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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 28.1913-1914

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15. Heft
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Anwand, Oskar; Sandrock, Leonhard [Ill.]: Leonhard Sandrock
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https://doi.org/10.11588/diglit.31172#0433

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182

MODERNE KUNST.


motive zu, so daß sich die Reihen-
folge hier umkehrte.
Aber vorerst schlug er eine ganz
andere Laufbahn ein, indem der
Pastorensohn Offizier wurde. Wohl
stand schon damals der Beruf des
Künstlers lockend vor ihm; aber
die Berater des Jünglings sahen
ihn als zu ungewiß an, und so
fügte er sich ihnen. Bis er
als Abteilungsadjutant im Feld-
artillerie-Regiment 26 auf dem
Schießplatz Munster sich mit dem
Pferde uberschlug und infolge der
Verletzungen seinen Abschied nahm.
Es ist für Sandrock charakteristisch,
daß er gerade die Artillerie als
Waffe gewählt hatte; das gleiche
gilt aber von seiner Abneigung,
als er den Abschied nahm, zu den
militärtechnischen Instituten über-
zugehn. Denn wenn sich seine
Vorliebe für die Malerei und sein
zeichnerisches Können bisher auch
vorwiegend nur in seinen Krokis
und Entwürfen für Bierzeitungen
äußern konnte, so war er doch im
Innern Künstler und nichtTechniker,
obschon er deren Welt vom male-
rischen Standpunkt zeigen sollte.
Zur Ausbildung in seinem
neuen Berufe trat er zunächst in
das Atelier von Hermann Eschke
in Berlin ein. Wenn dieser Künstler
auch sicherlich wenig Gemeinsames
mit ihm hatte, so verdankt ihm
Sandrock doch Wertvolles: außer
der Handhabung von Pinsel und
Palette auch sichere Zeichnung, die
heute so vielen Künstlern mangelt
in Wahrheit aber stets die Grund
läge der Malerei bilden muß. Das
ist bei Sandrock trotz aller Freude an
kräftigen. Pinselstrichen in hohem
Maße der Fall. Vielleicht auch war gerade die Verschiedenheit zwischen Lehrer und
Schüler und sicherlich Eschkes kluge Art, dem Kunstjünger seine Eigenart und seine
Freude an seiner Welt zu lassen, mit die Ursache, weshalb Sandrock früh den eignen
Weg suchte und fand. Den Anstoß hierzu gab ihm die holländische Malerei, der auf
der Internationalen Berliner Kunstausstellung von 1896 ein besonderer Saal gewidmet
war. Die tiefe Sattheit und die außerordentlich weiche Abgestimmtheit der Farben,
die sich in breiten Flecken zum Bilde zusammensetzten,. unterschieden Sich stark von
dem, was der Künstler um jene Jahre in Berlin sehen könnte. So ging er nach
Holland, das schon so viele deutsche Maler angezogen und angeregt hat. Dabei hielt
er sich von jeder Nachahmung und von typischen holländischen Motiven von vorn-
herein fern. Es dürfte ebenso schwer sein, den Einfluß eines Israels, Mesdag, Mauve,
Maris usw. wie den Hermann Eschkes in seiner Kunst zu finden. Auch blieb Sandrock
nicht lange Zeit in Holland, weil ihm sein Selbständigkeitsdrang sagte, daß es keinem
Holländer einfiele, deutsche Motive zu malen; deshalb wandte er sich dem deutschen
Meer und den deutschen Hafenstädten zu, wo er die Welt für seine Malerei, obschon
schwieriger, so doch gerade deshalb bedeutungsvoller und frischer fand.
Damals war Sandrock ein Maler nicht nur des Schiffes, sondern ebenso des
Meeres, der Hafen-, Anlege-, Schiffsbauplätze und der Molen geworden. Das Meer,
die Urmutter, die alle Schiffahrt auf ewig bewegter Brust wiegt, hat der Künstler in
hunderten von Bildern und Skizzen festgehalten, die ihn als einen unserer besten
Marinemaler erweisen. Die meerartige Unterelbe bei Cuxhaven mit ihren gelblich-
braunen, springenden Wellen, Finkenwärder Segelboote/deren breiter Bug die an-
gehende Welle in Gischt und Sprühregen aufspritzen läßt, und viele ähnliche Motive
beweisen Sandrocks hohes Können auf diesem Gebiete. Einem andern Künstler hätte
diese Welt genügt, um aus ihr für sein ganzes Leben den Stoff seiner Malerei zu
gewinnen. Bei Sandrock aber berührt dieses Betreten eines bekannten Gebietes mehr
wie eine Vorbereitung. So sind auch zahllose Skizzen, die das Meer allein in immer
neuer Beleuchtung und sozusagen mit stets verändertem Gesicht zeigen, eben Skizzen
geblieben.
Was in dem Künstler als mahnende Forderung lebte, war die schwierige Auf-
gabe: dem Toten, der Maschine und dem Durcheinander der Arbeit ihre Seele und
damit ihre Schönheit zu geben, die sein Künstlerauge in ihnen sah. Ihm ist ein
Dampfer nicht nur ein Farbenfleck, sondern ein majestätisches Wesen, dessen Schorn-
stein der Dampf entsteigt, aus dessen Flanken Wasser zischt, dessen Bug die Welle
zerteilt, dessen Schraube das Meer aufwühlt, kurz, das vom kräftigen, bebenden Leben

beseelt ist. Dieses Leben hat Sand-
rock aufs Innigste gefühlt. Eine
der schönsten seiner Skizzen gibt
einen Dampfer wieder, der sich auf
dem Meer in die Dunkelheit ein-
sackt. Man sieht im Dämmern fast
nur einen braunen Strich am Hori-
zont, der Himmel und Meer
scheidet und auch der Dampfer
selbst, von dessen Kommando-
brücke das rote Licht leuchtet, geht
in Dunkelheit über. Aber die
Stimmung ist so vortrefflich er-
faßt, daß man das Stampfen der
Maschine zu hören glaubt.
Das Durcheinander der Arbeit,
das Sichbegegnen, Kreuzen, Quer-
voreinanderliegen der großen
Dampfer, Schlepper, der Barkassen
und Ruderboote, das Kohlen-
löschen der Dampfer, das Zimmern
an den Booten, das Teeren und
Dichten — all diese Eindrücke
konnten dem Künstler nur von
der Hafenstadt vermittelt werden.
Für die Stetigkeit und Sicherheit,
mit der Sandrock auf sein Ziel los-
ging, ist es charakteristisch, daß
ihn selbst Italien nicht ahlenken
konnte, sondern er z. B. im Hafen
von Genua, wenn auch mit etwas
helleren Farben, das gleiche Zy-
klopenmotiv eines kohlenlöschen-
den, überseeischen Dampfers be-
wältigte. Daß der Künstler in
dieser Welt der Arbeit seine wahre
Heimat gefunden hat, geht auch
aus der Technik hervor, die er sieh
zu ihrer Wiedergabe erschuf. Wie
hätte das formenauflösende Krib-
beln der Farbentupfen des Im-
pressionismus oder gar Neoim-
pressionismus, die den Dingen
leicht ihre Festigkeit nehmen, sich
für ihn eignen können! Und doch hat er vom Impressionismus gelernt, nur daß er
über sein analytisches Element hinausschritt und ihm etwas Konstruktives verlieh. Man
könnte Sandrocks Farbengebung zugleich malerisch und zeichnerisch nennen. Bei
aller Breite und Kühnheit sitzt der einzelne Pinselstrich so sicher, daß er eine Planke
oder Bohle oder einen Teil eines Schiffes restlos wiedergibt und man versucht ist, von
der Architektur des .Pinselstriches zu reden. Hier läßt sich Sandrock mit einem
Künstler vergleichen, mit dem ihm sonst wenig gemein ist, mit Lovis Corinth.
Der Übergang vom Schiffsmaler zu dem der Lokomotiv- und Eisenbahnwelt
vollzog sich bei Sandrock fast unwillkürlich. Auf mehreren seiner Bilder kann man
Lokomotiven oder Eisenbahnwaggons sehen, die auf einem Hafengleise unmittelbar bis
an die Dampfer zum Abladen oder Aufnehmen der Fracht herangeführt sind. Sie
ließen die alte Liebe, die schon der Knabe gehegt hat, aufs neue erwachen. Mit der
Gründlichkeit, die Sandrock eigen ist, hat er sich nun Jahre lang fast ausschließl ch
dieser Welt der Eisenbahn gewidmet, die Lokomotive, die zum Ausfahren bereit oder
noch im Schuppen steht, die Bahnhofshalle mit ihren Lichtem, ferner Waggons, die auf
toten grünbewachsenen Schienensträngen zu träumen scheinen, oder auch Erdarbeiten
für Eisenbahndämme gemalt. Und wieder spricht aus diesen Arbeiten nicht nur der
Maler, d.-h. der technische Beherrscher seines Materials, sondern zugleich der Künstler,
der den Geist seiner Motive mit in das Werk hineinbannt. Wenn Sandrock eine
Lokomotive vor uns hinstellt, so liegt in ihr die ganze Kraft und Schnelligkeit,
mit der dieser moderne Drache die Länder durchbrausen wird. Wenn er uns einen
Ausblick auf den Bau einer Untergrundbahn mit den provisorisch gelegten Schwellen
und Gleisen und den schief durcheinanderstehenden Wagen gibt, so glaubt man die
Unordnung halb fertiger Arbeit mit Händen zu greifen. Kein Wunder, daß Sandrock,
dessen Kunst auf immer freiere Höhe gelangt war, dann auch andere Stätten der
Arbeit, wie z. B. die Gasanstalt in der Gitschiner Straße zu Berlin in der Verschieden-
art der hier gebotenen Eindrücke festhielt.
Es ist das Schöne-, daß die Kunst dieses Malers durchaus nicht als etwas Ab-
geschlossenes vor uns liegt, sondern immer neue Möglichkeiten eröffnet. So lebt z. B.
ein dekoratives oder monumentales Element in ihr, ohne daß Sandrock es bisher zum
Stil herausgearbeitet hätte. Vielleicht führt ihn jetzt aber seine Entwicklung dazu, um
so mehr als sich seine Malart besonders hierfür eignet. Der Gedanke eines neuen
Monumentalstils auf der Grundlage der bisherigen Kunst Sandrocks wäre zweifellos
lockend. Daß der Künstler vielleicht auf diesem Wege schreiten wird, darauf scheinen
einige Anzeichen zu deuten. Dr. O. A.

Leonhard Sand rock: Koksausstoß.
 
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