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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 28.1913-1914

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14. Heft
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Rittland, Klaus: Die Ehen des Herrn von Brenkhusen, [9]
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https://doi.org/10.11588/diglit.31172#0407

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172

MODERNE KUNST.

einsamt vor. Und daß sie nicht eben wählerisch in der Auswahl ihrer
Freunde, daß ihr Geschmack dem seinen entgegengesetzt war, konnte
Curt ihr darum zürnen?
Nein. Heute noch, wie vor Jahren, hatte er das Gefühl, ungerecht
zu sein, wenn er ihr etwas vorwerfen wollte. Kann man einem Menschen
seine Natur, seine Wesensart — vorwerfen? — Er sagte ihr auch nie
ein unfreundliches Wort
Er zog sich nur in sich selber zurück.
Seinen Geschmack, seine Ansichten suchte er nie mehr, ihr aufzu-
drängen. Weshalb vergeblich sich mühen?
Vielleicht lag auch ein Grund seiner häufigen Mißstimmungen in den
beruflichen Erlebnissen dieser anderthalb Jahre. Er hatte zwei herbe
Enttäuschungen erlitten. Den Posten des Hannoverschen Regierungs-
präsidenten hatte Zernitz erhalten — zu Brenkhusens äußerstem Be-
fremden. Wie unerschütterlich fest seine Hoffnung gewesen war, merkte
er erst, da sie scheiterte.
Und als liebe Freunde ihm dazu halfen, daß er den Grund der Zu-
rücksetzung ahnte, wurde ihm die Pille nicht versüßt.
Noch heute dachte er mit peinlichen Empfindungen an eine Nach-
mittagstunde bei Annelise, kurz, nachdem die Entscheidung gefallen war.
Er hatte dort Altringens getroffen, und, treu ihrer Gewohnheit, hatte

Annelise gönnte dem Freund alles Gute, sie hatte sich manches Mal
für seine junge Frau in die Schanze geschlagen, hatte manches Mal ganz
unvermerkt kleine Taktlosigkeiten Fannys wieder gutgemacht — aber ob
die Nuance einer leisen Genugtuung ganz fehlte in ihrem Mitgefühle mit
dem Enttäuschten? Freilich würde sie nie etwas auf die junge Frau
von Brenkhusen kommen lassen. Nein, sie nicht. Aber wenn andere
über sie die Achsel zuckten — —■?
Jetzt wurde Brenkhusen vieles klar, viele kleine Erlebnisse, denen
er früher keine Bedeutung beigelegt, nahmen jetzt ein boshaftes Ge-
sicht an — —
Er fühlte, daß seine unliebenswürdige Cousine recht hatte. Sie sagte
überhaupt meistens die Wahrheit — leider.
Die junge Frau von Brenkhusen hatte sich keine Stellung zu machen
gewußt. Man belächelte sie. Man zählte sie nicht für voll.
„Ungerechte, neidische Seelen!“ dachte Brenkhusen. „Fanny ist
nicht nur schöner als die andern Weiber, nein, auch besser als die
meisten. Nicht das Geringste kann man ihr nachsagen.“
Und er nahm sich vor, sie durch doppelte Güte für die Zurück-
setzung der Gesellschaft zu entschädigen. Er hatte sie gewählt und
stand zu ihr. Ja — und dennoch — der Tropfen Gift sickerte heimlich
ein, das ohnehin so morsche Gewebe weiter zersetzend. —


Richard Müller:
Frau von Altringen prompt das Thema „der neue Regierungspräsident“
in Angriff genommen. Ihr Mann hielt Zernitz für unbedeutend, aber er
wüßte sich gut in Szene zu setzen. „Und er wird tadellos repräsen-
tieren“, hatte seine Gattin zugefügt. „Die Frau vor allem, die hat das
ganze Selbstbewußtsein der reichen Bremer Patriziertochter, ein bißchen
steif, aber sie imponiert. Auf die Frau kommt ja sehr viel an in so
einer repräsentativen Stellung.“
Das war Brenkhusen nichts Neues, aber aus diesem Munde, in diesem
Augenblicke, fiel ihm die Feststellung der Tatsache sehr peinlich auf die
Nerven.
Der Blick, den Frau von Altringen bei ihren Worten zu Annelise
hinübersandte, lieferte zudem noch einen sehr deutlichen Kommentar.
Annelise suchte das Gespräch abzulenken, aber ohne Erfolg. Die
Altringen biß sich fest und zählte alle Fälle aus ihrer Erinnerung auf, in
denen eine repräsentative Frau oder eine „unmögliche“ den Ausschlag
für die Karriere des Mannes gegeben hatte.
Brenkhusen saß dabei und hatte das angenehme Gefühl eines, der
langsam auf dem Roste gebraten wird.
Daß Annelise auch nicht mit kräftiger Hand den Gesprächsfaden ab-
schnitt, sie, die Gewandte.
Aber — vielleicht war es ihr selber nicht unangenehm, daß er auf-
geklärt wurde?
„Jede Frau, auch die beste, hat einen kleinen Bodensatz von Nieder-
trächtigkeit in ihrer Seele verborgen,“ dachte er, aufs tiefste verstimmt.
Ob mit Recht? — Vielleicht.
Die Menschenseele ist ein verwickeltes, bunt schillerndes Ding.

Maus mit Lorbeerzweig.
Eine neue Hoffnung war aufgetaucht, als der Regierungspräsident
an einem kleineren Orte starb, ein sehr alter Herr, als dessen Nach-
folger Brenkhusen früher häufig bezeichnet worden war, da noch keine
Aussicht für die Erledigung des Hannoverschen Postens bestanden hatte.
Aber auch diese Hoffnung schlug fehl, und Brenkhusen suchte sich
mit dem Gedanken abzufinden, daß er zum alten Eisen geworfen war,
zu den Erledigten, die man auf ihrem Posten ergrauen läßt, denen man
alle schuldige Achtung erweist, weil sie keine silbernen Löffel gestohlen
haben — —
Er, der innerlich Ehrgeizige, der scheinbar nie ambiert hatte — weil
. ihm alles von selber zugefallen war.
Und nun — Resignation? Schwer zu fassen. Gegen Fanny er-
wähnte er natürlich kein Wort, weder von seiner gescheiterten Hoff-
nung noch von der beschämenden Rolle, die sie in diesem Ehrgeizdrama
gespielt hatte — wahrscheinlich gespielt hatte — —
Er besprach ja nie Dinge mit ihr, die seinen Beruf angingen —
überhaupt sehr wenige Dinge. Der gemeinsame Interessenkreis zog sich
immer enger zusammen: häusliche Fragen und das Kind. Die Liebe zu
dem Kinde — das war der einzige Funke, der noch von einem Herzen
zum andern übersprang, das einzige gemeinsame Seelenbesitztum.
Wenn Curt Brenkhusen Sehnsucht nach einem Menschen hatte, nach
freundschaftlichem Verständnis, ging er in die stille Gartenwohnung am
Wege nach Herrenhausen.
Aber Annelise hatte ihn selber gebeten, nicht oft zu kommeu. Sie
fühlte zu deutlich Fannys Abneigung heraus und scheute vor peinlichen
Auftritten zurück.
 
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