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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 28.1913-1914

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https://doi.org/10.11588/diglit.31172#0222

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Kaiserin Eugenie, Der Weg zum Thron.
Historischer Roman
von
Heinrich Vollrat Schumacher.
Mit Illustrationen aus dem Roman.
Als vor drei Jahren Heinrich Vollrat Schumacher
mit seinem Roman „Liebe und Leben der Lady Hamilton“
eine Serie „Romane berühmter Männer und Frauen“ (Rieh.
Bong, Berlin W 57) eröffnete, prophezeiten sogenannte
„Kenner der Volksseele“ dem Unternehmen eine Nieder-
lage oder doch nur einen halben Achtungserfolg. Man
sprach der deutschen Lesewelt bei ihrem angeblichen
Hang nach materiellen Genüssen, nach nervenpeitschender
Sensation und seichter Lektüre jede Fähigkeit zur Ver-
tiefung in ernstere Probleme ab, behauptete vor allem,
daß in dem gehetzten Jagen und Treiben des Erwerbs-
lebens jener historische Sinn völlig erstorben sei, der



Komtesse Eugenie de Montijo (Kaiserin Eugenie).
Nack dem Gemälde von Franz Xaver Winterhalter.

das „Volk der Denker und Dichter“ einst an die geistige
Spitze der Nationen stellte.
Kaum jemals haben sich unglückverheißende Kassan-
drarufe irriger erwiesen als in diesem Falle. Sehnsüchtig
greift der deutsche Leser gerade nach diesen historischen
Stoffen, jeder neue Band des Unternehmens erweist sich
als ein weiterer Schritt in seinem Siegesläufe, und auch
das Ausland zollt in zahlreichen Übersetzungen der
gesunden Idee und ihrer vornehm gediegenen, dabei
aber zugleich ansprechenden Ausführung den Tribut
seiner Zustimmung.
Die inneren Ursachen dieses außergewöhnlichen Er-
folges sind unschwer zu ergründen. Sie liegen vor allem
darin, daß der Leser in jenen Romanen alles restlos und
in vollkommener Form erfüllt findet, was er als moderner
Mensch von einem Buche fordern muß:
flüssige, natürliche Schreibweise, mühe-
lose Vermittlung des wissenschaftlichen
Materials, spannende Behandlung der
Konflikte, Vermenschlichung der ge-
schilderten Charaktere. Der Mangel
der historischen Romane früherer
Epochen beruht hauptsächlich darin,
daß die in ihnen auftretenden Personen
vor dem Auge der heutigen Lesewelt,
das durch die moderne Naturwissen-
schaft und Psychiatrie geschärft ist, nicht
mehr bestehen können. Hier aber haben
moderne Wissenschaft und Kunst sich
zu innigstem Zusammenwirken verbun-
den und Werke geschaffen, die jeden
geistig Regsamen zu warmer Anteil-
nahme, zu leidenschaftlichem Miterleben
zwingen müssen.
Haben nun die bisher erschienenen
Bände der Serie diese Anforderungen
der Lesewelt nach jeder Richtung hin
erfüllt, so dürfte das neue Werk von
Heinrich Vollrat Schumacher: „Kaiserin
Eugenie — Der Weg zum Thron“ (Ver-
lag von Rieh. Bong, Berlin W 57, Preis
geh. M. 4, in eleg. Leinenband M. 5) den
bereits hochgespannten Rahmen des bis-
her Gebotenen noch überschreiten. Schon

der Stoff an sich ist von besonderem Interesse. Anhebend
mit einer packenden Schilderung des vielverschlungenen
Intrigenspiels und des oft bizarre Formen annehmenden
Liebeslebens am Hofe Isabellas II. von Spanien, zeigt
Schumacher schon hier in der seltsamen Ehe der jugend-
lichen Königin und in ihrem eigenartigen Verhältnis zu
General Serrano die ersten Keime zu dem späteren Zu-
sammenbruch, der zur Vertreibung Isabellas und zur
Wahl des Hohenzollernprinzen zum König führte, welch
letztere wiederum in tragischer Verknüpfung den Anstoß
zur Katastrophe von 1870 für Frankreich gab. Von Madrid
leitet die Handlung nach Florenz hinüber, der Residenz
der aus Frankreich verbannten Napoleoniden, und deckt
das durch innere Streitigkeiten zerrüttete Familienleben
der Erben des großen Kaisers auf. Der alte Jeröme, der
ehemalige „König Lustick“ von Westfalen, sein Sohn,
Prinz Pion-Pion, und seine Tochter, die junge, lieb-
reizende, durch eine schmachvolle Ehe an den Fürsten
Demidow gebundene Prinzessin Mathilde, spielen hier
bedeutungsvolle Rollen, besonders in ihrer Stellungnahme
zu dem Prinzen Louis Napoleon, dem späteren Kaiser
Napoleon III., dessen legitime Geburt und Erbfolgeberechti-
gung Gegenstand leidenschaftlicher Kämpfe ist. Auch
hier wieder offenbaren sich die ersten Anfänge jenes
unheilvollen Einflusses, dem Napoleon III. während seiner
Regierung vielfach unterlag, und der die Ursache seiner
den Zeitgenossen oft rätselhaft erscheinenden Entschlüsse
wurde. Nach Paris hinüberwechselnd führt der Roman
alsdann in lebhaften, das Groteske streifenden Szenen
den Sturz des Julikönigs Louis Philippe von Frankreich
demLeser vor Augen, das Emporkommen Louis Napoleons,
die Errichtung des zweiten Kaiserreichs mit Hilfe der
Londoner Halbweltdame Miß Howard, die als Geliebte
Louis Napoleons diesem ihr Millionenvermögen opfert,
um später brutal beiseite geworfen zu werden. Alle
diese Vorgänge fesseln schon durch ihre abendteuerliche
Buntheit und durch das helle Licht, das sie auf die
treibenden Kräfte des zweiten Kaiserreichs werfen, dessen
späterer Glanz ebensowohl wie sein endlicher Nieder-
gang als eine logische, mit eherner Notwendigkeit ein-
herschreitende Folge der bei der Gründung.angehäuften
Schuld erscheint. Ihre Schilderung ist an Wucht und
Größe dem ersten Akt einer erschütternder Welttragödie
vergleichbar.
Im Mittelpunkt aller dieser in atemloser Spannkraft
sich entwickelnden Geschehnisse steht immer und überall
die junge, wegen ihres funkelnden Geistes und ihrer
klassischen Schönheit gepriesene spanische Gräfin
Eugenie de Montijo. Von Madrid, wo sie als Jugend-
gespielin und vertraute Freundin der Königin Isabella in
Liebesaffären verwickelt wird, die ihren guten Ruf ver-
nichten, führt ihr Weg sie nach Florenz, das insofern
verhängnisvoll für sie wird, als sie hier in unglückliche
Herzensbeziehungen zu dem Prinzen Plon-Plon, dem
Nebenbuhler Louis Napoleons, tritt. Von dort gelangt sie
nach Paris und durch Anfechtungen aller Art in unaufhör-
lichen, das Innerste aufwühlenden Kämpfen an die Seite
Napoleons III. auf den französischen Kaiserthron. Das
Werden dieser Frau, die zu den bedeutendsten aus der
zweiten Hälfte des XIX. Jahrhunderts gehört, ihr eigen-
artiger Charakter, die seltsame Stellung, die sie zu den
Fragen der Liebe einnimmt, gibt Schumacher Gelegen-
heit, alle Vorzüge seines reifen Könnens glänzen zu
lassen. Dichterisch stellt sich seine „Kaiserin Eugenie“
als ein Charaktergemälde von höchstem plastischen Reiz
dar, wissenschaftlich als ein Beitrag zur Erforschung
der weiblichen Psyche.
Außer den vorhin Genannten gruppiert sich um Eugenie
eine Fülle der einflußreichsten Personen ihrer Zeit:
Mdrimde, der Dichter der „Carmen“, Maria Christine von


Flucht des Prinzen Louis-Napoleon Bonaparte aus der Festung
Ham in der Verkleidung eines Maurergesellen, 25. Mai 1846.
Nach einer zeitgenössischen Darstellung.

Spanien, Morny, St. Arnaud, Mocquard, Fleury, Persigny,
die Abenteurer des Staatsstreichs usw. usw. Sie alle,
Männer und Frauen, zeigen in ihren scharf umrissenen
Zügen die sichere Gestaltungskraft des Autors, die in
wenigen Strichen ein überzeugendes Wesensbild der
geschilderten Personen entwirft und durchführt.
Aber auch dem Humor und der Satire ist in dem
bedeutungsvollen Werke gebührender Raum gewährt.
Somit stellt sich das Ganze dar nicht nur als ein
fesselndes Zeitgemälde von prickelndem Reiz, sondern
auch als ein Dokument des menschlichen Wesens über-
haupt, als ein getreues, wahrheitgetränktes Abbild des
großen, über Höhen und Tiefen gleitenden Lebens.
Eine Fülle von beigegebenen historischen Illustra-
tionen, Urkunden usw. erhöhen den seltenen Wert des
Buches und verleihen ihm in Verbindung mit der übri-
gen glänzenden Ausstattung auch in dieser Hinsicht den
Charakter eines Ausnahmewerkes das allen, auch den
verwöhntesten Ansprüchen vollauf gerecht wird.
Berliner Theater.
Für die neue romantische Strömung, in der heute
unsere Literatur und Theaterdichtung treiben, ist es
besonders kennzeichnend, daß man auch von den Dra-
matikern, die einst Führer des Realismus waren, gerade
romantische Dramen zur Aufführung wählt. So kann man
von Ibsen an ersten Berliner Bühnen gegenwärtig „Peer
Gynt“ und „Pfarrer Brant“ sehen; und August Strind-
berg ist im Königlichen Schauspielhaus
mit „Schwanenweiß“ und neuerdings
im Theater der Königgrätzerstraße mit
der „Kronbraut“, also mit zwei Stücken
vertreten, die ins Überirdische, Märchen-
hafte greifen.
Wie kaum ein anderer Dichter ist
Strindberg vom Leben zu letztem
wildem Verlangen, rücksichtslosem An-
sichreißen und Genießen und sündigen,
d. h. harmoniezerstörenden Wünschen
getrieben worden. Wie keinen andern,
hat ihn seine Seele dafür gestraft, ge-
geißelt, in grausige Ängste und Ver-
zweiflung gejagt. Daraus ging wieder
die einziginnige Sehnsucht nach Har-
monie, nach der Unberührtheit des
jungenTages, nach Erlösung und Kinder-
reinheit hervor. So erklärt sich das
Rätsel, daß Strindbergs Dramen uns
bald das Inferno, die Totentänze und
den Abschaum der menschlichen Seele
scheinbar realistisch wiedergeben, und
er dann wieder Märchen dichtet, bei
deren Sehnsuchtston uns unwillkürlich
die Tränen in die Augen treten. In
Wahrheit greift er überall über die
Wirklichkeit hinaus; sein Reich ist nicht
von dieser Welt. Gerade in der Art,


Tod des Arztes Alphonse Baudin, Mitglieds der Nationalversammlung zu Paris, auf den Barrikaden
des Aufstands wider den Staatsstreich Louis Napoleons, 3. Dezember 1851.
Nach einer zeitgenössischen Darstellung.

XXVIII. W.-No. B. 1.
 
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