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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 28.1913-1914

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11. Heft
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Seiffert, Ernst: Automobilromantik
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https://doi.org/10.11588/diglit.31172#0323

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Jef Leempoels: Der Brief.

Aufomobilromanfik.

Von Ernst Seiffert, Berlin.

erkwürdige Dinge hat die Neuzeit geschaffen. Bedeutete bis vor kurzem
das Vordringen der maschinellen Kräfte uns nicht den Verlust des Natür-
lichen, erschien uns nicht jede neu aufgestellte Maschine als ein Abblättern
des Baumes der Poesie?
Uns war das poetisch, was gewachsen war, was nicht die Kennzeichen der blanken
Konstruktion hatte, was im Boden wurzelte oder kreisendes Blut in sich trug. Und
alles andere lehnte man ab als „Menschenwerk". So kam es, daß dem Auge das
Automobil als Fremdkörper in der Landschaft erschien, daß man im Hüttenwerk nur
das rußgeschwängerte Industriestück sah, kurz, daß man dem Maschinellen allen künst-
lerischen Inhalt absprach.
Der Automobilismus hatte darunter sehr zu leiden, sahen doch die gemütlichen
Schöngeister in ihm nur ein lärmiges, schnelles und staubaufwirbelndes Vehikel. Man
sah nicht, wie gewaltig kraftvoll das dunkle Gefährt die weiße Straße heranbrauste,
sah nicht das fabelhafte Bild der quellenden tanzenden Staubwolken, die wie tolle
Geister den Wagen umwirbelten, man hatte auch kein Gefühl für die Kraft und die
Freiheit der vorüberbrausenden Fahrt. Das alles sah man nicht •— weil man sich eben
ärgerte, wie man sich über neue Dinge, die man nicht mitmachen kann, zu ärgern pflegt.
Damals wohnte ich draußen in einem ländlichen Vororte Berlins, wo man „Feuer
im Ort" mit dem Gedröhn der Signalhörner bekannt macht. Dieser Lärm —- schien
mir’s — riß mich aus dem Schlaf. Der erwachende Blick sah die frühe Morgensonne
durch den schmalen Spalt zwischen den gelben Vorhängen blitzen, scharf fiel ein
Lichtstrahl in das Zimmer, das sonst in das satte Gelb der die Fenster abblendenden


- [Nachdruck verboten.]
Vorhänge getaucht war. Der Lärm klang wieder, unwillig in kurzen abgerissenen
Tönen — nun erkannte ich den vermeintlichen Feuerlärm als das Signal des Freundes,
das zu der langversprochenen Automobilfahrt einlud. Ein Blick hinter vorsichtig bei-
seite geschobenem Vorhang überzeugte mich: unten stand der elegante Viersitzer mit
seinen — damals noch neuartigen — rassigen Torpedoformen. Wie ein Jüngling, so
schlank und leuchtend, stand er dort unten, wie der Körper eines edelen Fechters.
Übermütiges Funkelspiel trieb die Sonne an seinem blanken Leib, es sah aus, als sei
er voller Geschmeide.
Nach den galanten Handküssen und dem derben Händeschütteln freundlichster
Begrüßung empfing ich den mit Recht so beliebten Gummimanh 1 und eine Schutz-
brille als Vervollständigung meines Autodresses, der nur aus einer Sportsmütze bestand.
Wie neu und eigen das alles war! Wonnig, frisch und fesch raschelte der Gummi-
mantel, genau so herb wie die Morgenluft um den Kopf wehte. Dann wurde zur
Eile gedrängt, und ich nahm meinen Platz ein. Im selben Momente wurde der Motor
angekurbelt und das Zittern starker gebändigter Kräfte durchrann den Wagen. Man
fühlte richtig das krachende sprungbereite Leben in ihm! Dann griff die Hand des
Freundes an den Stellhebel: die Fahrt fing an.
Die lange Reihe der jungen Chausseebäume kam uns entgegen, fast schien es, daß
sie sich zur Begrüßung stumm verneigten. Die Chaussee, ein langes weißes Band,
lag endlos, wie ausgespannt. Wir wickelten es auf, unaufhörlich, unaufhörlich. Links
und rechts vom Band lag da und dort ein Haus, mehrere, ein Dorf, Vieh lief am
Wege, die Kleinheit eines gehenden Menschen kam uns entgegen und über allem lag


XXVIII. 34.
 
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