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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 28.1913-1914

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MODERNE KUNST.





T-janja, die bekannte russische Barfußtänzerin,
beschloß ihre diesjährige Tournee durch ein
kurzes Gastspiel im Harmoniumsaal in Berlin. Der
von ihr daselbst arrangierte Tanzabend zeigte die
Künstlerin in den verschiedensten Darbietungen. Sie
tanzteTschaikowski, Bolzoni, Loeti und andere Meister;
ganz besonders gefiel sie in Kettwas Valse de fleurs
und in den Kriegsszenen aus der Oper „Das goldne
Kreuz“. Sowohl duftige und zarte Tänze, Menuett
und Polka, liegen der Tänzerin, wie seriöse Weisen
im Genre der Salome. Manja ist eigentlich von Beruf
Malerin und hat in Plastik und Malerei bereits schöne
Beweise einer trefflichen Begabung abgelegt, bevor sie
die Leitung der sogenannten „Manjaschule“ in Riga,
Kaiserwald, übernahm. Diese Anstalt bildet ihre
Schülerinnen für klassischen Tanz und harmonische
Bewegung aus und erfreut sich einer außerordentlichen
Frequenz. Auch die Kaiserlich-russische Musikschule
in Riga ist der geschätzten Künstlerin unterstellt. Was
Manja besonders auszeichnet, ist eine herbe Keusch-
heit in jeder Bewegung, gemischt mit elementarer
Leidenschaft. Selbst im bacchanalen Tanz überschreitet
die Künstlerin nie die Grenze. Manja übt ihre Kunst
nicht zum Zweck des klingenden Erfolges; sie ist
Priesterin der Muse Terpsichores lediglich aus Passion,
einem inneren Drange folgend. Die an-
mutige Russin hat sich auch auf sport-
lichem Gebiete bereits hervorragend be-
tätigt. So war sie als Mitglied eines .Segel-
klubs die einzige Dame in Rußland, die
bei 14 Meter Windstärke selbständig eine
Jacht zur Regatta führte und mehrfach
durch Preise ausgezeichnet wurde. V //.
Anna Schramm. Die Nestorin der
Deutschen Bühne hat sich zur Ruhe ge-
setzt — und zwar in des Wortes ver-
wegenster Bedeutung, denn sie behauptet
es mit Nachdruck: „Die Beenekens wollen
nicht mehr“. Wenn das Wort „von der
Pike auf dienen“ eine gerechte Wertung
finden soll, so darf man es getrost auf
Anna Schramm anwenden, denn sie hat
ihm getreulich nachgestrebt. Geboren am
8. April 1837 oder früher, denn so wahr-
heitsstark sie in ihren künstlerischen Lei-
stungen war, über ihr Alter hat sie immer
gern geflunkert, betrat sie als sechsjähriges
Kind zum erstenmal die Bühne als Schutzgeist Lilli im „Donauweibchen“ und
wurde anhaltend in Kinderrollen beschäftigt. Ihre erste Ausbildung
erhielt sie von ihrer Mutter Henrietta, geborene Graham, die als
Sängerin und Schauspielerin mit ihrem Gatten Nikolaus Schramm
zusammen einen außerordentlich guten, künstlerischen Ruf
genoß. Ihr verdankt die Tochter die große Natürlichkeit
der Charakterisierung, die ihren Ruhm mit Recht über
die deutschen Bretter getragen hat. Später erhielt sie
dramatischen Unterricht von Roderich Benedix und
wurde in ihrem ersten Engagement, das sie als er-
wachsenes Mädchen antrat, in jugendlichen Heroinnen
beschäftigt —• als Maria Stuart, Jungfrau von
Orleans u. a. m., was ihr mit ihrer kleinen, zierlichen
Puppenfigur ehrlich sauer geworden ist. In Köln,
Danzig, Königsberg und Hamburg eroberte sie sich
ihr Publikum — aber die eigentliche Quelle ihres
Ruhms wurde 1861 das Wallnertheater in Berlin.
Mit Helmerding, Reusche und Neumann repräsen-
tierte sie die alte Berliner Posse; ihre Gräfin Gehta,
Laura-Geldonkel, Leichte Person, Das Milchmädel
von Schöneberg, Aennchen vom Hofe, Durchge-
gangene Weiber usw. usw. sind bei manchem alten
Berliner noch in guter Erinnerung. Die scharfe Prägung
ihrer Charaktere, ihr urwüchsiger Humor, die Grazie, mit
der sie die realistischsten Witze zum Ausdrucke brachte,
ließen ihre Leistungen unvergessen bleiben. 1868 wurde sie
Mitglied des Friedrich-Wilhelmstädtischen Theaters, wo sie zwei

Jahre verblieb, ging dann auf Gastspiele und wurde
im Reiche wohl die bekannteste und populärste Schau-
spielerin. Ein kurzes Eheglück bezahlte sie mit ihrem
ganzen, durch großen Fleiß erworbenen Vermögen —
und begann nach vier Jahren Pause ihre Laufbahn von
neuem. „Ich hatte Glück“ sagt sie selbst — aber „als
das erstemal nach so langer Zeit der Vorhang wieder
hoch ging, dachte ich — du schaffst es ja nicht mehr .. .
kein Mensch wird lachen ... es war eine Höllenangst,
die ich litt.“ Aber sie hat’s geschafft. In Wien wurde
ihr Gastspiel ein Ereignis. Das zweite Erscheinen am
Wallnertheater, diesmal im Fache der komischen Mutter,
Mad. Bonivard u. a., brachte ihr Riesenerfolge. 1891
berief sie der Intendant Graf Hochberg an die Hof-
bühne. Anna Schramm als klassische Schauspielerin!
„Amme“ in Romeo und Julia. Daja, Martha Schwerdt-
lein sind vorbildlich geworden. Ihre Hökerin in „Wie
die Alten sungen“ ist ein Kabinettstück. Madame
Dutitre nicht minder. Ihre Lotte Piepenbrink in den
Journalisten wirkte in ihrer kleinen Szene wie ein fein-
gestochenes Bild. — Wir wollen hoffen, daß der viel-
bewährten Künstlerin ein otium cum dignitate in des
Wortes schönstem Sinne beschieden ist. Liddy Malten.

Manja, russische Tänzerin.
Phot Hanse Hermann, Berlin.

Anna Schramm im „Ersten Mittagessen“.

Anna Schramm in „Drei Paar Schuhe".

Joseph Gustav Mraczek gehört zu jenen Kom-
ponisten, die das seltene Glück haben, so-
zusagen mit einem Schlage bekannt zu
werden. Und das geschah dadurch, daß
die Berliner Königliche Oper vor nicht
langer Zeit ein Werk von ihm „Der Traum“
zur Aufführung brachte. Seitdem merkte
man sich den Namen Mraczek. Das Glück
war ihm weiter hold. In der vorigen Kon-
zertsaison vermittelte uns Prof. Nikisch
in den großen Berliner philharmonischen
Abenden seine, Richard Strauß’ „Till Eulen-
spiegel“ nachempfundene Burleske „Max
und Moritz“. Allerdings mußte er es er-
leben, daß die Berliner Kritik dieses Werk
fast ausschließlich ablehnte, da wohl ein
großes Können in der Instrumentation hör-
bar wurde, aber der gewaltige Apparat
(übergroßes Orchester und noch Klavier
dazu) in keinem rechten Verhältnis zu den
geäußerten, etwas bläßlichen Gedanken
stand, und auch der für eine solche Ton-
dichtung unerläßliche Humor ihm von
Natur nicht gegeben war. Während nun
dieses symphonische Poem für ihn einen Fehlschlag bedeutete, hatte er mit
seiner Oper einen desto größeren und berechtigteren Erfolg. Man ver-
sagte ihm nicht die ihm gebührende Achtung. Daraus geht hervor,
daß Mraczek aller Wahrscheinlichkeit nach als Simphoniker
nicht geboren ist, vielmehr die Lorbeeren in der musikalischen
Tragödie ernten wird. Es ist nur nötig, daß er recht-
zeitig seine eigene Individualität erkennt. Der talentvolle
Tonsetzer erblickte in Brünn am 12. März 1878 das
Licht der Welt. Sein Vater, Violoncellist am Stadt-
theater daselbst, war sein erster Musiklehrer und
führte ihn in die Kunst des Violinspiels ein. Später
studierte Mraczek noch auf dem Wiener Konserva-
torium. Nun folgten öffentliche Konzerte, die ihn
aber nicht recht befriedigten, weshalb er die Stelle
eines Konzertmeisters in seiner Vaterstadt annahm.
Von dieser Zeit an widmete er sich der Kom-
position, und schon 1902 hatte er die Oper „Der
gläserne Pantoffel“ vollendet. Außer der oben an-
geführten zweiten Oper und der Burleske schrieb
er noch verschiedene Lieder und Klavierstücke, auch
eine Musik zu „Kismet“, ferner ein Klavierquintett.
Seiner Wesensart gehört er der neuesten Musik-
richtung an. Hoffentlich werden wir von ihm noch man-
cherlei Bedeutendes hören, wenn er sich noch mehr in
den Gedanken und der Form gefestigt hat, eine Erwartung,
die bei der Begabung des Komponisten und seinem hohen künst-
lerischen Ernste alle Wahrscheinlichkeit für sich hat. Dr.P.E.

Komponist Joseph Gustav Mraczek.
 
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