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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 28.1913-1914

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16. Heft
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Rittland, Klaus: Die Ehen des Herrn von Brenkhusen, [11]
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https://doi.org/10.11588/diglit.31172#0468

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198


ßl|en des JUerrn 0011 Jjrcn
Von Klaus Rittland (Elisabeth Heinroth),

usen.

[Fortsetzung.]
anny fühlte sich als Opfer ehelicher Tyrannei und zeigte sich
ihrem Manne sehr übelgelaunt.
Dann erschien aber Müller-Geffky selber und erklärte, daß die
Sitzungen wirklich nicht länger ausgesetzt werden könnten. Er hätte
wieder zwei neue Aufträge bekommen, die Zeit drängte — außerdem
wäre es zu schade, wenn die Büste nicht rechtzeitig für die Ausstellung
fertig würde; er hielte sie für eins seiner bestgelungenen Werke — und
dann sagte er auch noch manches andere . . .
Fanny kam zu der Erkenntnis, daß man der Schrulle eines pedan-
tischen Ehegatten nicht gar zu viel nachgeben dürfte.
Und Martha gewann ihre Bewegungsfreiheit zurück, die sie ein paar
Tage schmerzlich entbehrt hatte.
Sie nutzte diese Freiheit redlich aus.
Am achtundzwanzigsten September war Fannys Geburtstag. Auf
ihren Wunsch hatte man einige Gäste für den Abend geladen: das Ehe-
paar Kollmann, die junge Rechtsanwaltsfrau, die gerade Strohwitwe
war, Frau Kollmanns Hausfreund, den Oberleutnant von Hasse, und
Müller-Geffky.
Am Tage vorher teilte Fanny ihrem Manne zu seiner Überraschung
mit, daß auch Frau von Schönwald kommen würde und sein alter Freund
Dittmar. „Damit du doch auch jemand hast, der dich freut.“
Er lächelte. Sie hatte sich schon daran gewöhnt, einen reinlichen
Strich zu machen zwischen seiner und ihrer Welt.
Ein wundervoll milder Flerbsttag war der achtundzwanzigste Sep-
tember, der Abend noch so warm, daß man nach dem Essen auf der
Loggia sitzen konnte. Trockne Blätter wehten von den Bäumen herein
über die helle Tischdecke und über das dickbäuchige Glasgefäß mit der
Ananasbowle. Süß duftete die Fülle der Geburtstagsblumen ringsumher
in Vasen und Blumentöpfen, und ihr zärtlicher Hauch mischte sich mit
jenem andern, der von außen hereindrang, jenem eignen Dufte des
Herbstes von seltsam schwerer Würze — die letzte süße Reife der
Natur, das letzte Überqucllen heißer Fruchtbarkeit, dem schon ein Todes-
ahnen innewohnt: der feuchte, scharfe Moderduft hinsterbenden Laubes;
alle guten, warmen und süßen Dinge erscheinen doppelt warm und süß
in dieser Frühherbststimmung, wir ziehen sie an uns mit warmer Innig-
keit, so wie wir für einen lieben Menschen empfinden, von dem wir
wissen: seine Tage sind gezählt, bald wird er von uns genommen.
„Schön ist es heute bei Ihnen“, sagte Annelise zum Freunde, während
sic sich bequem in den tiefen Korbsessel zurücklehnte und ihr Bowlen-
glas gegen die Ampel hochhielt, damit der goldige Inhalt durchleuchtet
würde. „Ananasbowle ist ein poetisches Getränk. Das feine Aroma ver-
edelt den Genuß so sehr, daß man ihn gar nicht mehr als einen rein
materiellen empfindet.“
„Das ist er auch nicht,“ stimmte Brenkhusen bei, „nicht, wenn man
sich ihm mit Andacht hingibt. Der Geruchsinn ist ebenso wie die Zunge
beteiligt, und er zieht die Phantasie hinein; schließlich überwiegt der
geistige Genuß den körperlichen.“
Annelise lächelte still vor sich hin. „Eine bedenkliche Recht-
fertigung, lieber Brenkhusen. Ich glaube, mancher Gewohnheitstrunken-
bold würde Ihnen hier lebhaft beistimmen.“
Dittmar schmunzelte und räusperte sich. Das tat er stets, bevor er
seine seltenen, aber dann sehr langgezogenen Reden anhub. „Brenk-
husen hatte das immer so an sich, gnädige Frau, daß er auf seine be-
sondere Art genießen wollte und sich einbildete, mehr davon zu ver-
stehen wie andere Leute. Vielleicht nicht ganz mit Unrecht. Im Korps
wurde es ihm manchmal schwer, mitzuhalten. Und nach jeder großen
Kneipe schimpfte er in lauten Tönen über die stumpfsinnige Trinkerei.
Das Bier schmeckt ja ganz gut,1 meinte er, ,aber es löst doch nur ganz
bestimmte Gehirnfunktionen aus: optimistische Freude am Bestehenden,
die sogenannte Gemütlichkeit, gesinnungstüchtigen Patriotismus, ehrliche
Männerfreundschaftsgefühle — alle andern Vorstellungen und komplizier-


Copyright 1913 by Rieh. Bong.
teren Empfindungen werden durch den Biergenuß nicht gesteigert, son-
dern mit einer Dunstschicht überzogen.1 Curt Brenkhusen verlangte Ab-
wechslung in der Wirkung des Alkohols. Oft lud er mich zu einer
Flasche Rheinwein ein, und dann schwärmte er von mittelalterlicher
Romantik, von Freytags ,Ahnen1, von Scheffels ,Ekkehard und Juniperus1.
Diese Werke waren damals die Lieblinge der Jugend. Weißt du
noch, Curt?
O formosa, sed spinosa
Roth raut, Almishovae rosa,
Te salutant hospites?
Ja, Curt — das weiß ich noch ganz genau. Beim Rheinweine kam
immer das Altdeutsche an die Reihe. Manchmal schlepptest du mich
auch in eine Bodega — beim Portwein wurdest du meistens musikalisch
und summtest Melodien aus dem ,Barbier von Sevilla1 und ,Rigoletto‘
vor dich hin — bei Vermouth di Torino aber kamst du auf knifflige
philosophische Fragen —• du machtest geradezu ein Studium daraus,
deine Gehirntätigkeit zu beobachten und festzustellen, was für eine Art
Bilder durch gewisse Getränke in deiner Phantasie erzeugt würden. Ich
saß meistens dabei und schüttelte den Kopf. Auf mich hatte alles nur
dieselbe Wirkung: mich vergnügt zu stimmen.“
Brenkhusen lachte. „Ich weiß gar nicht mehr, daß ich so ein
raffinierter Trinker gewesen sein soll. Aber du magst wohl Recht
haben. Dittmar hat immer recht, liebe Freundin,“ wandte er sich zu
Annelise, „wenn sich’s um die Vergangenheit handelt. Ein phänomenales
Gedächtnis. Ich lese in ihm wie in meinem eignen menschgewordenen
Memoirenwerk.11
„Erzählen Sie mir noch mehr von der Jugendzeit“, bat Annelise.
Alles, was den Freund betraf, war ihr lieb und wertvoll, auch das
unbedeutende. Ach, er ahnte wohl nicht, wie fest sie sich oft an
Kleinigkeiten klammerte, wie gierig sie nach allem haschte, das ihr sein
Wesen näher brachte — sie kannte es schon bis in seine feinsten Ver-
ästelungen und wurde noch immer nicht müde des zärtlichen Ergründens.
Vor sich selber legte sie jetzt nie mehr die Sonde der Kritik an, wenn
sie über ihn nachdachte. Alles war ihr lieb, auch seine Schwächen —
weil sie zu ihm gehörten. Dieses bedingungslose Aufnehmen eines
fremden Ichs, dieses Gutheißen ohne Schranken, Annelise empfand es
als tiefe Wonne. Sie war nicht blind; sie sah den Freund nicht als
Halbgott, nein, als irrenden Menschen, aber er war ihr Mensch, der Ge-
fährte, dem sie sich zugehörig fühlte — trotz allem.
Und Dittmar erzählte, behaglich lächelnd, sehr weitschweifig. So
eine andächtige Zuhörerin wurde ihm selten zuteil.
Brenkhusen aber träumte vor sich hin, blies den Rauch seiner guten
Havanna in die linde Herbstluft hinaus und sann darüber nach, weshalb
er sich zu dieser Stunde so froh und reich fühlte, so wohltuend im
Gleichgewicht — und weshalb dieser harmonische Zustand jetzt so selten
über ihn kam —
Mit Annelise und Dittmar zusammen — hier lag wohl der Schwer-
punkt — hatte er wieder Freude an sich selber, sonst fühlte er sich jetzt
oft in die Rolle des müden alten Herrn, des grämlichen Pedanten, hinein-
gedrückt. Fanny sagte es ja selten mit deutlichen Worten — sie wurde
nur ganz ausnahmsweise ungezogen —, aber er fühlte es scharf aus
ihrem ganzen Wesen heraus: sie sah in ihm den steifen, unbequemen
Sonderling, der sich nicht mehr in frisch pulsierendes Jugendempfinden
hineinversetzen konnte.
Und manchmal kam es ihm vor, als ob sie gar nicht unrecht hätte.
Er konnte wirklich nicht mit ihr fühlen. Wenn er sich Mühe gab, den
Ton zu treffen, der ihr behagte, dann kam es ihm vor, als ob er herab-
gezogen würde in eine Atmospäre schaler Gewöhnlichkeit, als ob man
ihm zumutete, in einem seichten Wässerlein herumzuplätschern und
dieses unzulängliche Bad erquickend zu finden. Immer weiter gingen die
Wege der Ehegatten auseinander, immer seltener fand sich ein Wort
 
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