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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 28.1913-1914

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13. Heft
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Staby, Ludwig: Auf Reinekes Liebespfaden
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Brindejont-Offenbach, Jacques: Parsifal in der Großen Oper zu Paris
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https://doi.org/10.11588/diglit.31172#0384

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MODERNE KUNST.

165

Überraschung ein starker Fuchs wie aus dem Boden gewachsen dicht vor mir,
mein heftiger Griff nach dem Gewehr ließ ihn aber sofort wieder in der Schonung
verschwinden.
Ärgerlich und innerlich wütend, stand ich eine ganze Weile verblüfft auf
demselben Fleck, da — ich glaubte meinen Augen nicht zu trauen — stand der
Rote wieder vor mir auf derselben Stelle. Das Gewehr hochreißen und Dampf
machen war eins, aber die buschige Standarte winkte eiligst zum Abschied;
ich hatte in der Aufregung glatt vorbeigeschossen, was mich veranlaßte, sofort
nach Hause zu gehen.
Sehr sonderbar war das Verhalten dieses Fuchses, und ich kann es mir nur

*m Neujahrstage erlebte Wagners Parsifal seine erste Aufführung an der Großen
Oper zu Paris. Diesem bedeutenden künstlerischen Ereignis gingen um-
fassende Vorbereitungen voraus. Von heiligem Eifer erfüllt waren Ein-
studierung und Proben, ganz Frankreich hieß das hehre Drama Richard Wagners
mit ehrlichem Stolze in seiner Academie Nationale de Musique willkommen und war
bestrebt, ihm eine glänzende Aufführung mit vollendeter Interpretation zu sichern.
Um dieses Ziel zu erreichen, wurden weder Mühen noch Opfer gescheut, und es
unterliegt keinem Zweifel, daß alle diejenigen, welche ihre ganze Kraft in den Dienst
des herrlichen Werkes stellten und an der Vollendung der hohen Aufgabe mitwirkten,
die Stunde der erstmaligen Aufführung nicht ohne tiefe, innere Bewegung herannahen
sahen. Aber mit ebenderselben seelischen Spannung harrten alle diejenigen des großen
Augenblicks, die in früheren Jahren einmal das Glück hatten, einer Aufführung des
„Parsifal" im Festspielhause zu Bayreuth beizuwohnen. Wenn man die unberechtigte
Vorstellung, welche durch den Mangel an Zartgefühl im vorigen Jahre von Raoul
Gunzbourg in Monte Carlo veranstaltet wurde, unberücksichtigt läßt, dann ist Paris
in der Tat die erste europäische Stadt, die an jenem Tage, da Wagners Parsifal
für alle Bühnen freigegeben wurde, der sehnsüchtig harrenden Menge die unver-
gleichlichen Schönheiten des herrlichen Meisterwerkes darbot.
Alle diejenigen, welche zu der Gefolgschaft Wahnfrieds gehören oder zu ihr in
engeren Beziehungen stehen, haben die Befürchtung ausgesprochen, daß die Große
Oper für die tiefreligiöse Innigkeit dieses Musikdramas keinen sonderlich geeigneten
Rahmen abgeben werde. Die Große Oper mit ihren gewaltigen Raumdimensionen,
ihrem Orchester, ihrem ganzen Bühnenapparat und ihrem Salle Charles Garnier
scheint nicht gerade prädisponiert für ein Werk, dessen edle Reinheit die denkbar
vornehmste Einfachheit und Anspruchslosigkeit der Umgebung gebieterisch fordert.
Das Orchester, das übrigens vollständig sichtbar ist, befindet sich mit dem
Parkett in gleicher Höhe — die Große Oper hat keinen verdeckten Orchesterraum —
und der Zuschauer wird keinen Augenblick von der Illusion getragen, als drängen
die ttrewigen Melodien aus mystischer Tiefe, als stiegen sie wie Opferrauch empor,
der die religiösen Zeremonien mit höchster, unirdischer Weihe umgibt. Dabei scheint
das intime Moment der Handlung besonders beim Auftreten Parsifals und Kundrys
durch den allzu offenen, ausgedehnten Bühnenraum in seiner Wirkung beeinträchtigt,
und der Zuschauer vermag bei der Liebesszene ein peinliches Gefühl der Indiskretion
wohl nicht ganz loszuwerden. Auch behindern die Logen, die zu dicht an die Bühne
herantreten, den freien Blick, und das Publikum im Parkett wird außerdem durch
das bei vorgehaltenem Fächer im Flüsterton übliche Geplauder der Herren und Damen
zuweilen nicht unerheblich in seiner Stimmung gestört.
Leider muß zugegeben werden, daß man in Frankreich, besonders aber in
Paris, ungeachtet der tüchtigen Komponisten, die es geboren hat, und die den be-
deutendsten der Welt zuzurechnen sind, die Musik nicht liebt „um ihrer selbst willen."
Man schätzt sie aus einem gewissen Snobismus, ohne sie immer zu verstehen, man
hört ihr um so lieber zu, je weniger sie die Konversation der Logenabonnenten beein-
trächtigt oder gar deren Stimme übertönt. Hätte man in Paris wirklich etwas für
Musik übrig, so hätte man das Theätre des Champs Elysees nicht fallen lassen dürfen,
als es sich nach vielen ungewöhnlichen Anstrengungen und künstlerischen Offen-
barungen gerade anschickte, den „Parsifal" in der Besetzung der Bayreuther Bühne
mit deren Chören einzustudieren.
Welchen Eindruck muß schließlich Wagners Parsifal bei einem gewissen Publikum
hervorrufen, dessen Erziehung nicht erstklassig genannt werden kann und dessen
Geschmack manchmal recht mittelmäßig ist; bei einem Publikum, das den musikalischen
Realismus eines Charpentier dem Klassizismus eines Lully, eines Rameau und eines
Gluck vorzieht, und welches sich bei den faden Klängen eines Puccini oder Mascagni
glänzend unterhält, so daß es naturgemäß die gewaltigen und machtvollen Schöpfungen
eines Vincent d’Indy oder eines Paul Dukas scheut und verschmäht. Und dennoch
sind die Franzosen für Schönheit empfänglich, sie werden leicht von einem Meister-
werk mit fortgerissen, und wenngleich sie es nicht in seiner ganzen Größe erfassen,
so sind sie doch ergriffen, der Hauch des Erhabenen hat sie berührt. Sind sie bei
großen Darbietungen vereinigt, so ist ihre Aufmerksamkeit von vornherein geteilt, „ils
doivent paraitre“. Man braucht dann nicht lange zu fragen, wer die Schönheiten eines
„Parsifal“ tiefer empfindet — das Publikum der Galerien oder das der ersten Logen!
Dennoch hatte die Große Oper alles aufs beste vorbereitet. Die Rollenverteilung,
so wie sie die Theaterzettel ankündigen, zeigte die Namen der bedeutendsten und ge-

so erklären, daß er beim ersten Erscheinen wohl durch meine Bewegung ver-
scheucht wurde, aber nicht im klaren war, was dort eigentlich gewesen, deshalb
kam er, um sich zu überzeugen, wieder.
Wenn auch noch andere Jagdarten, wie Ansitz und Treiben auf den Fuchs
angewandt werden, so ist doch gerade die Rollzeit, wenn der Fuchs auf Liebes-
pfaden wandelt, für die Teckeljagd und die Hasenquäke am besten, und sie
können daher dem Weidmann, der sein Wild hegen und vor den Fängen der
roten Räuber bewahren will, nicht dringend genug empfohlen werden, außerdem
haben sie einen so großen Reiz und bieten soviel des Interessanten, wie sonst
kaum eine andere Jagd.

[Nachdruck verboten.]
feierlsten Bühnenkünstler Frankreichs. Die Rolle des Parsifal liegt in den Händen
des jugendlichen Heldentenors Franz, der den Tristan bereits mit hohem Schwung
verkörpert hat. Mit seinen edlen Stimmitteln, seinem weichen, modulationsfähigen
Organ und seinem angeborenen Talent bringt er den Gralsritter zur Darstellung.
Obgleich er sicherlich einer der begabtesten und gewissenhaftesten Künstler ist, muß
es doch dahingestellt bleiben, ob er die schwierige Rolle ganz erfaßt und bis ins
äußerste seelisch durchdringt. Er ist nicht immer ein guter Schauspieler, eine gewisse
angeborene Schwerfälligkeit weicht nie ganz von ihm. Mag sie ihm in dieser Rolle
vielleicht gerade zum Vorteil gereichen, so verfügt er doch weder in Geste, noch in
Stil und Sprache über die meisterhafte Vollendung eines Ernest van Dyck. Neben
Franz erscheinen die Herren Delmas, Lestelly, Journet und Gresse als Gurnemanz,
Amfortas, Klingsor und Titurel.
Delmas, der erste Baß der Großen Oper ist dem Pariser Opernpublikum bereits
aus allen Heldenrollen der Wagnerschen Werke bekannt. Sein Spiel, das im allgemeinen
einen etwas konventionellen Charakter trägt, wird die Rolle des Gurnemanz diesmal
vortrefflich bewältigen, und seine Stimmittel können all ihren Glanz und ihren
Reichtum in höchster Fülle entfalten.
Lestelly trifft mit der Schwermut, die aus seiner Stimme klingt, ganz vorzüglich
die vom Heimweh ergriffene Gestalt des Amfortas; seiner ganzen Persönlichkeit nach
ist er für diese Rolle geradezu geschaffen.
Journet bringt Klingsor zur Darstellung und findet an diesem Platze eine will-
kommene Gelegenheit, seine glänzenden dramatischen Anlagen zu zeigen, und Gresse
beschert uns in der Rolle des Titurel sicherlich keine Enttäuschung.
Alle Mitglieder der Großen Oper sind bei der Inszenierung von Wagners
unsterblichem Musikdrama herangezogen. Die Blumenmädchen werden durch die
ersten Sängerinnen, die Ritter der Tafelrunde durch Sänger, deren Ruf längst an-
erkannt ist, zur Darstellung gebracht.
Kundry endlich wird durch die berühmteste unserer modernen Opernsängerinnen,
Mademoiselle Lucienne Breval, verkörpert. Ihr Talent ist uns bereits aus den größten
klassischen Heldinnenrollen — Iphigenie, Carmen, Penelope u. a. — hinlänglich be-
kannt. In der Rolle der Kundry sieht sie den Traum ihrer Bühnenlaufbahn, ja den
Traum ihres Lebens erfüllt. Lucienne Breval, die in Paris schon bei den Aufführungen
der „Walküre“, des „Siegfried“, der „Meistersinger“ und der „Götterdämmerung" mit-
gewirkt hat, die die Venus im „Tannhäuser" gab, ist eine bewunderte und gefeierte
Interpretin bedeutender Frauenrollen der Wagnerschen Werke und hat uns schon
wiederholt Beweise ihrer edlen Kunst erbracht. Die Reinheit ihrer Stimme, die
Schönheit ihrer ganzen Erscheinung, die Harmonie und Geschlossenheit ihres Spiels,
ihre Haltung, ihr Stil, ihre Gewandheit und Beweglichkeit, das alles ließ von dieser
ungewöhnlich talentierten Künstlerin eine geradezu ideale Kundry erwarten. So hofft
sie, uns eines Tages auch mit der „Isolde" in ihrer ureigensten Auffassung zu über-
raschen. Lucienne Breval verkörpert mit ihrer Kundry die Frau, in deren Wesen
gleichzeitig Güte, Ruhelosigkeit und Bosheit zum Ausdruck kommen. Sie führt die
drei charakteristischen Grundmotive der Rolle — hingebende Liebe, glühende Leiden-
schaftlichkeit und Mitleid — in solcher Vollendung durch, daß trotz der inneren
Zerrissenheit die Einheitlichkeit der Persönlichkeit von Anfang bis zum Ende doch in
überraschender Weise gewahrt bleibt. Die Künstlerin hat mehrere Reisen nach Bayreuth
unternommen und Wagners Meisterschöpfung wohl mehr als zehnmal an Ort und
Stelle gehört; es war mit Bestimmtheit zu erwarten, daß sie ihre schwierige Rolle
ganz im Sinne des Komponisten zur Darstellung bringt. Sie ist von der Überzeugung
durchglüht, daß Wagners Werk, so wie es vorliegt, der Inbegriff höchster künst-
lerischer Vollendung ist. „Parsifal est immuablel", das ist ihr Bekenntnis.
Die Vorstellung bewegt sich restlos in den Bahnen der Bayreuther Tradition,
weder Szenerie noch Kostümierung haben die leiseste Änderung erfahren. Andre
Messager sitzt am Dirigentenpult, der ausgezeichnete Komponist, in dessen Händen
die Leitung des Orchesters der Großen Oper seit sieben Jahren liegt, und den wir
mit Abschluß dieser Saison zum letzten Male an diesem prominenten Platze sehen.
Nachdem er die' Einstudierung und alle Proben des Werkes geleitet hatte, wollte er
trotz der mannigfachen Schwierigkeiten, die ein unerwarteter Direktionswechsel mit
sich bringt, nicht vor Vollendung seiner großen Aufgabe zurücktreten. Seine Opfer-
freudigkeit und all seine Mühen finden ihren wohlverdienten Lohn in dem glänzenden
Erfolge der Parsifal-Aufführungen, an deren Gelingen Andre Messager nicht zuletzt
in hohem Maße beteiligt ist.

Parsifal in der Großen Oper zu Paris.

Von Jacques Brindejont, Offenbach.


XXVTTT. 42.
 
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