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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 28.1913-1914

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7. Heft
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Loeb, M.: Die Winternacht der Berge
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https://doi.org/10.11588/diglit.31172#0211

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MODERNE KUNST.


diese Welt der Eisriesen bis auf den heutigen Tag dem Menschen verschlossen;
hier hält der Winter unerbittlich strenge Wacht — hier ist die Natur so unermeß-
lich groß, weil keines Menschen Wagemut daran denken kann, sie zu bezwingen.
Und doch — wer aus des Alltags Niederungen sich zu erheben wünscht,
wer alle irdischen Schlacken einmal abzustreichen den Drang verspürt, vermag
sich nicht besser von allem Erdenballast zu befreien, als daß er zur Mitwinter-
zeit, wenn die Weihnachtsglocken festtägliche Rast und Friede auf Erden künden,
auf die Berge steigt. Er braucht die Schritte nicht bis in die Region des ewigen
Eises zu lenken, wo ihm die Winterwacht der Berge mit Lawinentosen ein
donnerndes Halt entgegenruft; er muß sich nur bis in jene Höhen erheben, in
denen monatelang ein dichtes Schneekleid die grünen Almen und Hänge deckt,
in denen die Felsen von einem Eispanzer umgürtet, die Tannenwälder von Rauh-
reif zu einem glitzernden Märchenschlosse umgewandelt sind; in denen die
Bäume ihre weißverzuckerten Aste grotesk und bizarr wie die Arme eines
fabelhaften Getiers emporstrecken; in denen die Luft klar ist wie Kristall, der
Himmel tiefblau wie die azurnen Wellen der schlummernden Bergseen.
* *
Wenn aus dem Tal wie aus unendlichen Fernen die Kirchenglocken leise zu
den reinen Höhen empordringen, wenn unten in den Dörfern und Weilern die

Lichter der Tannenbäume aufblitzen und bis in die menschenleere Einsamkeit
empordringen, dann fühlt sich der Bergwanderer näher dem Weltengeist, und
die Erhabenheit der Schöpfung erfüllt sein Herz mit bezwingender Gewalt. Sie
verleiht seinen schneeschuhbewehrten Füßen Schwingen, und lautlos gleitet der
einsame Mensch über die schneeigen Matten, über die sanft ansteigenden Hänge.
Alles Irdische erscheint ihm wie ausgelöscht, ist seinem Gesichtskreis entrückt.
Alles um ihn her ist in ein weißes, fleckenloses Festgewand gehüllt; Erde und
Geröll, Baumstümpfe und Gestrüpp scheinen verschwunden, und sein Auge
erblickt nichts als Schnee, ragenden, turmhohen, bergeshohen Schnee. Die Hügel
und Kuppen, die gewölbten Höhen scheinen alles Irdische abgestreift zu haben;
sie sehen aus, wie aus purem, lauterem Schnee aufgetürmt. Über alledem aber
eine lautlose, eine fast unirdische Ruhe. Kein Hauch durchdringt diese Stille
und Einsamkeit; hier ist der Mensch allein mit sich und seinen Gedanken, hier
vermag er feiertägliche Einkehr in sein Inneres zu halten.
Doch es sind ihrer wenige, die Mut und Kraft zu solcher Fahrt in die
winterlichen Berge besitzen. Die meisten, die es zur Weihnachtszeit ins ver-
schneite Gebirge zieht, folgen den stählernen Gleisen, auf denen sie warm und
bequem zu den Höhen getragen werden. Der Eisenbahnzug windet sich mühe-
los bergan zu den hoch gelegenen Winterkurorten und Sportplätzen; Wagen

Anders Zorn

Verlag Paul Pieckscher Stockholm.

: Wasserträgeriii.
 
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