft griffen und von einem runden dunklen Körper
auszugehen schienen. Und auf einmal hörte ich eine heisere Stimme. Ich hörte
weiß Gott bei vollem Mondschein die Schlange an meinem Bette sprechen.
Sie sagte: „Ich bin das Dementi. Ich bin die Wahrheit. Ich habe auch noch
Zeugen bei mir . . .“ So sprach sie in einem heiser rollenden Tone und in sehr
schlechtem Englisch. Und im selben Augenblick zischte und schnellte es über die
roten Ziegeln des Fußpodens, über die Kokosmatte vor meinem Bette, bäumte sich
auf — und nun standen drei Schlangen vor mir, steif wie Pfähle, aber mit ruhelosen
Köpfen und geifernden Zungen Jetzt wußte ich Bescheid. Eine Schlange kann
nicht sprechen. Ich träumte auch
nicht. Ich übersah das Gescheh-
nis. Zwischen Tür und Kleiderspind
kauerte noch immer eine schwarze
Masse. Das war ein Mensch, dem
die Schlangen gehörten — und diese
Canaille sprach. Sprach weiter in
seinem Bauchrednerton und seinem
verdammten Pidgin-Englisch: „Willst
du gestehen, daß es hier von Schlan-
gen wimmelt?“ . . . Ich antwortete
natürlich nicht, ich hielt gefälligst
den Mund — und da kroch und
rollte sich die schwarze Masse nä-
her, und die geheimnisvolle Stimme
wurde dringlicher: „Schwöre, daß
du in der nächsten Nummer deiner
Zeitung alle Nachrichten der „Capi-
tal“ bestätigen willst — schwöre, oder
meine Schlangen legen sich neben
dich“ . . . und da entringelten sich
die gräulichen Biester ihrer Starrheit,
und ihre Körper wurden geschmei-
dig, und eine der Vipern ringelte
sich langsam auf meine Bettdecke.
Nun stieß ich einen Schrei aus und
ein stöhnendes „Ich schwöre" . . .
Lieber Freund, ich konnte nicht
anders. Sie werden mir sagen, ich
sei feige gewesen. Aber in diesem
Augenblick siegte nicht das Bewußt-
sein, daß ich in der Gewalt eines
Menschen war, sondern lediglich
meine Idiosynkrasie gegen dies
fürchterliche Geziefer. Sofort wichen
denn auch die Schlangen zurück.
Und nun war der Bann gebrochen,
und die Besonnenheit kehrte zurück.
Eine fürchterliche Wut packte mich.
Ich sah den schwarzen Kerl vor mir
am Boden kauern; er hatte einen
Sack geöffnet und ließ seine Schlan-
gen hineinschlüpfen. Da tastete ich
rasch auf meinen Nachttisch; ich
wollte nach meinem Revolver greifen


Gustav Eberlein: Argentinischer Freiheitsheld Monte Agudo.
Kolossalstandbild in Bronze für Buenos Aires,
 
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