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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 28.1913-1914

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13. Heft
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Rittland, Klaus: Die Ehen des Herrn von Brenkhusen, [8]
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https://doi.org/10.11588/diglit.31172#0379

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MODERNE KUNST.

Sie sprach nur selten davon. Auch er hatte es vermieden. Manch-
mal hatte er sie wohl zu früher Stunde ausgehen sehen, und auf seine
Frage: „Wohin?“ war die Antwort gewesen: „Zur Elisabethkirche, in die
Messe.“
Aber er hatte mehr eine Gewohnheit als ein Herzensbedürfnis darin
erblickt.
Vielleicht wurzelte sie doch tiefer in diesem Boden, als er ahnte?
Drei Tage später traf, mit einem sehr umfangreichen, rotbraun
lackierten Holzkoffer, die glückliche Großmutter aus Würzburg ein. Bis-
her hatte sie die Tochter nicht besuchen wollen. „Ich geh’ auf meine
alten Tage nimmer aus Würzburg raus“, hatte sie gemeint.
Aber nun war das etwas anderes; nun hatte sie einen Posten anzu-
treten.
Als Brenkhusen seine Frau im Sommer aus Würzburg abgeholt
hatte, war die alte Bürgerfrau noch etwas scheu und gezwungen dem
vornehmen Schwiegersöhne gegenüber gewesen. Jetzt hatte sich das
geändert. Jetzt fühlte sie sich als die Großmutter, die zum Hause ge-
hört, und nahm mit fester Hand die Zügel des Wochenstubenreichs in die
Hand. Die Pflegerin wurde sofort entlassen. „Dafür bin ich jetzt da.“
Und alles wurde so eingerichtet, wie es zugegangen war damals, als im
alten Domstraßenhause die kleinen Wurzlers sich eingestellt hatten.
Brenkhusen wurde wenig gefragt. „Was versteht denn ein Mann
von so Wochenstubensachen?“ meinte die Alte energisch. „Wenn er nur
sei’ Ruh hat und allweil sei’ Essen zur rechten Zeit.“
Übrigens herrschte ein gutes Verhältnis zwischen Schwiegermutter
und Schwiegersohn. Die Alte hatte so eine gute, zuverlässige Art. Sie
machte auch gar keine schlechte Figur, als die Zeit kam, wo die ersten
Besuche bei der jungen Mutter erschienen. In dem dunklen Hauskleide
sah sie ganz würdig aus, und in den Gesprächen, die bei diesen Be-
suchen geführt wurden, war sie ja so gut zu Hause. Mutter und Kind
blühten, daß es eine Freude war, wie Pflanzen, von verständiger Hand
gepflegt.
Und alles ging seinen geordneten Lauf. Ein bißchen eintönig fand
Brenkhusen das Leben jetzt manchmal in seinem Hause. Als ob die
ganze Welt aus nichts anderm bestände als aus Windeln, Milchflaschen,
Gummipfropfen, Kinderbadewannen.
Aber die Abende waren schön. Frau Wurzler, die bei dem Kinde
schlief, ging bald zur Ruhe; auch Fanny brauchte den Schlaf noch nötig.
Und Curt Brenkhusen saß so still und ungestört in seinem Arbeits-
zimmer, als ob die Zeit anderthalb Jahre zurückgeschritten wäre.
Manchmal, wenn er sich tief in irgendein Buch eingesponnen hatte und
dann zur Wirklichkeit erwachte, kam es ihm ganz unwahrscheinlich vor,
daß dort drüben, im Seitenflügel, sein Weib und seine Tochter schlum-
merten.
Gern hätte er in dieser Zeit die alte Freundin manchmal aufgesucht.
Aber der Arzt hatte sie mit ihrem armen Bodo in einen Winterkurort,
ein Thüringer Sanatorium, geschickt.
Fanny, die Jüngere, war schon über zehn Wochen alt, und ihre Groß-
mutter nach Würzburg heimgereist, da suchte Brenkhusen eines Tages,
als er von einem Spaziergange heimkehrte, seine Frau vergebens in
Wohnzimmer und Kinderstube.
Er trat in den Salon, der auf eine Glasveranda führte. Liier wurde
manchmal der Kinderwagen hinausgeschoben, damit die Kleine frische
Luft schöpfen sollte.
Richtig, dort stand der hübsche, schneeweiß lackierte Wagen mit
zurückgeschlagenem Verdeck. Die Nachmittagssonne schien auf das
flaumige Blondköpfchen, und Fanny, die Jüngere, stieß zufriedene Kräh-
tönchen aus, als ob sie die Wohltat der milden Vorfrühlingsluft angenehm
empfände.
Über den Wagen gebeugt aber stand eine Frau — nicht die glück-
liche Mutter. — —
So tief versunken stand sie in den Anblick des Kindes, daß sie die
Schritte im Salon überhört hatte. — —
Gestern war Annelise heimgekehrt, und heute sollte ihr erster Besuch
der jungen Frau von Brenkhusen gelten. Da sie Fanny nicht daheim
getroffen, hatte sie gebeten, das Kind sehen zu dürfen. Man hatte sie
hinaufgewiesen. Nur aus Neugierde will ich es sehen, überredete sie

sich selber; das Kind dieser fremden jungen Frau geht mich sehr wenig
an; natürlich ist es ein Renommierbaby, fett und rund, mit großen
schwarzen Augen.
Annelise nahm sich vor, dem Kinde nur einen flüchtigen Blick zu
gönnen. Aber als sie vor den weißen Wagen trat, kam etwas Seltsames
über sie. Dieses Kindchen war ja gar nicht das derbe bräunliche Baby,
das sie erwartet hatte. Mit dem sicheren Blicke der Frau — nur Frauen
haben diesen richtig einschätzenden Blick für so ein Menschenknöspchen
— erkannte sie die Art dieses kleinen Wesens: es war nicht die Art der
schönen Mutter. Es war der feine, blonde norddeutsche Typus: Curt
Brenkhusens Tochter.
Zuerst hatte die Kleine das Mündchen zum Weinen verzogen. Aber
dann besann sie sich eines Besseren und starrte das fremde Gesicht mit
hellen Blauäuglein freundlich an. Diese Augen hatten schon einen ge-
wissen Ausdruck — vielleicht sah nur Annelise ihn hinein; für andere
war das kleine Ding vielleicht ein ganz gewöhnliches Durchschnittsbaby.
Annelise aber fühlte sich seltsam ergriffen. Sie hatte es nicht ge-
wollt, nicht für möglich gehalten: heiß und zärtlich schlug ihr Herz
diesem Geschöpfchen entgegen. Etwas Liebes, Vertrautes blickte aus
diesen unfertigen Zügen zu ihr auf und — seltsam! — etwas Eignes.
Sie hätte keinem erklären können, worin es lag, aber sie fühlte es
mit wunderlicher Gewißheit: so müßte ihr Kind aussehen, wenn das
Schicksal ihr dieses Glück gegönnt hätte, ihr Kind —• und sein Kind.
Heiß strömte ihr Blut zum Herzen, da dieser Gedanke sie ergriff,
mit schmerzender Gewalt, mit schwerer Süße und Sehnsucht fiel er auf
sie nieder und ließ ihr Wesen in seinen Tiefen erzittern.
Auf den Grund sah sie jetzt dieses starken Gefühls, das den Inhalt
ihres Lebens gebildet hatte — seit Jahren. Sie war ganz ehrlich ge-
wesen — hatte ganz ehrlich sein wollen, als sie die Schleier über dieses
Gefühl geworfen hatte, deren sie bedurfte, um ihre Selbstachtung zu
bewahren. Geistige Übereinstimmung, gemeinsames Seelenband, Freund-
schaft, geistige Ehe, Wahrheit war alles gewesen und dennoch —
Schleier.
Jetzt riß ein starkes Erleben die Schleier weg. Und die einsame
Frau sah in Tiefen hinab, aus denen ein Hauch ihr entgegenschlug, der
alles Innerste ihrer Seele weckte. Banges Erschauern kam über sie,
Seligkeit und heiße, schmerzliche Sehnsucht. Sie wußte jetzt, daß die
Liebe des Weibes zum Manne, und mag sie noch so künstlich sich hüllen
in allerlei zarte, feingeistige Gewänder, mit ihrer letzten Wurzel doch
ankert im Grunde der Natur, der lebenzeugenden, blindgewaltigen Dumpf-
heit des Naturwillens. Und wenn die Lebenswege der beiden, durch
innige Neigung verbundenen Menschen auch ganz andere Ziele verfolgen,,
und wenn der Verstand, der wache Wille auch die Möglichkeit andern
als seelischen Besitzes weit von sich weist — der Grundton, aus denn
diese künstlich verschlungene, reich variierte Melodie aufsteigt, dringt
doch hervor aus dem Dunkel schaffender Naturkraft: die Sehnsucht nach
neuem Leben, von diesem Mann in ihrem Schoße geweckt, das ist die
Liebe des Weibes.
Nur selten hatte Annelise diesem Grundtone gelauscht. Sie gehörte
nicht zu den kinderlosen Frauen, die Schmerzenstränen um das versagte
Glück weinen und das nicht gekannte in ihrer Vorstellung mit über-
triebener, krankhaft gesteigerter Poesie umkleiden. Sie hatte kühl über-
legen den „Schrei nach dem Kinde“ als Hysterie verurteilt. Absurd, das-
höchste, einzige Glück des Weibes sollte im Hervorbringen eines neuen
Wesens liegen? Vor allem hat man sein eignes Leben schön und würdig“
zu gestalten. Ist das nicht Daseinszweck genug?
Nein, sie hatte die Sehnsucht nach Mutterglück überwunden, hatte
sich abgefunden mit dem Schicksale der Kinderlosen seit langer Zeit.
So hatte sie einst geglaubt.
Und nun? — In dieser Stunde erkannte sie, daß ihre Seele heim-
lich lechzte nach dem tiefsten Frauenglücke — nach dem letzten Worte
der Liebe — — —
Tief beugte sie sich über das kleine Wesen herab — —
Und Brenkhusen stand von ferne, wundersam bewegt von ihrem-
Anblick.
Jetzt richtet sie sich wieder auf, den Kopf zurückbiegend — was.
war das für ein Ausdruck leidenschaftlichen Schmerzes? Und nun —
 
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