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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 28.1913-1914

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12. Heft
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Heilborn, Adolf: Vom Karneval, von Maske, Tanz und Mummenschwanz
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https://doi.org/10.11588/diglit.31172#0348

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MODERNE KUNST.

T47

rismus dazu; es will die zügellose Frei-
heit der Saturnalien und die tiefe Tragik
des Aschermittwochs von Herzen recht
empfunden sein. Vielleicht, daß am
Rhein ein wenig davon lebendig ist.
Aber schon der Münchner Karneval ist
völlig anderer Art. Man fühlt wohl
hier die Nähe Italiens mit seinem Tau-
mel- und Jubelwesen, schreibt einmal
ein Münchner Künstler, aber die an-
geborene Schwerfälligkeit verbietet es,
dem Zauberspruche zu folgen: Maske
ist der Fürst, Maske der Ärmste, Brüder
sind alle, so lange das Hüonshorn der
Maskenfreiheit tönt. Es ist derselbe
Unterschied wie zwischen Pulcinella
und dem Kasperl. In einem Vorspiel
zu einer neapolitanischen Volkskomödie
läßt Kopisch seinen Pulcinella Frau
Poesie bitten, ihn den Deutschen vor-
zustellen: „Frau Poesie, ich bitte dich,
sage nur dahier, ich sei der Pulcinell, und
nimmer mehr Kasperl oder Thaddädl
oder gar jener Berliner Theaterspaß,
welcher zwar bald so, bald so ist, aber
zugleich dasselbe bleibt.“ Und die
Poesie beginnt: „dieser schwarzver-
larvte Mann ist geboren, wo des Ho-
merus Zauberfabeln wandelten; aber
darum kein Mensch, bewahre, nein, ein
leichter Maskenscherz! Wo der Vesuv
sein Prachtgewölk in dunkelblauen Äther
türmt, schuf der leichte Sinn der Men-
schen sich zur Lust dies Lustgebild,
welches der Dichter Odem täglich neu
belebt und neu beseelt: hoch phanta-
stisch, leicht beweglich, wie sich der
See Gekräusel hebt, dort um das Paradies
des Erdballs, wo die gescharte Menge
lacht, wenn sie der Welt gesamte Tor-
heit spiegeln sieht in diesem hier, der
mit der Einfalt Zunge lallet, aber der
Weisheit Pfeile wirft; wenn er des
Volkes Weh und Kummer wegzu-
scherzen, Leiden spielt, oder gerüstet, hoch auf Stelzen, wie im Traum, das Weh be-
siegt. Leicht beschuht, in jedes Standes bunte Torheit eingemummt, eben ein König,
wieder ein Bettler, tändelt er mit der gesamten Welt."
* *
*
Und doch: liegt uns nicht allen im Blute jene Sehnsucht, einmal ein andrer zu
sein, als der wir sind? Ein König, ein Bettler, ein Türke, ein Wilder . . . einmal im
Jahre wenigstens, wann Fasching ist? Sind nicht die Maskentänze so alt wie die Mensch-
heit selbst? Es leben hie und da im deutschen Volke ganz seltsame Faschings-Masken-
tänze: der Imster „Schemenlauf" ist einer, das „Perchtenlaufen" im Pustertale ein
andrer dieser Art. Grotesk geschnitzte hölzerne Masken haben die Burschen dabei vor
das Gesicht gebunden, mit langen Nasen, mit Flörnern und Schlangenhaaren. Mit
Schellen und Pferdegeröllen vollführen sie einen Heidenlärm; mit Stöcken und Peitschen
schlagen sie, belohnen und strafen. Bis zum Aveläuten währt ihr Treiben, dann wird's
auf einmal totenstill, und schweigend ziehen die wilden Perchten heim. Denn wehe,
wenn dieser fromme Brauch nicht beachtet wird. Es mischt sich dann die echte
„wilde Perchta“ unter das Spiel, wie das schon oft geschehen sein soll. Ludwig von
Hörmann berichtet uns in seinem „Tiroler Volksleben“ darüber: „die Perchten tobten
dann wie rasend und sprangen über den Brunnenstock. Dann aber liefen sie scheu aus-
einander und flüchteten zu den Häusern; denn sobald sie unter der Dachrinne waren,
konnte ihnen die Wilde nichts mehr anhaben. Oft aber wurde sie dennoch eines Ver-
mummten habhaft und zerriß ihn in hundert Stücke. Man zeigt noch heute einige
Stellen, wo einst Perchten ein also schreckliches Ende fanden." Dem Kulturhistoriker
tauchen, wenn er solches hört, blitzschnell seltsame Bilder vor dem geistigen Auge auf:
„Schemen“, das sind ja wesenlose Schatten, sind Geister, und unser „Maske“ stammt vom
mittellateinischen „masca", und das heißt Hexe. Hat nicht auch Pulcinella eine Vogel-
schnabelnase wie die Figuren des javanischen Schattenspiels, die Seelen, Geister, Vögel sind?
Und nun, verehrter Leser, schöne Leserin, folgt mir. — „Ist Fasching aus, so
folgen dann die Fasten“, singt Rückert — auf den verschlungnen Pfaden der Erkenntnis
von dem Werden der Kultur hinab in jene tiefen Niederungen, aus denen sich des
Menschen Geist einst aufschwang, um in Wahrheit Mensch zu werden. Mit Däumlings
Siebenmeilenstiefeln eilen wir vorauf und zeigen wie im „Meister Floh" mit Leuwen-
höcks Zauberlaterne Bild auf Bild.
* *
*
Ein undurchdringlicher Urwald, dicht am rauschenden Meere. Auf langen Stelzen
treten die Mangroven an die Flut, Lianen winden sich um Palmenstämme, es leuchtet

von grünlich phosphorn-schillernden
Käfern und duftet betäubend, dazu in
ewig gleichem Rhythmus der Gesang
der Wogen. Dort, wo der weiße Sand
des Strandes den Wald ein wenig zu-
rückdrängt, tummeln braune Wilde sich,
mit Speeren und Keulen, den Leib mit
Streifen weißen Kalks bemalt, die große
hölzerne Trommel dröhnt, sie stampfen
im Takte die Beine, und ein wildes
Lied gellt über all das Meeresrauschen.
Eine hochheilige Zeremonie hat diese
Papuas von Neu-Pommern hier vereint,
eine Grabesöffnung und die Entnahme
eines Totenschädels. Zur — Maske soll
er neugestaltet werden und dem Träger
solcher Maske die Freiheit eines Geistes
geben, und eine Freiheit ist das über
Tod und Leben. Sie haben den Ge-
sichtsteil des Schädels sorglich abgelöst,
nun wird er fest in einen Rahmen bunt-
bemalten Holzes eingekittet. Ein Quer-
holz innen gestattet dem Träger, die
Maske mit den Zähnen vorm Gesichte
festzuhalten. Ein Toter ist auferstan-
den, ein Geist zu den Menschen herab-
gestiegen, und diesem Geiste ist alles
erlaubt, selbst Mord und Totschlag!
Ja, das ist der Maske, jener bunten,
frohen Faschingslarven, uralt gehei-
ligter, geheimnisvoller Anfang. Eine
mildere Zeit hat dann den Schädel in
Holz geschnitzt, immer ein Geister-
antlitz formend, eine Teufelsfratze, etwas
Übermenschliches, davor der Mensch
erschrickt, und auch für diese hölzerne
Geistermaske gilt volle Maskenfreiheit.
Ihr Träger ist ja für seine Taten gar
nicht verantwortlich zu machen; er ist
ja nur das Gefäß eines andern, eines
Geistes. Und wenn die „heilige Masken-
freiheit“ bei uns, den Kindern einer
höheren Kultur, sich nur auf harmlose
Neckereien beschränkt, einen geraubten
Kuß, eine boshafte Stichelei, — bei den Wilden darf sie mehr. . .
Aus dem Zedernwalde tönt ein seltsam Flöten, dumpf, wie ein heulendes Tier. Der
Hametze weilt zum Besuche bei dem Waldgeist, dessen Stimme das war. Jetzt tönen im
Tanzhause die Trommeln und hölzernen Rasseln. Des Gottes voll tanzt der Hametze vor
den gläubigen Indianern. Eine Maske hat er vor dem Antlitz, einen Rachen mit wild ge-
fletschten Zähnen. Um den Hals hängt ihm ein Zedernbastring, daran aus Holz geschnitzte
Schädel klappern. Von seinem Haupte stäubt’s wie Schnee: die Adlerdaunen fliegen
durch den ganzen Raum. Nun stürzt er sich plötzlich auf ein Opfer und beißt es mit den
Zähnen. Gar mancher Quakjutl-Indianer ist so wohl schon zu frühem Tod gekommen ...
Doch noch ein anderes, milderes Bild zum Schluß von solcher Maskenfreiheit.
Laßt uns ein Dukdukfest auf Neu-Mecklenburg besuchen, eine Art Vereinsmaskenball
unsrer braunen, krausköpfigen Landsleute da drüben in der Stidsee. Der Ball — ein
echter bal champetre — hat mitten im Walde auf einer Lichtung seinen Platz. Dichte
Büsche und Kokosmatten sperren den Tanzplatz vor profanem Blick: nur den Vereins-
mitgliedern, und zwar nur den „Herren der Schöpfung“ ist der Zutritt überhaupt
gestattet. Ein paar Hütten abseits bergen die Maskengarderobe, die Tänzer können
sich hier ungesehen umkleiden. Solche Maske will im übrigen zu tragen verstanden
sein. Sie ist nämlich gut zwei Meter lang, läuft oben spitz zu und ist aus Blätter-
werk, aus Federn, mit bunten Holzschnitzereien behängen und dergleichen; unten
reicht sie bis zu den Beinen. Mit Tanz und Gesang beginnt der Maskenball, mit
einer solennen Schmauserei schließt er. Aber damit ist er eigentlich noch nicht zu
Ende, bewahre; die Maskenfreijieit beginnt jetzt erst, und zwar eine merkwürdige
Maskenfreiheit. Bei jener Schmauserei nämlich haben die Vereinsmitglieder beraten,
wen man um einen Beitrag zu künftigen Festen schröpfen könne, wer noch nicht
seinen Mitgliedsbeitrag bezahlt hat usw. Und nun zieht auf Geheiß des Vereinsvor-
standes ein Dukduktänzer in die Dorfschaften, jene Summen einzutreiben, Recht zu
sprechen, Bußen aufzulegen usw. Ein maskierter Gerichtsvollzieher sozusagen und
von großer Macht dazu, weil er ja einen Geist repräsentiert. Wir sagten schon: der
Maskenträger ist bis zum Leibe von der Maske verhüllt. Damit er aber auch sonst
nicht kenntlich sei, wählt man stets nur solchen Mann, der — gerade Beine hat!
Wie sagt doch in Glasbrenners echt berlinischem „Maskenball" der Zinngießer
Proppen zu seiner Frau Jette: „Ne ick hab’ nu mal keene Beene zu Schuh; meine
sind nu mal blos zu Stiebein abjericht’t." Worauf ihm die zärtliche Gattin erwidert:
„Du hast freilich sonne Füße an’n Leib, det man immer denkt, du lehnst (leihst) dir
en paar Handschuh von’n Elephanten.“ Adolf Heilborn.
 
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