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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 28.1913-1914

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18. Heft
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M ODER N E K U N S T.

221

als der höchste der Insel mit seinen zwei Gipfeln in die leuchtende Luft; im Osten
ragt sein Gegenpart, der schroffe Monte Tiberio, ganz von Sage und Geschichte um-
sponnen. Denn auf dieser Höhe hauste der wütige Tiberius, der zu Ehren der zwölf
Götter auf den Hauptpunkten der Insel zwölf prächtige Villen erbaut hatte und hier
seinen Wahnsinn mit allem Behagen austoben konnte.
Vom Schiff ins Boot hinein! Bald schlägt es sacht an die schmale Ufermole,
an der das Wasser im durchsichtigsten Smaragdgrün spielt. Das kleine Fischernest der
Marina grande, an deren Ufer auch ein paar freundliche Hotels winken, nimmt den
Ankömmling auf, um ihn gleich wieder an die Drahtseilbahn abzugeben, die ihn
durch Citronengärten hinauf ins alte wehrhafte Städtchen trägt. Der Neuling wird
nicht umhin können, in dem Augenblick, wo er durch einen verwitterten Wartturm
den Marktplatz des Städtchens betritt, einen kleinen Schrei der Überraschung auszu-
stoßen: Vor ihm liegt in blitzendem Weiß, ganz in jubelnde Sonne gebadet, mit
lauter flachdachigen, höchst sauberen Miniaturhäuschen die niedlichste und reizendste
Piazza der Welt. Sie ist zum In-die-Tasche-Stecken einladend, und wenn man das

östliche Eckhaus betrachtet, an dessen Liliputanerfront stolz die hochtönende Auf-
schrift „Municipio" prangt, so muß man sich unwillkürlich vorstellen, daß der hoch-
mögende Herr Podestä, der Bürgermeister, wenn er in diese Stätte seines Wirkens
hineinschreitet, mit dem Kopf durch das Dach seines Ratshäuschens wieder hinaus-
fährt. So traulich wie dies Amtshaus ist alles im Bergstädtchen; von allen Seiten der
malerischen Piazza laufen hurtige schmale, kleine Gäßchen, wie von Kindern gebaut,
in die vergnügte Stadt hinein, und nur für die stolzeren Hotelbauten ist Raum ge-
schaffen. Ein Vergnügen sondergleichen ist es, in diesen Gäßchen wähl- und ziellos
auf und ab zu schlendern, hier neugierig in einen Korallenladen zu gucken, fleißigen
Stickerinnen bei der Arbeit zuzusehen, ein Wörtchen mit diesem harmlosen, braunen
Fischervölkchen, das immer freundlich und gefällig ist, zu wechseln oder gar in der
so heimatlich duftenden „Käsekneipe'1 der Signora Sinibaldi ein feines Schöppchen
hellen Capresers zu schlürfen. Hier oben fehlt für das Wohlbefinden des armen
Sterblichen eigentlich nichts als ein genügendes Quantum Zeit, um sich einem dauernden
dolce far niente hingeben zu können. Mit wahrer Begeisterung empfindet der Fremd-
ling hier den wunderbaren Gegensatz zu dem lärmvollen Neapel, das er über den Golf,
vom rauchenden Vesuv umkränzt, fernherüberblinken sieht. Dort in der Stadt ver-
wegener Abenteuerlichkeiten, umbrandete ihn ein Volkshaufen, der aus Elementen
aller Nationen, welche je das Mittelmeer an diese üppige Küste geworfen, zusammen-
gequirlt war; das glückliche Capri aber erfreut sich eines Menschenschlags von viel

reinerer und feinerer Kultur, und es ist durchaus nicht selten, daß die Gesichtszüge,
namentlich der Capreserinnen, Erinnerungen an ihre altgriechische Abkunft wachrufen.
Eine unendliche Fülle an Schönheit umgibt uns von allen Seiten. Jeder kleine
Spaziergang erschließt neue Herrlichkeiten von Einblicken und Aussichten. So führt
ein köstlicher Weg an säulengetragenen Villen und wie an den Zaubergärten
Klingsors vorbei zum Vorgebirge der Punta Tragara, von der sich die Südküste der
Insel mit den Faraglioni, drei ungeheuren Felsklötzen im Meer, in ihrer ganzen
pittoresken Schönheit darbietet. Auf dieser Südseite führt auch die aussichtsreiche
Via Krupp in vielen Windungen hinunter zu der schimmernden Bucht der Piccola
Marina. Friedrich Krupp, der sich um das Wohl der Insel überhaupt große Ver-
dienste erwarb, hatte die schöne Kunststraße mit einem Kostenaufwand von mehr als
einer Million aus dem Felsen hauen lassen. Seit seinem Tode ist die Straße ziemlich
verwildert.
.Auf der Nordseite Capris warten drei der reichsten Eindrücke auf den Besucher.
Da ist zunächst das Weltwunder der blauen Grotte, deren rätselhaftes Azur aus einem

Feenmärchen zu stammen scheint, dann ladet das hochgelegene Anacapri weiß und
glänzend in seine wohlige Stille und an den berühmten Weintisch von Hermann Moll.
Der schönste Bergweg aber lockt auf den Gipfel des Monte Tiberio. Dort oben,
wo noch ausgedehnte Ruinen vom Palaste des bösartigen Kaisers erzählen und das
Getrümmer eines antiken Leuchtturms die neue Zeit anklagt, lassen wir uns in der
malerischen, noch halb maurisch gebauten Osteria von der schönen Carmeljta und
ihrem Marito eine verteufelt echte Tarantella vortanzen, schauen an dem gewaltigen
Felsabsturz, der dem edlen Tiberius zum Herabwerfen seiner Sklaven diente, hinunter
ins leise wallende Meer und umfassen von noch erhöhterer Warte einen der groß-
artigsten Rundblicke der Erde auf diese Golf- und Inselwelt, die durch den Gesang
Homers schon irdische Unsterblichkeit genießt. Denn drüben, unterm Vorgebirge der
Minerva, leuchten die Galliinseln auf, von deren Klippen die Sirenen den irrfahrenden
Odysseus mit Zauberliedern umgarnten.
Eine Rundfahrt im leichten Boot, um die ganze Insel herum, erschließt die
wilde Felsenherrlichkeit von Capri erst in ihrer ganzen Mannigfaltigkeit. Es ist ein
Dahingleiten wie im Land der Träume und Fabeln. Wir sehen die alten Meerwunder
wieder lebendig, die Gottheiten der Natur bevölkern wieder diese Buchten, und wenn
die Welle blau-grün-silbern von den zerklüfteten Uferwänden gleitet und purpurrote
Korallenbänke aufblitzen läßt, dann ist’s, als höbe sich Frau Venus selber aus dem
Duft und Schaum der Meeresflut.


XXVIII. Fr.-No. 56.
 
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