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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 28.1913-1914

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21. Heft
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Abter, Adolf: Weltrekord: Skizze aus dem Fliegerleben
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https://doi.org/10.11588/diglit.31172#0633

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2Ö4

MODERNE KUNST.

da oben auf Ihren verschiedenen Flügen in weltenfernen einsamen Höhen emp-
fangen haben ?"
Alfred Stürmer, der Chefpilot der Taube-Werke, sog an seiner Zigarre. Er
war ein Mann in den dreißiger Jahren, mit energischem Gesicht und harten Augen.
Ein echter Fliegertyp. Er hatte sich auf vielen Flugkonkurrenzen auszuzeichnen
gewußt und mehrere Male Rekordleistungen aufgestellt. Vor wenigen Wochen
hatte er versucht, einen neuen Höhenrekord zu schaffen, war aber aus bisher
unbekannten Ursachen aus beträchtlicher Höhe abgestürzt. Seltsamerweise blieb
der Flieger bis auf eine unbedeutende Stirnwunde unverletzt, während der Apparat
in tausend Teile zertrümmert wurde. Aber einen Nervenchok hatte sich Stürmer
zugezogen, der ihn mehrere Tage ans Bett fesselte. Und ein Fieber war hinzu-
getreten, das ihn bange Schreie ausstoßen und die Hände ballen ließ in furcht-
barer Wut. Nun war er wieder so weit, daß er Schulflüge unternehmen konnte.
Es war ein kleiner Kreis interessanter Leute in dem Rauchzimmer des Grafen
Lambert: Zuerst der Graf selbst. Ein
eleganter Vierziger, passionierter Auto-
mobilist und Freiballonführer. Doktor
Sengbach: Chefredakteur einer Luftfahrer-
Zeitschrift. Baron Loschwitz-Kummerfeld:
Ein schlanker, sehniger Herrenreiter, der
manchen Sieg im Sattel errungen hatte.
Und Alfred Stürmer.
,, Sechstausenddreihundert Meter!''
begann der Flieger. „Das ist also der
neue Höhenweltrekord. Eine staunens-
werte Leistung.
Stürmer saß nachdenklich da.
Einige Augenblicke später aber fuhr
er fort:
„Meine Herren, ich behaupte, daß
bereits eine Höhe von achttausend Meter
im Eindecker erreicht worden ist.“
Man war ob dieser Behauptung starr
vor Staunen.
Ist’s möglich ?"
„Davon weiß man aber nichts!“
„Wer sollte so hoch gekommen sein ?“
„Und wann ?“
„Die Zeitungen haben nichts darüber
gebracht.“
„Und es ist doch so“, fuhr Alfred
Stürmer mit ruhiger Bestimmtheit fort.
„Ich selbst habe achttausend Meter er-
reicht !“
„Sie selbst ?"
„Bitte, lieber Herr Stürmer, erzählen
Sie doch!"
„Haben Sie versiegelten Höhenmesser
gehabt ?“
„Lassen Sie mich erzählen, meine
Herren. Sie wissen, daß ich bereits zwei-
mal einen deutschen Höhenrekord im
Alleinflug und einen Dauerrekord mit
Passagier aufgestellt habe. Das waren
aber nur Trainingflüge für mich, denn
mich reizte eine ganz besondere Leistung:
der Höhenweltrekord.
In aller Stille arbeitete ich an dem
Gelingen meines Vorhabens.
Früh des Morgens, wenn noch nie-
mand auf dem Flugfeld war, stieg ich
auf. Zuerst kam ich auf 4200 Meter. Blieb eine halbe Stunde in dieser Höhe,
um mich an die Temperatur zu gewöhnen.
Es waren 16 Grad unter Null und die Luft dünn, daß meine Pulse
hämmerten.
Am nächsten Tage nahm ich einen Sauerstoffapparat mit und kam auf
5300 Meter.
Da fror mir der Vergaser ein.
Im steilen Gleitflug ging ich herunter. Nun konstruierte ich eine Vor-
richtung für den Motor und den Vergaser, daß die Kälte ihnen nichts anhaben
konnte und erneuerte nach einigen Tagen meine Versuche.
Ich kam auf sechstausend Meter.
Meine Herren, es war ein schaurig-schöner Flug. Die unendliche Einsamkeit
stimmte mich melancholisch. Der furchtbare Frost ließ mich erzittern; ich
fühlte nichts mehr in meinen Händen und Füßen. Die Luft war durchsichtig
dünn, und obgleich ich reichlich Sauerstoff nahm, schien mein Kopf eine schwere
Last auf meinen Schultern. Aber ich nahm alle Energie zusammen und blieb
eine gute Viertelstunde in dieser Höhe.
Dann begann ich in Spiralen den Abstieg.

Mein Motorschutz hatte sich trefflich bewährt, meine Willenskraft hatte mich
nicht verlassen, an die Höhentemperatur waren meine Organe gewöhnt. Der
große Wurf mußte gelingen. Der Weltrekord mußte sich mir beugen.
Ich sprach mit dem Direktor der Taube-Werke. Er bestellte zum nächsten
Tage die Zeugen: Leutnant von Schön und Direktor Meerstedt von der Aero-
Gesellschaft.
Es konnte also losgehen. Um fünf Uhr in der Früh stand meine Taube start-
bereit. Sauerstoff hatte ich in genügender Menge in den Apparat schaffen lassen,
und den Höhenmesser befestigte Leutnant von Schön eigenhändig. Ein klarer
Frühlingsmorgen erwachte über dem Flugfeld. Ich flog der aufgehenden Sonne
entgegen.
In engen Kreisen schraubte ich mich höher und höher. Schon war die
Erde ein ungewisses, langgedehntes dunkelgraues Etwas. In zweitausend Meter
herrschten heftige Böen, und mein Apparat wurde hin und hergeworfen. Aber fünf-
hundert Meter höher war es windstill. Ich
stieg.
Bei dreitausendachthundert Meter
nahm ich Sauerstoff. Es wurde empfind-
lich kalt. Ich dachte nur an den Welt-
rekord. und gab andauernd Höhensteuer.
Meine Augen hingen an dem Höhenmesser
und verfolgten gierig das Steigen derNadel.
Wieder tausend Meter. Es fing an zu
regnen, nein, es waren kleine Hagelstücke,
spitz und schneidend, die mir ins Gesicht
flogen und mich peinigten. Die Kälte
nahm zu und ließ meinen Fliegeranzug
hart werden von einer Eiskruste. Auf
den Tragflächen lagerte sich Schnee. Und
mit einem Male kam eine große Müdig-
keit über mich, die Augen wurden mir
schwer, die Arme schienen schlapp werden
zu wollen. Da raffte ich mich zusammen
und blickte auf den Höhenmesser. Sechs-
tausendfünfzig Meter! Ich schlage den
Rekord! Ich will es .... ich will ....
Wie ein Magnet zog der Höhenmesser
meine Augen an sich. Fortwährend stierte
ich auf den Zeiger, immerfort auf den
Zeiger. Und er stieg. Langsam, kriechend.
Meine Augen mit sich ziehend von Strich
zu Strich. Sechstausendeinhundertachtzig
.Meter.
Da flimmerte es vor meinem Ge-
sicht. Die Zeigernadel schien zu tanzen
in zackigen Bewegungen, dann wieder in
Kreisen. Schien aus dem Glas hervorzu-
springen, mir in die Augen, die hypnoti-
siert auf sie gerichtet waren, stach mich
mit spitzem Schmerzensstechen und sprang
zurück. Siebentausend Meter. Eine un-
endliche Einsamkeit umfing mich. Ich
weinte. Ich schluchzte. Ich wollte Tiefen-
steuer geben, aber ich konnte es nicht.
Der Apparat stieg. Die Nadel war ein
wahnsinniges Biest, das mich narrte.
Siebentausendzweihundert Meter.
Der Motor brüllte sich höhnend in
mein Gehirn hinein und der Propeller
schlug mit rasendem Sausen den furcht-
barsten Takt dazu. Immer auf meinen
Kopf . . . immer auf den Kopf. Meine Schläfen hämmerten das Echo, meine
Hände krampften sich um das Steuer. Und immer mußte ich auf den Zeiger
stieren. Der kletterte höher. Achttausend Meter.
Da packte mich eine rasende Wut. Mit den Zähnen biß ich in den Steuer-
hebel, packte den Höhenmesser — die Nadel tanzte und stach —- riß an der
Lederhülle, am Riemen — die Nadel tanzte und höhnte — zerrte und zog, bis
ich das Ding in den Händen hielt. Ich habe gelacht und geschrien, als ich den
Höhenmesser in den Händen schwang. Meine Augen waren von der Nadel erlöst.
Nur weg, weg mit dem unheimlichen Ding. Da schleuderte ich es in wahnsinniger
Wut nach unten. Und gab Tiefensteuer ....
Was weiter geschah, weiß ich nicht mehr so recht. Ich fühlte nur ein grauen-
volles Stürzen, das mir die Besinnung nahm. Und als ich wieder zu mir kam,
fand ich mich in meiner Wohnung mit verbundener Stirn.
Hätte ich den Höhenmesser nicht herabgeworfen, ich glaube, ich wäre dort
oben in der Einsamkeit wahnsinnig geworden."
„Und hat man den Höhenmesser nicht gefunden ? '
„Ja. Er war total zerfetzt. Die Messungen ließen sich nicht mehr erkennen.
Meine Herren, es gehören Nerven dazu, einen Weltrekord äufzustellen . ... .“
 
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