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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 28.1913-1914

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13. Heft
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Anwand, Oskar: Impressionismus
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https://doi.org/10.11588/diglit.31172#0377

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MODERNE KUNST.

gestellt hatten, so gab er das Durcheinanderwogen der Farben, ihren gegenseitigen
Kampf und die Auflösung der Formen, sei es durch Sonne, künstliches Licht oder
Nebel wieder. Das hatte ein unbedingtes Vorherrschen des malerischen Elements
über das zeichnerische zur Folge; man schämte sich durchaus nicht, z. B. das Antlitz
eines Menschen, das ein Lichtreflex bedeckte, einfach als hellen Farbenfleck zu geben,
ohne sich um Nase, Augen und Mund zu kümmern, so wenig es die Sonne in diesem
Augenblick tat. Oder man ließ Teile von Brückenpfeilern fortfallen, die gleichfalls
Lichtschwaden bedeckt hielten. Aber auch die Kühnheit dieser Farbenspiele war nicht
ohne Vorgänger. Charakteristischerweise hat hier ein Künstler aus England, dem
Lande des Nebels, der alle festen Tormen zu wogenden Farbenklängen auflöst, mit der
Darstellung von Sonnenuntergängen bei Dunst und Nebel, mit der Wiedergabe daher-
brausender Lokomotiven, deren blendende Lichter durch Sturm und Regen romantisch-
märchenhaft leuchten, mit der Schilderung von Schneestürmen und mit ähnlichen
Visionen, welche die Wirklichkeit in die Gebilde von Farbenträumen zu entführen
scheinen, bahnbrechend gewirkt. Aber der Impressionismus begnügte sich nicht mit
den pathetisch-seltenen Motiven William Turners, dessen romantischer Zug bereits in
dem Titel des hier reproduzierten Gemäldes „Childe Harold" (nach Lord Byrons
gleichnamigem Epos) zum Ausdruck kommt. Gegenüber diesem Künstler aus der
ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts haben die französischen Impressionisten vom Aus-
gange dieses Säkulums auch für die schlichte Landschaft, die sie vor sich sahen, durch
den Flimmerglanz ihrer Gemälde gleichsam die chemisch-ästhetische Formel gefunden.
Gewiß ist der Impressionismus nicht französisches Eigentum. Unabhängig von dem
Kreise um Manet, ja früher als diese Künstler, hat z. B. Adolf Menzel in Bildern wie
dem Ausblick aus seinem Zimmer in der Ritterstraße, der Ecke des Balkonzimmers,
durch dessen weißen Vorhang das Licht fällt, und in ähnlichen Arbeiten Bilder von
einer Wahrheit und Frische des Lichtes gegeben, die im besten Sinne impressionistisch
wirken. Sie aber zur hauptsächlichen Forderung der Malerei zu machen und alle
erzählenden Momente beiseite zu schieben oder als untergeordnet anzusehen, war den
Franzosen Vorbehalten.
Wir werden durch Zolas Roman L'oeuvre über die Revolution, welche der Im-
pressionismus in der Künstwelt und über das Entsetzen, das er zunächst beim Publikum
hervorrief, aufs köstlichste unterrichtet. In dichterischer Behandlung spielt darin
Edouard Manets Gemälde „Das Frühstück im Freien" eine Rolle, auf dem zwischen
zwei sich gemütlich unterhaltenden Männern eine Frau im Waldesschatten — nackt
sitzt. Das deutet die Stärke und Schwäche des Impressionismus an, sein nur male-
risches Prinzip. Im Grunde kann man schon heute den erbitterten Kampf um diese
Kunst nicht mehr verstehen, da uns die errungenen Werte selbstverständlich erscheinen.
Freilich, sieht man sich Manets Bild „Argenteuil" an mit dem Dunst und der Auf-
lösung der Ferne und den Reflexen auf dem Wasser, so kann man ermessen, wie
ungewohnt und neu diese Malerei in den siebziger Jahren wirkte. Den Menschen
wiederzugeben, von Licht und Luft umflossen, die Staffelei aus dem Atelier heraus-
zurücken in die freie Natur und ihre Frische und Klarheit im Bilde festzuhalten,
wurde Manets Ziel. Frühstücksszenen im Hause ließ er solche in Gärten folgen, oder
versetzte seine Gestalten in ein Segelboot, ins Treibhaus usw. So ward ihm die freie
Natur zur Bühne, ohne daß er sich — wie noch Millet und Courbet auf ein be-
stimmtes Stoffgebiet, z. B. die Bauernwelt, festgelegt hätte — Luft Und Licht waren
seine Motive. Aber in der Komposition, hierin muß man Richard Muther bei-


Auguste Renoir: ln der Loge.

stimmen, erreichte Manet noch nicht die Zufälligkeit, Ungezwungenheit und Bewegt-
heit, die er erstrebte.
Das blieb andern Künstlern Vorbehalten, an denen eine neue Eigenart und Er-
rungenschaft des Impressionismus noch deutlicher als an Manet hervortritt. Während
die französische Malerei bisher die Landschaft, oder ländlich-idyllische Szenen, wie
z. B. Pastorale, mit Vorliebe wiedergab, hatten die Impressionisten auch als Maler den
Mut, Städter sein zu wollen. Die Schönheit von Paris wurde entdeckt, und zwar
Camille Pissarro der eifrigste Troubadour des Straßenlebens der Seinestadt — frei-
lich ein moderner Troubadour durchaus impressionistischen Gepräges. Auf den Brücken
und Boulevards, wo das Gedränge der Omnibusse,
Wagen und Fußgänger am stärksten flutet, fühlt sich
seine Kunst am wohlsten. Gewöhnlich gibt er dieses
zuckende, pulsende Leben von erhöhtem Stand-
punkte, etwa dem höchsten Geschoß eines Hauses
wieder, wo Menschen und Wagen, ähnlich wie vom
Kirchturme aus, nur als Farbenpunkte erscheinen.
Gleich den meisten Bildern der Impressionisten
wirken auch seine Gemälde in der Nähe nur als
Striche, Flecke und Tupfen; erst in der richtigen
Entfernung fügen sie sich dem Auge zum organi-
schen, lebensvollen, durcheinanderkribbelnden Ganzen
zusammen. An der Seite Pissarros wäre der noch
feinere Claude Monet zu nennen, den man als
den Lyriker unter den Impressionisten bezeichnen
könnte. Gerade er hat den Einfluß William Turners
am tiefsten erfahren, und zwar damals, als Durand
Ruel, der kühne, überzeugungstreue Impresario dieser
Gruppe von Künstlern, mit ihnen nach England ge-
flohen war, da ihm infolge des Unverständnisses
des Publikums der geschäftliche Ruin bevorzustehen
schien. Hier nun schuf Monet in seinen Bildern der
Towerbrücken bei Sonnenschein, Regen oder Nebel
gleichsam Gedichte der Farbe und des Lichts, die
aller irdischen Schwere entrückt schienen. Und wie-
der war es die Großstadt, die den Maler zu seinen
Träumen der Schönheit begeisterte.
Die Großstadt, ja ihre Vergnügungen, wie
Theater, Ballett, oder Rennbahn, oder ihre Arbeits-
stätten, in denen regstes Leben herrscht, sprechen
auch aus den Arbeiten desjenigen Impressionisten, der
am entschlossendsten den Einfluß jener außereuro-


Claude Monet: Blühende Apfelbäume.
 
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