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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 28.1913-1914

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10. Heft
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Ebolé, W. K.: In den weissen Bergen
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https://doi.org/10.11588/diglit.31172#0308

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In den cueissen

0epgen.


ie Freude am Winter und seinen Schönheiten ist eine Empfindung die
unsere Väter und Großväter nur in geringem Maße gekannt haben. Der
Winter war in früheren Zeiten noch nicht jener Spender mannigfacher Freuden,
der er heutzutage für uns ist, sondern „ein gestrenger Herr“, der die Menschen
aus der freien Luft in die Enge der Häuser und an den warmen Ofen trieb.
Selbst ein so geistreicher Mann wie der französische Schriftsteller Stendhal, der
in den zwanziger Jahren des vorigen Jahrhunderts nach der zweiten Restauration
im Winter durch die Schweiz nach Italien reiste, vermochte die kraftvolle Schönheit
der winterlichen Natur nicht zu verstehen; ein paar abfällige Bemerkungen in
einer seiner Schriften verraten dies. Nur Menschen, die ihr Leben oder Beruf
in engere Fühlung mit der Natur brachte, wußten auch die Reize des Winters
zu genießen: eine Wanderung durch den verschneiten Wald oder eine Schlitten-
fahrt, bei der nur das melodische Klingen der Glöckchen das Schweigen der
Natur unterbricht, mag für den empfindsamen Landbewohner schon früher keinen
geringeren Genuß bedeutet haben als ein Pirschgang für den Weidmann, wenn
eine „Neue“ sein Revier bedeckte. Selbst
der Eislauf, obwohl den Menschen schon
seit Jahrhunderten bekannt — die erste
Eisläuferin war wohl die heilige Lydwina
(1380—1433), die imjahre1396 beim Schlitt-
schuhlaufen stürzte und dabei eine Rippe
brach ;— wurde erst spät Allgemeingut.
Noch in den dreißiger Jahren des vorigen
Jahrhunderts galt es nicht für schicklich,
wenn auch Damen sich auf dem Eise
tummelten. Johann A. Klein'sBild „Schlitt-
schuhbahn zu Nürnberg, 1825“ zeigt uns
nur Vertreter des starken Geschlechts
beim Laufen, während die Damen sich
im Schlitten fahren lassen. Da berührt es
um so freudiger, daß große Geister wie
Goethe und Klopstock begeisterte Anhänger
des Eislaufs waren; bekannt ist ja das Ge-
mälde von Kaulbach, das den jungen Goethe
in Frankfurt beim Schlittschuhlaufen zeigt.
Das eigentliche Begreifen all’ des
Schönen, das uns die Natur im Winter

- [Nachdruck verboten.]
bietet, haben uns aber erst in der Neuzeit die letzten zwanzig Jahre gebracht, in
denen der Sport eine so ungeahnte Entwicklung genommen hat. Der Eislauf,
der inzwischen zu einer Kunst gediehen, ist ja nur ein Teil des Wintersports,
und ein unbedeutender Teil, wenn man in Betracht zieht, daß allwinterlich allein
in Deutschland Hunderttausende von Menschen in die Berge hinauspilgern, um
in der frischen Luft ihre von angestrengter Berufsarbeit erschlafften Nerven
neu zu stärken, Herz und Sinn an der Pracht des Winters zu erquicken und
die Lungen mit frischer Luft zu füllen.
Mit geradezu magischer Gewalt hat der Wintersport eine ungeheuere Ge-
meinde um sich geschaart. Nicht länger will die Jugend mehr hinter dem Ofen
hocken, wenn der Frost Eisblumen auf die Fenster malt, ein kalter Wind durch
die Straßen und über die Felder fegt, und der Schnee in lustigem Tanze durch
die Luft wirbelt. Und mit der Jugend genießen heute nicht minder gern die
Alteren die Freuden des Winters. Mit Rodel und Skiern eilen sie hinaus ins
Freie, in den Wald und auf die Berge — und ein wenig von der reinen, ungetrübten
Freude, die das Kind an der einfachsten
körperlichen Bewegung, am Spiel emp-
findet, teilt sich hier auch den Erwachsenen
mit, wenn sie mit frohem Ruf sausend zu
Tal fahren oder mit langem Gleitschritt
auf den eschenen Hölzern durch den ver-
schneiten Tann streifen.
Der Wintersport ist ein Volkssport
im besten Sinne geworden. Man braucht
in den südlicheren Gegenden unseres Vater-
landes nur die Schuljugend, Mädels und
Buben, auf ihren Faßdauben skilaufen oder
auf primitiver Rodel den kostspieligeren
Sport der Großen nachahmen zu sehen;
man wird aus ihrer Fröhlichkeit, aus ihren
blitzenden Augen und ihren geröteten
Wangen erkennen, daß sie mit Herz und
Seele dabei sind. Und wie gesund ist
dieses Treiben vor allem für die Kinder
ärmerer Gegenden, in denen die dürftigen,
unzureichenden Wohnungsverhältnisse im
Winter doppelt fühlbar werden.



Beim Eishockey in Engelberg.

XXVIII. 10. Z.-Z.
 
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