Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 28.1913-1914

DOI Heft:
25. Heft
DOI Artikel:
Neisser, Artur: Der Pariser "Salon" 1914
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.31172#0745

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
3io

MODERNE KUNST.


Franz Hoch: Einbrechender Nebel. Aus dem Kunstsalon Eduard Schulte, Berlin und Düsseldorf.

diesem Grand Palais, in diesem Palast eleganter französischer Kunst einmal
nicht nur nach den Porträts der in der Gesellschaft bekannten Madame X. oder
nach dem General Y. sucht, sondern wenn man die Richtlinien der zeitgenös-
sischen französischen Malerei und Plastik nachzeichnen will. Der Begriff des
„Salons“ ist in dieser Kunstausstellung allmählich ein wenig abgewandelt worden.
Wenn auch überall die gesellschaftlichen Ansprüche zumal der weiblichen Be-
sucher in den Vordergrund gestellt sind, wenn auch beispielsweise in der großen
Skulpturenhalle die Porträts überwiegen und die symbolischen, heroischen oder
genrehaften Darstellungen erst in zweiter Reihe berücksichtigt sind, so fehlt es
doch auch nicht an volkstümlichen Elementen, die bisweilen sogar einen direkt
sozialistischen Anstrich haben. Es hat etwas echt Republikanisches, ja fast
Anarchistisches, wenn sich etwa dicht neben dem Porträt einer in eine seiden-
glitzernde Robe getauchten Modedame das Bildnis eines Arbeiters erhebt, der
hoch auf dem Dach eines Neubaues steht, das in echtem Arbeiterselbstbewußt-
sein auflachende Gesicht voll dem Beschauer zugewandt und die Hände heraus-
fordernd plebejisch in die weite, mit dem typischen bunten Gürtel umspannte
Pfose gesteckt! Ja, es liegt schier eine unbewußte Ironie darin, wenn fast in
jedem Saale das fleischlich zur Schau gestellte Aktmodell es sich gefallen lassen
muß, daß nebenan oder gegenüber seine Mütter und Väter aus der Normandie
oder Bretagne in ihrer Urtracht und Urnaivität abkonterfeit sind. In den
rauschend festlichen Tagen der „Vernissage“, der Eröffnung der Ausstellung,
wenn die elegante Menge durch die Säle flutet und flirtet, an diesen Premieren-
nachmittagen werden solche provinziellen Bilder freilich kaum beachtet. In den
letzten Monaten aber, wenn hie und da schon abgerüstet wird und wenn die
Transportkisten eifrig zurechtgehämmert werden, dann erscheinen auch die
eigentlichen Nachprüfer dieser Kunst, die nun erst eigentlich unparteiisch be-
trachtet zu werden scheint.
Unsere Wanderung beginnt in der Skulpturenhalle. Es ist eine eigenartige,
geheime konventionelle Vereinbarung zwischen fast allen Museen und Kunst-
ausstellungen, daß die Plastik überall nur als Auftakt zur eigentlichen Kunst-
betrachtung behandelt wird. Als sei diese Kunst, auf der eines Michelangelo
Unsterblichkeit beruht, womöglich etwas „Minderwertiges“, weil sie der Farbe
entbehrt! Mir will gerade die Plastik immer als ein besonders guter Gradmesser
künstlerischer Begabung erscheinen. Die gesunde sinnliche Kraft, die innere
Sammlung eines Künstlers zum Schaffen dokumentiert sich mindestens ebenso

sehr in der Plastik wie in der Malerei. Da muß denn konstatiert werden, daß
viele unter den heutigen französischen Bildhauern die Allegorien zumeist nur
als Mittel zum Zweck auffassen, nämlich irgendeinen Akt in möglichst effekt-
sicherer Stellung hinzusetzen. Wenn etwa die polytechnische Hochschule der
Verteidigung von Paris im Jahre 1814 ein Bronzedenkmal weiht, so hebt dieser
in Napoleonstracht gekleidete Soldat so pathetisch seinen Degen schnurgerade
in die Höhe, als singe er eine Arie „Fürs Vaterland, für die Wissenschaft, für
den Ruhm!“ Und auch sonst meint man immer wieder unter den Skulpturen
dieses „pour la gloire!" nachklingen zu hören, selbst in jenen, dem größten
deutschen Tonmeister Beethoven gewidmeten Büsten, die nicht wie innere
Opfergaben an den unsterblichen Meister anmuten, sondern die seinen Ruhm
in den Pariser Salon offenbar hineinfanfaren sollen. Nicht weniger als drei
solcher sicherlich gut gemeinter Beethoven-Monumente sind mir begegnet Echte
Kraft und echte plastische Kunst tritt uns in jenen Bildwerken entgegen, die
stofflich auf die Urzeit (vorsintflutliche Jäger) oder auf die Gallierperiode zu-
rückgeht. Eine Gruppe, in der zwei Krieger, ein jüngerer und ein älterer, ein
wundes Weib aus der Schlacht tragen, zeigt ernsten Sinn und gute Beherrschung
des menschlichen Körpers. Daneben gibt es dann Allegorien in Unzahl, „der“
Ruhm, „der“ Krieg, „der“ Frieden usw., ferner mythologische Sujets, die zu-
weilen in eine seltsame Umgebung gestellt sind; etwa, wenn ein Brunnenrelief
einen Flirten und eine Hirtin zeigt, die mit dem Brunnenmotiv selbst in keinerlei
Verbindung stehen.
In den Gemäldesälen wechseln Porträts und Genres mit Landschaften ab.
An den sensationellen Bildern, von denen „man" alljährlich spricht, fehlt es in
diesem Jahre gänzlich, und auch chauvinistisch aufreizende, historisch übertriebene
Gemälde sind mir nur , ganz - vereinzelt, aufgefallen. Noch lieber vermißt man
die großen offiziellen Bilder („Schinken“ nennt sie die Malersprache), die zwar
nicht völlig fehlen, aber doch in den Hintergrund treten zu Gunsten einer intimen
Kunst, die ja auch dem französischen exklusiven Geist weit mehr entspricht.
Man sieht z. B. unter dem Titel „Nos eclaireuses“ ein Sammelbildnis der modernen
weiblichen Advokaten Frankreichs, ein gut gesehenes Bild und ein Symbol jener
modernen Frauenbewegung, die leise, aber zielsicher von dem wilden England
her auch in das modische Frankreich einzudringen scheint. Intimität des Ge-
richtssaales, eine letzte Vorberatung der Richter vor dem Urteilsspruch, wie
sie das aktualitätsdurstige Publikum der französischen Hauptstadt nur allzu
 
Annotationen