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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 28.1913-1914

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10. Heft
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Rittland, Klaus: Die Ehen des Herrn von Brenkhusen, [6]
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https://doi.org/10.11588/diglit.31172#0298

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MODERNE KUNST.

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gestaltet; und plötzlich fiel ihm ein, daß er eigentlich nie mit Fanny
über amtliche Fragen redete. — Anfangs, ja, da hatte er ihr manchmal
von irgendeinem dienstlichen Vorkommnis erzählt, aber sie hörte kaum
hin: „Weißt’, davon versteh’ ich ja doch nichts, Schatzei“. Damals hatte
er ihr wohl auch noch hier und da einen Artikel aus der Zeitung vor-
gelesen oder eine Stelle aus irgendeinem Buche, die ihn gerade lebhaft
beschäftigte. Sie schien auch geduldig zuzuhören, aber dann plumpste
sie mit irgendeiner weitabliegenden Frage dazwischen, so daß er merkte:
sie hatte an ganz andere Dinge gedacht. Da hatte er sich darein gefunden,
daß seine schöne Frau nur auf einem engbegrenzten Gebiete mit ihm
zusammenlebte: Wirtschaft, Toilette, der liebe Nächste — und ihre Liebe.
Sie wußte sehr hübsch, sehr anmutig über ihre Liebe zu plaudern. Und
das war ja auch genug. Das heißt, manchmal —
Aber es würde ja Undank, Torheit, Grille sein, etwas zu vermissen.

Sie hatten recht. Jeder hat meistens irgendwie recht. Die beiden
waren tüchtige, kluge Männer. In mancher Beziehung sind sie mir über-
legen, dachte Curt Brenkhusen, nur — ihr seelischer Bedarf ist so leicht
gedeckt; sie suchen wenig in andern Menschen. Er aber hatte immer
gesucht und sehr selten gefunden.
Manchen Freund hatte er gewonnen und wieder verloren, weil er zu
viel von einem Freunde verlangte.
Die tiefe, heimliche Sehnsucht nach der verwandten Natur war mit
ihm gegangen, selbst in die Jahre hinüber, wo der Durchschnittsmensch
ernüchtert und stillzufrieden auf seinem Besitze ruht.
Und das Glück war ihm geworden, zu später Stunde. Er hatte die
verwandte Natur gefunden — in Annelise Schönwald. Aber er hatte das
Gute hingenommen, wie man es meistens hinnimmt: als Selbstverständ-
lichkeit, kaum zu klarem Bewußtsein vordringend. Jetzt kam ihm eine


Hermann Rüdisühli: Friede.

Kein Mann mit gesundem Menschenverstand und gesunden Sinnen
würde ihn begreifen. Was der Mann von seiner Frau verlangt, ver-
langen kann, das besaß er in dem süßen jungen Weibe -— das Gefühl,
das ihn zu ihr getrieben, war ein heißes, ursprüngliches, ein echtes
Gefühl gewesen. Mehr bedarf der Mann nicht, als ein gutes, schönes
Weib, das ihm so recht von Herzen gefällt.
Das andere, das feine, stille Glück, das er mit seiner Freundin ge-
nossen — viele würden ihn gar nicht verstehen, daß er diesem zarten
Freundschaftsglücke jetzt manchmal in schmerzlichem Rücksehnen nach-
trauerte — wenn er sich seinen Bruder, den Landgerichtsdirektor, vor-
stellte oder seinen guten Kollegen Dittmar, die würden ihn doch nur
belächeln.
„Ist ja ganz nett, so ein kleines platonisches Verhältnis, aber schließ-
lich — von der Geistreicherei wird man nicht satt und froh,“ würden sie
sagen, „der normale Mann will was anderes von der Frau, als über
Literatur und Kunst reden.“

Ahnung von dem Werte des Schatzes, der ihm aus den Händen geglitten
war. Für immer?
Aber weshalb denn? Konnte innige Freundschaft nicht neben dem
Eheglücke bestehen?
— — — — Sie wanderten durch die Winterwelt, ohne der Zeit zu
achten. So viel hatten sie sich mitzuteilen, so viel nachzuholen. Es
war, als ob der Deckel eines übervollen Schreins, der nur mit Mühe ge-
schlossen worden ist, plötzlich aufspringt, und nun stürzt der Inhalt her-
vor in ungebändigter Fülle.
Plötzlich wurden sie gewahr, daß der Mond aufging.
Erstaunt sah Brenkhusen nach der Uhr; er konnte das Zifferblatt
kaum mehr erkennen. „Das ist ja gar nicht möglich — — wir können
doch nicht anderthalb Stunden hier spazieren gegangen sein?“
Sie lächelte — ein feines triumphierendes Lächeln und doch nicht
ohne Traurigkeit. „Jetzt sind anderthalb Stunden schon zu viel?“ sagte
sie in leisem Fragetone vor sich hin.
 
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