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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 28.1913-1914

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6. Heft
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Buss, Georg: Berliner Rembrandts in der Ermitage zu St. Petersburg
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Unsere Bilder
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https://doi.org/10.11588/diglit.31172#0185

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76

Berliner Kembrandfs in der Ermitage zu 5t "Petersburg.
Von Georg Buß.
[Nachdruckverboten.]

berühmte Gemäldegalerie der Ermitage in St. Petersburg, eine der
größten und bedeutendsten Bildersammlungen Europas, blickt in diesem
Jahre auf ihr hundertundfünfzigjähriges Bestehen zurück. Ihre Gründung
geschah 1763 durch Katharina II., die zwei Jahre zuvor als Kaiserin den
russischen Thron bestiegen hatte und eifrig bemüht war, ihrer Residenz den
Glanz westlicher Kultur zu verleihen. Die Galerie wurde von der Kaiserin er-
öffnet mit Gemälden, die aus — Berlin stammten. Es befanden sich darunter
einige sehr wertvolle Bilder, auch Rembrandts, daher es im höchsten Grade be-
klagenswert ist, daß sich damals in Spreeathen niemand bewogen fand, die
Überführung dieses Kunstschatzes nach St. Petersburg zu verhindern.
Der Verlust der Bilder hängt zeitlich mit dem durch Friedrich den Großen
erfolgten Ankauf der von dem Kaufmann und Fabrikanten Johann Ernst
Gotzkowsky 1761 begründeten Berliner Porzellanmanufaktur zusammen. Die
Manufaktur wurde vom König am 8. September 1763 mit 225 000 Taler bezahlt
und durch Umwandlung in ein königliches Institut auf eine sichere Basis ge-
stellt, auf der sie alsbald eine Musterstätte keramischer Kunst werden und bis
auf den heutigen Tag bleiben konnte. An Gotzkowsky lag es, daß die Bilder
aus Berlin nach St. Petersburg entführt wurden. Ein eigenartiger Handel spann
sich dabei ab, der ein Lächeln entlocken könnte, wenn es sich nicht um einen
gar zu schmerzhaften Verlust für den Berliner Kunstbesitz handelte.
Der unternehmungslustige Geschäftsmann war durch mißglückte Spekula-
tionen in finanzielle Bedrängnis geraten. Zu seinen Verbindlichkeiten gehörte
eine Summe von mehr als Zweimalhunderttausend Taler, die er dem Hofe in
St. Petersburg schuldete. Er hatte aus russischen Magazinen ein großes Quantum
Getreide bezogen, in der Absicht, einer infolge des Krieges drohenden Hungers-
not rechtzeitig und wohl auch mit einigem Profit vorzubeugen. Aber er konnte
das Getreide wider Erwarten wegen schlechter Beschaffenheit nur schwer los
werden. Gleichwohl wurde er von St. Petersburg aus energisch um Bezahlung ge-
drängt. Seine Lage war peinlich. Erst nach dem günstigen Verkauf der Por-
zellanmanufäktur, deren wirklicher Wert samt allen Vorräten kaum dem dritten
Teil der von Friedrich dem Großen gezahlten Summe entsprach, konnte er den
unangenehmen Gläubiger befriedigen, und zwar auf Grund eines Vergleichs, laut
dessen er 30000 Taler bar zahlte und den Rest der Schuldsumme im Betrage von
180000 Taler mit — Bildern beglich. Eine Anzahl dieser Bilder war für Friedrich
den Großen bestimmt gewesen, aber von diesem wegen der durch den Sieben-
jährigen Krieg veranlaßten gewaltigen Ausgaben nicht abgenommen worden.
So waren denn im Flerbste 1763 nicht weniger als 317 Bilder aus Berlin
nach St. Petersburg gewandert, allerdings nicht durchweg Meisterwerke, sondern
in der Mehrzahl Mittelgut — eine Tatsache, die darauf schließen läßt, daß
(Inscrc
tn die Zeiten Napoleons führt das Gemälde der Vigee-Lebrun zurück, der
Porträtistin der damaligen vornehmen Welt, in der die Grazie des Rokoko
nachschwang. Ihr Bild stellt die Gattin des fuchshaft-schlauen Staatsmannes
Talleyrand dar, eines ehemaligen Priesters, dessen Dienste Napoleon so lange
galten, als sein Stern hoch stand. Abenteuerlich, wie Talleyrands Lebensgang,
war auch der seiner Frau, einer Indierin, die er in Hamburg kennen gelernt
hatte und nach Paris mit sich nahm. Als Napoleon erster Konsul wurde, wollte
er das Ärgernis im Hause seines Günstlings beseitigt sehen, und vermochte den
Papst, Talleyrand seiner Priesterweihen zu entkleiden. Wie mancher Abenteurer
zu den Zeiten der französischen Revolution und in den nachfolgenden Jahrzehnten
hat auch diese bildschöne Indierin, welche die Vigde-Lebrun in kokett-schmach-
tender Haltung darstellt, einen hohen Aufstieg — bis zur Herzogin Talleyrand-
Perigord genommen. # :i.
„Waldinneres“ ist das Gemälde Jean Francois Millets zubenannt, das
unter hohen dichten Bäumen einen Bauern zeigt, der sein Bündel trocknes Holz
nach Hause trägt. Auch Millet hat noch an die alte Kultur des Rokoko angeknüpft,
indem er nach dem Vorbilde Watteaus, Bouchers usw. biblische und mytholo-
gische Szenen malte. Seine Eigenart aber fand dieser vortreffliche, heut aufs
höchste geschätzte Künstler, dessen Werke wie z. B. das „Angelus“ jetzt in zahl-
losen Reproduktionen verbreitet sind, durch die Wiedergabe des Bauernlebens mit
seiner Mühe und Arbeit. * ...
Die ganze Farbenfülle des sonnigen Südens und die heitere Genußfreudigkeit
des Roms der Kaiser atmet A. H. Rothaugs Bild „Villen am Sarnus“, an
dessen Ufern reiche Römer ihre köstlichen Landhäuser errichtet hatten. Der
Sarnus ist ein kleines Flüßchen, das unweit des modernen, dem Reisenden, der
von Neapel aus Sorrent erreichen will, wohlbekannten Städtchens Castellamare
in den Golf von Neapel mündet. Das herrliche Campanien war schon bei den

Gotzkowsky nicht unterlassen hat, für das schäbige Getreide, mit dem er hinein-
gelegt war, eine gewisse Revanche zu nehmen.
Allzu vieler Kunstkenner konnte sich St. Petersburg damals nicht rühmen,
daher mehr die Quantität und die untergeschobenen Namen als die Qualität
imponierte. Selbst der Graf Ernst Gustav Münnich und der Kammerherr
von Betzkoi, Präsident der Kaiserlichen Akademie der Künste und Oberdirektor
des Baukontors aller kaiserlichen Paläste und Gärten, denen beiden großes
Kunstverständnis zugeschrieben wurde, können gegenüber der maßgebenden
modernen Kritik nicht standhalten. Zwar besaß die Kaiserliche Galerie schon
im Jahre 1774 laut ihres damals erschienenen ersten Katalogs 2080 Ölgemälde
und 77 Gemälde in Miniatur, Schmelz- und Wasserfarben, aber es befanden sich
darunter zahlreiche, die schlankweg auf einen großen Meister getauft waren und
diesem, wenn er sie gesehen, wahrscheinlich ein gewisses Grauen eingeflößt hätten.
Der kritischen Ausmusterung fiel allmählich auch eine große Anzahl der
Gotzkowskyschen Bilder zum Opfer. Heute weist die Galerie der Ermitage
nur noch 20 dieser Herkunft auf. Es sind allerdings Werke hervorragenden
Ranges, darunter die Frau des Potiphar, der Unglaube des Thomas und der
Türke von Rembrandt, die Taufe Jesu und Adam und Eva von H. Goltzius, das
Bildnis eines Offiziers von F. Bol, ein Männer- und ein Frauenbildnis von
Fr. Pourbus, das Gleichnis vom Arbeiter im Weinberge des Herrn von S. Köninck,
die Abreise der Hagar von W. van Mieris, sowie solche von M. Bloem, H. van
der Neer, Fr. de Moucheron, J. van Penne, J. Steen, L. Carracci, Bon de Boullogne
und J. F. Courtin.
Von den drei Rembrandts stimmt die 1654 oder 1655 gemalte Frau des
Potiphar fast völlig mit dem gleichnamigen Bilde der Berliner Galerie überein.
Das leuchtkräftige kleine Bild vom Unglauben des Thomas stammt aus dem
Jahre 1634, also aus Rembrandts Sturm- und Drangperiode, und der prächtige
Türke, bei dem die Jahreszahl fehlt, nach Bodes Annahme aus der Zeit um
1633. Heute werden die Rembrandts mit Hunderttausenden bezahlt, aber anders
vor hundertundfünfzig Jahren: die Frau des Potiphar ergab im Jahre 1760 bei
der Versteigerung Hoet im Haag nur 100 Florin und der Unglaube des Thomas
1763 bei der Versteigerung der Sammlung des Ph. van Dyck ebendaselbst sogar
nur 177a Florin.
Es ist anzunehmen, daß Gotzkowsky auch die übrigen Bilder billig erworben
hat. Zweifellos hat er mit deren Abtretung für 180 000 Taler ein gutes Geschäft
gemacht. Trotz allem Mittelgut sind schließlich noch besser die Petersburger
gefahren, denn allein die drei Rembrandts dürften heute einen materiellen Wert von
mindestens einer Million Mark darstellen. Schade, daß Berlin dieses Schatzes ver-
lustig gegangen ist.
JStlder. =<3^
Römern als Landaufenthalt ungemein beliebt, in von prächtigen Gärten umgebene,
von griechischen Marmorstatuen geschmückte Villen, pflegte man sich hierher
von Rom aus zurückzuziehen, um im Anblick des gewaltigen und nimmer
ruhenden Vesuv ein Leben der Freude und des Genusses zu führen, von dem
Horaz sang: „Beatus ille qui procul negotiis“ . . . Für uns Deutsche knüpft
sich eine alte, aber traurige Erinnerung an den Fluß und das Tal. In der Mitte
des 6. Jahrhunderts wurde hier der Untergang eines der größten und bedeutendsten
der germanischen Volksstämme besiegelt. Im Tale des Sarnus kämpfte der
Ostgotenkönig Teja jene letzte verzweifelte Schlacht gegen die Soldtruppen des
Narses, die Justinian aus Byzanz zur Vernichtung des Ostgotenreichs auf italieni-
schen Boden gesandt hatte. Als die „Schlacht am Vesuv“ lebt sie in der
Geschichte der Völker fort. * ...
*
Aus Wagners Parsifal, der den Malern und Zeichnern so häufig Motive für
ihr Schaffen geboten hat, ist auch Wilmshursts „KundrysTod“ entnommen.
Vor Parsifal, der den Gral erhoben in seinen Händen hält, sinkt Kundry
zusammen. So findet die unheilige Gralsbotin, die zwischen Sinnenlust und
Seelenfrieden wie jeder sündige Mensch schwankt, ihre Erlösung.
* *
*
In gleicher Weise Marinebilder, und doch stark voneinander unterschieden
sind Christian Krohgs „Lotse“ und Martin Schönes „Vollmondzauber“. Der
Norweger Krohg stellt den Seemann bei stürmischem Wellengang dar, während
sich sein Kopf aus dem Schiffe erheht und von dem Meeresgebrause als selbst-
verständlichem Hintergründe umgeben ist. Der kräftige Realismus, der das
Schaffen des Künstlers kennzeichnet, spricht auch aus diesem Gemälde. Martin
Schöne zeigt uns dagegen den Kanal in der Nähe der Küste, während der
Vollmondzauber über dem Wasser die Seefahrt fast zu einem Märchen macht.
Hell erleuchtet liegt die schillernde Wasserbahn, und die lichtstrahlenden Fenster
der Häuser wirken fast wie eine festliche Illumination.
 
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