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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 28.1913-1914

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7. Heft
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Otto, Friedrich: Fliegerabenteuer
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https://doi.org/10.11588/diglit.31172#0207

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84

^ Fliegerabenfeuer.
Von Friedrich Otto, Berlin.

ni und reich an Abenteuern ist das Leben in den Lüften geworden.
Flugzeuge fliegen auf dem Kopf eben so sicher wie mit den Rädern
:h unten.
Pegoud überschlägt sich viermal und landet glatt.
Chanteloup läßt seinen Apparat seitlich umkippen und begeht damit eine tech-
nische Sünde, auf der sonst der Tod steht, aber sie tut ihm nichts.
Bider, ein Jüngling noch, fliegt über das Berner Oberland in 4000 m Höhe von
Bern nach Mailand und zurück.
Vedrines kämpft beim Flug Paris—Madrid über den Pyrenäen mit einem zornigen
Adlerpaar.
Didier fliegt als mexikanisch-freiwilliger Rebell über die Staatstruppen und tötet
während des Gefechts von Oriz Hunderte. Er bringt durch Bomben ein Torpedoboot
zum Sinken und zwingt die Flotte zur schleunigen Flucht von dem blockierten Hafen
weg in die offene See.
Der junge Deutschargentinier Mario Scherff macht den längsten Kriegsflug,
indem er vier Stunden lang in türkischen Diensten weit über die Tschataldschalinie
hinausfliegt.
Fourny fliegt 23 Tage lang hintereinander über 700 km, insgesamt 16000 km,
halb um die Welt.
Eine deutsche Kuh ist über den Anblick des auf ihrer sanften Weide mit Ratter-
geknatter landenden Brindejonc derart erschrocken, daß sie einem Kälbchen zu früh
das Leben gibt, was den Flieger 200 Mark kostet.
Perreyon fliegt zu Buc bis dicht an 6000 m empor.
Der Bulgare Tropatscheff wird über Mustafa Pascha von zehn Kugeln aus der
Luft ins kühle Grab geholt.
Eine Tabakfabrik in Newcastle versorgt ihre Kunden auf den nahen umliegenden
Inseln zweimal in der Woche auf dem Luftwege mit Tabak.
Leutnant von Egan-Krieger reitet in Magdeburg zum Siege, eilt ins Flugzeug,
fliegt nach Berlin, stürzt aufs Pferd und reitet wieder zum Siege.
Amundsen, der Südpolentdecker, lernt das Fliegen, um den Nordpol im Fluge
zu erreichen.
Garros fliegt in 61/-2 Stunden von Frankreich nach Afrika.
Prevost braust mit 204 Kilometer Stundengeschwindigkeit über das Flugfeld
von Reims.
Brindejonc fliegt in 9 Stunden von Paris nach Warschau.
Das sind heitere und ernste Ereignisse in Hülle und Fülle. Darf man sich da
wundern, daß die Flieger nun mancherlei zu erzählen haben, von seltsamen nie zuvor
erlebten Stimmungen. Von Wundern über Wundern. Von Angst und Grauen, von
Lust und Entzücken. Wie die Märchen aus 1001 Nacht, technische Märchen, hört
sich manches an, was diese Flieger aus dem Luftraum zu erzählen wissen.
Lassen wir sie selber reden.
Der erste mit dem Leben davonkommende „Kopfflieger" war der französische
Leutnant Morel, der während eines Gleitfluges von einer Bö in der Luft mit seinem
Eindecker umgedreht wurde. Es vergingen angstvolle Sekunden, die dem Flieger wie
Flwigkeiten erschienen, und während deren der Apparat seinen seltsamen Flug unent-
wegt fortsetzte. Der Leutnant sah plötzlich die Mosel unter sich und er hoffte, daß
seine Maschine jetzt stürzen würde. Denn dann hätte er wenigstens noch etwas Aus-
sicht gehabt, mit dem Leben davonzukommen. Das launische Flugzeug überflog
jedoch das silberne Band der Mosel in ungefähr 100 m Höhe, und der Flieger sah
jetzt die Erde mit ungeheurer Geschwindigkeit näher kommen. Wenn er bis dahin
noch immer gehofft hatte, der Apparat werde wieder in seine natürliche Lage zurück-
kommen, so mußte er jetzt, als er sich nur noch wenige Meter über der Erde befand,
diese Hoffnung vollständig aufgeben und er bereitete sich deshalb, so gut es ging, für
das Auftreffen auf den Boden vor. Er verkroch sich soweit als möglich in seiner
Karosserie und erwartete dann den Sturz. Durch einen glücklichen Zufall trafen die
Tragflächen zuerst auf den Boden auf, und der Sturz wurde ziemlich gemildert. Der
Leutnant kam ohne jede Verletzung davon, während der Apparat zertrümmert war.
Pegoud, der diese Kopfflüge ganz kunstgerecht ausführt, hat, wenn man dem
Schelm glauben darf, eine wesentlich andere Empfindung, wenn er auf dem Kopf
fliegt. Das austräufelnde Benzin wurde durch den Propeller über den nach unten
hängenden Kopf Pegouds zerstäubt, so daß der Flieger sich wie bei seinem „Friseur"
fühlte.
Der deutsche Flieger Roth erzählt über einen äußerst gefährlichen Sturmflug
in Ost- und Westpreußen:
„Wir nahmen nach unserem Start in Mensguth direkten Kurs über die linke Ecke
des in der Nähe von Mensguth liegenden Waldes und sahen, als wir höher kamen,
schon die über der Allensteiner Gegend aufsteigende Gewitterwand. Das ließ uns
Böses befürchten. Allein wir schraubten uns immer höher, bis auf 500 m. Ungefähr
nach zehn Minuten flotter Fahrt gerieten wir zum ersten Male in die Wetterböen, die
uns aus 500 m jäh auf 200 m herabwarfen, von da weiter auf 100 m, ja sogar bis auf
10 m über der Erde. Die Böen spielten mit uns Fangball. Einmal drehten wir uns
beinahe um die eigene Achse. Mein Begleiter, Leutnant Böckmann, rutschte bei dem
schnellen und wiederholten Fallen aus 500 m Höhe von seinem Sitz heraus, und ich

[Nachdruck verboten.]
sah ihn von da ab nur noch in der Luft. Einmal passierte es ihm sogar, daß er mit
seinem Sturzhelm an den Benzinbehälter stieß. Da rief ich mit aller Kraft, zu der
meine Lunge ausreichte: „festhalten!" Ich selbst ließ später bei einem ähnlichen Sturz
die Steuerung los, um mich festzuhalten. Einmal standen wir geradezu Kopf in der
Luft bei 1700 Touren, trotzdem der Motor sonst nur 1300 Touren macht. Wir kamen
aber glücklich wieder ins Gleichgewicht. Bei einer anderen Bö, die uns ganz plötz-
lich überfiel, gingen die Leimungen am Schwanzstoff auseinander und waren nur noch
Fetzen. Glücklich gelangten wir schließlich über Allenstein an. Unser Apparat
schwankte über dem Flugplatz hin und her. Endlich gelang es uns aber doch, mit
vollem Motor den Apparat herunterzudrücken. Im letzten Moment gab ich Kurz-
schluß und zitternd stand unser wackerer Eindecker auf dem Boden, genau vor dem
Flugschuppen."
Oberleutnant Bier hat, von Wolken verdeckt und von niemand gesehen, eines
Tages einen schweren Kampf auf Leben und Tod über Berlin ausfechten müssen. Er
schildert die Schreckensszene wie folgt:
„Es war 1 Uhr mittags. Wohl zogen schwere Wolken am Himmel auf, die Sonne
brannte stechend. Allein wir dachten, so gar arg werde es nicht sein! Also den
Motor angeworfen und los ging’s! In einer Runde hatten wir 500 m Höhe erreicht,
und von leichten Böen geschaukelt nahmen wir Richtung über Berlin. Noch waren
wir kaum mehr als einige Minuten unterwegs, da verschwand die Sonne. Vor uns
türmten sich schwarze Wolkenberge. Und in wenigen Augenblicken waren wir mitten
drin in den Gewitterwolken. Um mich wogte und wallte es, mein Passagier vor mir
war verschwunden, ich sah weder die Flügelspitzen meines Apparats, noch die Steuer.
Es war, als schwebte ich mit meinem Sitze ganz allein mitten in Wolken und Nebel.
Ich wußte nur das eine: tief unter mir lag das Häusermeer von Berlin. Ich stieg
höher und höher, mein Höhenmesser zeigte 1200, 1400, schließlich 1600 m, und noch
immer war ich mitten in den Wolken, die sich noch hoch hinauf fortsetzten. Hie und
da gewährte ein Wolkenspalt für einen kurzen Moment einen Ausblick auf die düster
daliegenden Häuser von Berlin. Ich sah absolut nichts, mechanisch handhabte ich die
Steuer. Wo ich war, wohin mein Flug ging, wußte ich nicht. Von einer Orientierung
keine Spur. Mit meinem Begleiter konnte ich mich auch nicht verständigen, denn ich
sah ihn nicht. Dazu rollte der Donner, mein Motor gebärdete sich wie toll, setzte
bald ganz aus, um gleich darauf in wahnsinniger Tourenzahl durchzugehen, Böen von
der Vehemenz eines Orkans schleuderten uns umher, als wäre der schwere Apparat
eine Feder. Die Maschine stampfte und rollte, daß ich Mühe hatte, mich festzuhalten.
Bald warf es uns um 100 m hinauf, bald wieder sausten wir ebenso tief hinab. Der
Zeiger des Höhenmessers tanzte hin und her, und einmal flog ich hoch aus dem
Sitz in die Höhe.
Ich glaubte meinen letzten Augenblick gekommen. Meine Nerven waren auf das
höchste angespannt, meine Kraft förmlich auf das Zehnfache gesteigert. Lange konnte
es so nicht w'eitergehen. Da erblickte ich plötzlich durch einen Wolkenspalt — ein
Feld! Also hinab, hinab, das war die Rettung! Es war der Teltower Flugplatz. Als
wir, Leutnant Stoll und ich, abstiegen, sahen wir einander einen Augenblick lang mit
steinernen Mienen an, dann reichten wir einander stumm die Hand. Jetzt, wo wir
glücklich in Sicherheit waren, kam uns erst die ungeheure Gefahr, in der wir ge-
schwebt hatten, voll zu Bewußtsein. Es war wohl nur ein Haar, an dem unser Leben
gehangen hatte, und lange waren wir keines Wortes mächtig. Alle Seile, die auf mehr
als 3000 kg Festigkeit geprüft waren, hingen schlaff herab und mußten nachgespannt
werden."
Lange, peinigende Stunden hatte Garros, der vor einiger Zeit in ö'/a Stunden
von Frankreich nach Tunis flog, durchzumachen. Er berichtet: „Als ich die Küste
Sardiniens hinter mir gelassen hatte, begann der unangenehmste Teil meiner Reise,
denn ich war im Zweifel, ob ich mit meinem Benzinstoff reichen würde. Ich hatte
nur noch 20 Liter Benzin. Sardiniens Küste lag 110 km hinter mir, die gleiche Ent-
fernung trennte mich von der afrikanischen Küste. Eine Umkehr hätte also für mich
gar keinen Zweck gehabt. Weiter, nur weiter, hieß es für mich. Nirgends mehr
Land in Sicht. Das Meer vom Nebel verhüllt. Ich steige auf 2800 m Höhe, keine
Küste läßt sich sehen, und eine stechende Angst ergreift mich. Ich fliege. Vor mir
das Unbekannte, und die brennende Sonne im Süden. Ich werde das Opfer von
Einbildungen. Immer wieder sehe ich die Küste, wo keine ist. Durch einen Nebel-
riß entdecke ich Torpedoboote. Beinahe wären diese Schiffe daran schuld gewesen,
daß ich mein Ziel verfehlt hätte. Denn als ich mit abgestelltem Motor hinunter-
klettere, um mich den Seeleuten erkenntlich zu machen, springt der Motor nicht an,
ein Ventil arbeitet unter der zu starken Wirkung der Zentrifugalkraft nicht mehr mit.
Ein Angstschauer läuft mir über den Körper, doch siehe, der Motor brummt wieder
los, und in nur 100 m über dem Meer eile ich weiter. Endlich taucht die Küste
empor, und mit nur 5 Litern Benzin erreiche ich glücklich Afrika."
Der junge Brindejonc des Moulinais, der durch seinen Europaflug (Paris-
Berlin -Warschau - Petersburg -Reval -Stockholm-Kopenhagen-Hamburg-Brüssel-Paris) be-
rühmt geworden ist, hat viele Leiden auf seinen Flügen erdulden müssen und denkt
von dem Flugzeug als touristisches Reisemittel pessimistisch. Er klagt: „Zu den
Unannehmlichkeiten des Fliegers gehört es meiner Meinung nach, daß die Kleider
allen Vorsichtsmaßregeln zum Trotz von dem umherspritzenden Öl beschmutzt werden..
 
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