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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 28.1913-1914

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13. Heft
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Rittland, Klaus: Die Ehen des Herrn von Brenkhusen, [8]
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https://doi.org/10.11588/diglit.31172#0381

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I 6 2

MODERNE KUNST.

ganz deutlich nahm Curt Brenkhusen es wahr — Tränen? Nie hatte er
Annelise noch weinen sehen. Der Anblick erschütterte ihn. Von neuem
neigte sich das tränenfeuchte Antlitz über das weiche Gesichtchen dort
im Wagen. Ein leiser, behutsamer Kuß. Und dann, kaum hörbar, die
Worte, von Innigkeit und Weh durchzittert: „Mein Kind, du — mein
eignes!“ —
Brenkhusen hatte ein Gefühl, als ob er sich schämen müßte, als ob
er frevelnd in ein Heiligtum gedrungen wäre. — Gern hätte er sich still
entfernt, aber er fürchtete, sich durch die Bewegung zu verraten.
Da traf ihn ihr Blick.
Ein Schreck, heftiges Erröten. Dann richtete sie sich hoch empor,
mit schneller, straffer Bewegung und kam lächelnd auf ihn zu: „Ich habe
mir erlaubt, Ihrem Fräulein Tochter einen Begrüßungskuß zu geben. Ein
prächtiges kleines Ding. Gratuliere zur Vaterwürde!“
Sie schüttelte ihm die Hand und ließ sich in einen Lehnstuhl fallen,
sehr bequem, die Füße vorgestreckt, ein wenig kokett, so daß man die
Spitzen der zierlichen grauen Lederschuhe sehen konnte — und sie
plauderte von dem Leben im Sanatorium, von einem Teller aus alt-
sächsischem Edelzinn, den sie erhandelt hatte, von den neuesten Ereig-
nissen im Bekanntenkreise — — —
„Wie ist das möglich?“ grübelte Curt Brenkhusen. „Wie kann ein
Mensch sich derartig in der Gewalt haben?“ Fast glaubte er jetzt an
eine Täuschung seiner Sinne. Die flirrenden Sonnenlichter, die durch
das Gezweig vor der Veranda hereindrangen, hatten ihm die Tränen
auf ihren Wangen vorgespiegelt — aber die Worte, diese seltsamen
Worte?
Er saß wie betäubt, wie aus einem Traume geweckt. Da ließ eine
scheinbar leicht hingeworfene Bemerkung der Freundin ihn aufhorchen:
„Wissen Sie auch, daß Holtenau nun definitiv geht? Ich traf heute
seinen Sohn, den Referendar. Es ist damals, im Sommer, doch ein
Schlaganfall gewesen. Ich habe übrigens nie an die Nikotinvergiftung
geglaubt. Nun ist eine Wiederholung gekommen, nur leicht, aber sie hat
den Ausschlag gegeben. Ja.“
„O, das tut mir leid,“ sagte Brenkhusen, nicht eben tief erschüttert.
Mit einem freundlich lauernden Blicke sah Anneliese ihn von der
Seite an.
„Kurz vorher hatte ich die Zernitz gesprochen und von ihr gehört,
daß ihr Mann heute nach Berlin reist. Sollten diese beiden Ereignisse“
— sie sprach in scherzend tief nachdenklichem Tone — „wohl in irgend
einem Kausalzusammenhänge stehen?“
Brenkhusen lächelte. Jetzt wußte er, weshalb sie so eilig zu ihm
gekommen war: die alte Gewohnheit, über seine Interessen zu wachen.
Holtenau war der hannoversche Regierungspräsident. Und Annelise
wußte ganz genau, daß ihr Freund auf diesen Posten rechnete. Nie
hatten sie mit deutlichen Worten davon gesprochen. Aber das war bei
ihnen auch gar nicht nötig.
Auch was sie ihm von Zernitz mitteilte, war wohlüberlegt. Der war
der einzige, der wohl außer ihm in Frage kommen konnte — —
Schlau lächelnd fuhr Annelise fort: „Die gute Zernitz meinte, ihr
Mann wollte seine Schwester in Berlin besuchen; er hätte sie so lange
schon nicht mehr gesehen; hm, ich weiß zufällig, daß er sich mit dem
alten Fräulein wie Hund und Katze steht. Ja, brüderliche Gefühle er-
wachen manchmal zur rechten Zeit. — Übrigens“, fuhr sie nach kurzer
Pause fort, „hat Zernitz ganz recht. Es schadet nichts, hin und wieder
mal Unter den Linden guten Tag zu sagen.“
Ihr Freund mußte lächeln über den Eifer,
mit dem sie um seine Karriere besorgt war.
Er selber zweifelte kaum, daß sein Wunsch
in Erfüllung gehen würde. Er hatte ja den besten
Fürsprecher an seinem Chef.
Ohne ihr seine sehr bestimmte Hoffnung
direkt einzugestehen, machte er doch eine Be-
merkung, die durchblicken ließ, wie fest er auf
sein gutes Verhältnis zu dem Oberpräsidenten
baute.
Annelise sah nachdenklich vor sich nieder.
„Der Oberpräsident? So? ■— Ja —“

Es war, als ob sie etwas sagen wollte und sich scheute, ihre Ge-
danken laut werden zu lassen.
Brenkhusen lenkte das Gespräch ab auf etwas Unpersönliches. Er
war heute nicht sehr zur Unterhaltung aufgelegt. Immer wieder sah er
das Bild vor sich, das ihn vorher so seltsam bewegt hatte.
Und es war doch kein Irrtum gewesen. Er sah ja auch die Tränen-
spuren um ihre Augen.
Die sonst so klare, ruhige Gesichtsfarbe war durch rötliche Flecken
entstellt.
Was mochte durch ihre Seele gezogen sein? — —
Es drängte ihn, ihr etwas zu sagen, das ihr Wohltat.
„Wir müssen uns jetzt wieder öfters sehen,“ meinte er nach län-
gerem Stillschweigen, „Sie haben mir diesen Winter sehr gefehlt.“
„O — “ Mit einem glücklichen Blicke sah sie zu ihm auf; bald aber
trübte er sich wieder. „In einigen flüchtigen Momenten vielleicht —
wenn Sie gerade das Bedürfnis fühlten, über Walter Pater zu sprechen
mit einem Menschen, der auch einigen Geschmack für den raffinierten
Stil Ihres Lieblings hat, oder wenn Sie — aber schließlich im Grunde
brauchen Sie mich doch jetzt nicht mehr; ich bin jetzt nur noch ein
selten benutzter Luxusartikel.“ Sie sagte es leichthin, scherzend, aber
ihre Stimme bebte.
Er ergriff ihre Fland. „Doch, liebe Freundin, ich brauche Sie sehr,
sehr nötig. Das habe ich in diesen letzten Monaten mehr denn je ge-
fühlt, trotz allem,“ — sein Blick suchte den weißen Wagen auf der
Veranda, in dem jetzt friedliche Schlummerstille herschte — „trotz der
neuen großen Freude, die mir das Schicksal geschenkt hat. Sie nehmen
eben einen ganz besonderen Platz in meinem Herzen ein. Den kann
kein anderes menschliches Wesen ausfüllen, selbst das Püppchen dort
nicht.“
In diesem Augenblicke trat Fanny ein. Unwillkürlich löste Annelise
ihre Hand aus der des Freundes — ein wenig zu spät, das sagte ihr
der scharfe Blick der jungen Frau.
„Sie haben meinem Manne Gesellschaft geleistet, gnädige Frau? Das
ist sehr lieb von Ihnen.“
Durch ihre Worte klang etwas, das Annelise peinlich berührte.
Sie sagte noch ein paar freundliche Dinge über das Kind. Dann
ging sie.
„Wie prachtvoll gesund und ruhig die Kleine schläft“, sagte Brenk-
husen, neben seine Frau tretend, die dem Kindchen sein Spitzenkissen
zurechtzupfte.
Ein kalter Blick. „Weshalb soll sie nicht ruhig schlafen? Sie hat
halt noch ein gutes Gewissen.“
Erstaunt über ihren bissigen Ton sah er auf. „Was ist dir denn?
Llabe ich dir etwas zuleide getan?“
Sie zuckte höhnisch die Achseln. „Wie man’s nimmt. Das Hände-
getätschle mit einer andern soll doch wohl eine Frau nit freuen? So
fangt’s an — oder wieder an!“
Unwillig runzelte er die Stirn. „Fanny, du sprichst von Frau
von Schönwald!“
Sie nickte trotzig. „Na ja. Von wem denn sonst?“
„Mit meiner treuen Freundin hab’ ich schon manchen Händedruck
gewechselt und werde noch manchen wechseln“, erwiderte er ruhig.
Fanny schwieg. Den ganzen Abend blieb sie mißlaunig.
Aber am nächsten Morgen war sie wieder vergnügt — sogar extra
liebenswürdig. Es galt, Curt günstig zu stimmen
für den Zirkusbesuch, den sie mit dem Ehepaar
Kollmann für den heutigen Abend verabredet
hatte. Nachher wollte man bei Kasten soupieren.
Der Bariton vom Stadttheater wollte sich auch
dazu einfinden — er verkehrte bei Kollmanns —-
und ein netter junger Kaufmann, der prachtvoll
Witze erzählen konnte. Fanny freute sich schon
wie ein Kind auf den genußreichen Abend.
Ihr Mann sagte Ja zu allem, was sie ihm
schmeichelnd vorschlug.
Er war in nachdenklicher, gegenwartent-
rückter Stimmung.


[Fortsetzung folgt.]
 
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