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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 28.1913-1914

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18. Heft
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Skowronnek, Fritz: Aus den Wolken gefallen: eine Frühlingsgeschichte
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Buss, Georg: Berliner Architektur und Kunstgewerbe
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https://doi.org/10.11588/diglit.31172#0528

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226

MODERNE KUNST.

Gestern batte ihm der Arzt den Gipsverband abgenommen. Hatte
ein unglücklicher Zufall obgewaltet oder war die Kunst des alten Herrn
eingerostet? . . . Kurts Bein war etwas schief zusammengeheilt und
kürzer geworden.
Der junge glänzende Offizier war ein Krüppel .... Vorbei waren
alle die stolzen Träume von ruhmvollen Taten und ehrenvollen Siegen,
die ihn auf die Höhen des Lebens tragen sollten. Als einer der ersten
hatte er sich der neuen Kunst zugewandt. Sein Name war mit ihr ver-
knüpft. Ein schneller glänzender Aufstieg war ihm sicher. Und jetzt
alles aus . . . alles . . .!
Leise waren die beiden Freundinnen hinter ihm auf die Veranda ge-
treten. Thea hatte sich auf Hildas Arm gestützt, denn in ihrem Knöchel,
der in der Narkose eingerenkt werden mußte, war noch eine leichte
Schwäche zurückgeblieben. Voll Teilnahme blickten beide auf den Mann,
den sie heute zum erstenmal persönlich kennen lernen sollten.
Er lag mit geschlossenen Augen. Auf seinem Gesicht las man deut-
lich das tiefe Weh, das sein Herz erfüllte. Und jetzt stahlen sich zwei
Perlen aus seinen Augenwinkeln und rollten die bleichen Backen hinab
in den blonden Schnurrbart.
Träumte er? Es war ihm, als wenn eine kleine, weiche Hand sanft
über seinen Kopf strich und sich lind auf seine heiße Stirn legte. Lang-
sam schlug er die Augen auf und sah in zwei braune Sterne, aus denen
ihm tiefes Mitgefühl entgegenleuchtete. Dann haschte er die Hand und
führte sie an seine Lippen. Ein Freudenschimmer war in sein Herz ge-
fallen und hatte die düsteren Gedanken verscheucht.
Hilda war still zurückgetreten und hatte leise die Tür hinter sich
zugezogen. Auf der Diele stand der Gutsherr, eben im Begriff sich eine
Zigarre anzustecken. Dann wollte er seinem Gast ein Stündchen Gesell-
schaft leisten. Hilde faßte ihn unter den Arm. „Onkelchen komm mal
mit. Sieh dir mal meinen Pascha an, was dem fehlen kann.“
„Ich will erst mal nach Overmann sehen.“
„Jetzt nicht . . . später . . . auf der Veranda ist jetzt Besuch, den
du nicht stören darfst . . . ein allerliebstes reizendes Bürschlein.“

„Ein Junge? . . . Aber Hilda, wer soll denn das sein?“
„Ja, Onkel, ein kleiner Schelm, der aber auch sehr nichtsnutzig sein
kann. Nun komm schon und sei nicht so neugierig . . . Ich werde dir
später alles erklären.“
Als der Gutsherr eine Stunde später auf die Veranda trat, lag Over-
mann allein. Sein Gesicht strahlte, als habe der Frühling Einzug in sein.
Herz gehalten.
„Unser Gast will morgen abreisen“, sagte Frau Eveline acht Tage-
später zu ihrem Mann.
„Schon . . .? Das tut mir leid . . . Ich muß sagen, daß ich ihn
ungern scheiden lasse. Er ist noch ganz der liebe prächtige Junge, den
ich auf meinen Knien geschaukelt habe.“
„Das geht auch andern so“, erwiderte die Frau leise, „zum Beispiel
unserer Thea.“
Der Gutsherr machte eine ungläubige Miene. „Woher weist du das?“
Die Frau lächelte. „So etwas merkt eine Mutter bald. Na und heute, als
er seine Abreise ankündigte, stand Thea schnell auf und ging hinaus . .
Ich fand sie später auf ihrem Zimmer, in Tränen aufgelöst . . . Eine
Frage entriß ihr das süßschmerzliche Geheimnis.“
„Dann ist ja alles im richtigen Lot. . . ich habe gegen den Schwieger-
sohn nichts einzuwenden ..."
„Aber Wilhelm! Der junge Mann ist durch seinen Unfall aus der
Karriere gerissen ... er muß sich mit nichts und aus nichts eine neue
Existenz gründen.“
Koch legte den Arm um seine Ehehälfte und zog sie an sich. „Eve-
line . . . brauchen wir bei unserem Schwiegersohn auf Vermögen zu sehen?
Es ist genug da für ihn und unser einziges Kind. Und ich glaube, er
wird ein tüchtiger Landwirt werden . . .“
Lächelnd löste sich Frau Eveline aus den Armen ihres Mannes.
„Weißt du jetzt Wilhelm, wer der kleine Schelm war, der sich bei Kurts
erster Begegnung mit Thea auf der Veranda einstellte?“
„Solch ein Racker!“ erwiderte der Hausherr, aber er meinte es nicht
böse, denn er lächelte stillvergnügt.


Berliner Architektur und Kunstgewerbe.
Von Georg Buß.

Sie Entwicklungsgeschichte der Großstädte bietet Licht- und Schattenbilder.
Großes und Schönes ist geschaffen worden, daneben auch Minderwertiges,
das für den Augenblick notwendig und vorteilhaft erschien, hinterher
sich jedoch als verfehlt und störend erwies. Berlin macht davon keine Aus-
nahme. Die gewaltigen politischen Ereignisse und Errungenschaften während
der letzten fünfzig Jahre verliehen seiner Entwicklung ein Schnelltempo, wie es
keine andere Stadt des Kontinents erlebt hat. Als das städtische Weichbild
gegen Ende des Jahres 1860 um 2413 Hektar vergrößert und hiermit fast auf
die jetzt vorhandene Fläche von 6360 Hektar gebracht war, besaß Berlin eine
halbe Million Einwohner, 1880 bereits mehr als eine Million und 1905 über zwei
Millionen. Selbst der weitschauendste Blick konnte vor fünfzig Jahren ein so
rapides Wachstum der Bevölkerung nicht voraussehen. Wie eine Hochflut
brachen die Menschenmassen herein, den bisher schon ziemlich eiligen Gang der
städtischen Entwicklung noch beschleunigend. Es war eine Riesenaufgabe, in
verhältnismäßig kurzer Zeit den Anforderungen dieser Hunderttausenden an
Wohnungs-, Bildungs-, Verkehrs- und Arbeitsgelegenheit zu genügen, dem Gemein-
wohl die unaufhörlich zunehmenden Ergebnisse der technischen "Wissenschaften
dienstbar zu machen, der energisch anstrebenden Industrie und dem mächtig an-
wachsenden Handel kräftige Förderung zu gewähren und zu alledem den viel-
fachen Repräsentationspflichten, welche der Stadt aus ihrer neuen Stellung im
Deutschen Reiche erwuchsen, zu entsprechen.
Jeder wird anerkennen müssen, daß die Umwandlung der unter den Hohen-
zollern erstarkten Königstadt zur Kaiserstadt mit hoher Intelligenz und bewun-
dernswerter Tatkraft vollzogen wurde. Mögen auch die Forderungen der
Ästhetiker nicht immer genügende Berücksichtigung gefunden haben, so ist doch
so viel erreicht worden, daß des Deutschen Reiches Hauptstadt als eine der
sehenswürdigsten, saubersten und gesundesten Städte des Kontinents gelten kann.

—— [Nachdruck verboten.]
Und nun, da ein Groß-Berlin erstanden ist, gilt es, auf Grund eines nach künst-
lerischen Gesichtspunkten aufgestellten Bebauungsplans durch großzügige An-
lagen, fesselnde Straßenperspektiven und schöne Plätze mit gärtnerischem
Schmuck, Skulpturen und springenden Wassern, sowie durch Mehrung ansehn-
licher Monumental-, Geschäfts- und Wohnbauten das ästhetische Moment schärfer
zu betonen, auf daß zwischen der Hauptstadt und den neuen Gliedern ein festes
Band der Schönheit geknüpft werde. Das sei nicht so verstanden, als ob
„Hadrianswerke“, dekorative Schaustücke, erstehen sollen. Nein, es sollen
Schöpfungen sein, die sich, im Hinblick auf die Lebensbedingungen und Lebens-
formen der Großstädter als notwendig erweisen und mithin dem allgemeinen
Bedürfnis entsprechen.
Große und wichtige Aufgaben bieten sich dar, unter denen an erster Stelle
auch die Herstellung der erforderlichen Verkehrslinien steht. Freilich mit dem
früheren Schnelltempo der städtischen Entwicklung läßt sich die Fülle dieser
Aufgaben nicht erledigen. Schönes und Bedeutendes ergibt sich nur bei ruhigem
Erwägen und bei Entfaltung feinen Taktes, dem „jede Handlung eine Kunstaufgabe“
ist. Für geschmacklose, um nicht zu sagen rohe Backsteinviadukte, wie sie die
Stadtbahn aufweist, oder für solche, mit denen die Hochbahn bevorzugte Straßen-
züge geschädigt hat, wird man danken müssen. Und ebenso für den Eklek-
tizismus und die Zerfahrenheit, die sich, sehr zum Schaden des Stadtbildes, im
Monumental- und Profanbau offenbaren.
Nach den Tektonikern, die als Anhänger Schinkels und Böttichers für den
hellenischen Klassizismus eingetreten waren, machten sich andere Propheten und
Strömungen geltend. Das Heil wurde in der italienischen, französischen und
deutschen Renaissance gesucht, auch romanisch und gotisch gebaut, beim Barock
und Rokoko angeklopft, der vom Magistrat wenig geschmackvoll gepflegte Back-
steinbau unter der Devise „mittelalterlich-märkische Bauweise“ angepriesen, der
 
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