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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 28.1913-1914

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25. Heft
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Seyfont, Paul de: Mitbringsel
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https://doi.org/10.11588/diglit.31172#0747

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moderne: KUNST.

ichs mit oder schicke es voraus.“ Dann wieder: „In Frankfurt steht noch das
Bügeleisen, die Schuhe und Pantoffeln waren noch nicht fertig. Bald gehe ich
wieder hinein und packe Dir ein Kästchen.“ Oder: „Auch bringe ich Dir eine
silberne Tee- und Milchkanne mit, zu der ich zufälligerweise ohne sonderliche Kosten
gekommen bin.“
Das Mitbringsel, das Mitgebrachte . . .
Wer von uns erinnert sich nicht mehr aus den Tagen seiner Kindheit,
mit wie erwartungsvollem Verlangen er neben dem Vater, neben der Mutter
stand und zusah, welch geheimnishaftes Ding wohl als Mitbringsel der Reise-
tasche, dem Koffer nun entsteigen würde? Wer kennt nicht mehr die kindlichen
Wonnen, die sich selbst an das bloße Wort knüpfen: Ich habe dir auch etwas mit-
gebracht? Lag nicht um solche Gabe zärtlichen Gedenkens in der Ferne sichtlich ein
wenig von dem warmen Glanze der bunten Kerzen des Tannenbaums, klang nicht
durch dieses Wort gleichsam das tiefe Jubeln weihnachtlicher Glocken? Gewiß, es
war zumeist wohl nur ein Nichts, ein Ding ohne sonderlichen Wert, ein Stückchen
„Hasenbrot“ im wahren und im übertragenen Sinne dieses Mitbringsel. Allein, das

Kind wägt noch nicht, es fühlt nur instinktiv die Liebe, die aus der Gabe und aus dem
Gedenken spricht. Und wohl dem, der sich solch Empfinden sein Leben lang zu be-
wahren weiß.
Jemand etwas Rechtes mitzubringen, ist wie jedes Schenken heut leider schon
eine seltene Kunst geworden, da es einst doch nur Sache des angeborenen Taktes,
und das Geheimnis des Geschenks die seelische Anmut des Gebens war. „Leget Anmut
in das Geben, leget Anmut ins Empfangen“, läßt Goethe die drei Grazien sprechen.
Anmut aber ist etwas, was uns als ganz unwesentlich zum Vorwärtskommen längst
verloren gegangen ist. Wir haben in der Hast unsere Lebens nicht mehr Zeit dazu.
Und der findige Kaufmann, der das überraschend schnell erkannt hat, nimmt uns die
Qual des Wählcns ab, ersinnt täglich neue „Geschenkartikel“ und stapelt sie zu
unsrer besonderen Bequemlichkeit in eignen „Geschenkbazaren“ auf. Von unseren
Mangel an Anmut und unsrer Lieblosigkeit allein leben diese Bazare. Dinge, bei deren
bloßer Betrachtung den Menschen von Geschmack ein körperliches Unbehagen befällt,
sind hier in „stets wechselnden Dessins“ und alle „hochmodern dekoriert“ zu Hunderten
aufgebaut, „nach Preislagen sortiert“, „für jeden Geschmack passend“ — ein grauen-
erregendes Magazin des Ungeschmacks und der Flüchtigkeit unsrer Tage. Man darf
zweifellos als gewiß annehmen; so mancher würde die Zumutung, etwas derartiges
zu eignem Gebrauche zu kaufen, mit Entrüstung zurückweisen. Als Geschenk jedoch,
das mehr und mehr als lästige Pflicht empfunden wird, sind solche Dinge bequem und

darum gut genug. Es ist nur ausgleichende Gerechtigkeit, daß der Empfänger dem Geber
seine Lieblosigkeit mit derselben Münze heimzahlt.
Sind schon sotane Geschenkartikel übelste Geschmacksverirrung, die ein rein-
licher Mensch fliehen sollte wie die Berührung mit Patschuli und Moschus, so feiert
die phantasievolle Geschäftstüchtigkeit des Fabrikanten vollends Orgien in jener
besondern Art von „Galanterie- und Luxuswaren“, die allmählich zu typischen Mit-
bringseln, dem Mitbringsel schlechthin, geworden sind. „Vernunft wird Unsinn,
Wohltat Plage“ —: an kaum etwas andrem bestätigt sich vielleicht die Wahrheit dieses
Worts Mephistos so. Wer die Legion immer gleicher Mitbringsel Revue passieren läßt,
den muß ein Entsetzen ankommen vor der künstlerischen Armut und der Liebeleere
unsrer Zeit. Du triffst in den „Geschenkpavillons“ der Seebäder wie in den Auslagen
des Krämers im Hochgebirgsdörfchen, im Norden wie im Süden, diesen „Gruß aus...'“
diese „Zum Zeichen, daß ich dein gedacht, hab ich dir dieses mitgebracht“ auf allen
möglichen und unmöglichen, völlig unnützen und innerlich gänzlich wertlosen Dingen
prahlend, die weder eine Berechtigung des Bedürfnisses, noch gar der Schönheit haben.
Wie eine verheerende Krankheit überfallen sie, sobald die Schwalben wieder heim-
gekehrt sind, das ganze Land,
machen sich in jedem Schau-
fenster breit, häufen sich auf jedem
Ladentische, uns gleichsam höh-
nisch ins Gesicht schreiend: das
seid Ihr, das ist Eure Anmut,
Eure Liebe, das ist Eure Seele,
kauft nur, schenkt nur! Und man
höre nur einmal, was die gezwun-
genen Verkäufer dieser Dinge über
sie, über uns denken! „Was soll
man machen“, sagte mir kürzlich
in einem thüringischen Kurort
solch Verkäufer etwa, „ich weiß
sehr wohl, daß diese Bürgeler
Töpfereien, diese Vasen, Steingut-
schreibzeuge, Aschenschalen un-
endlich viel künstlerischer sind
als jene ,Wiener Bronzen' aus Zink-
guß und all der andre Schund der
,Andenken'; aber ich muß das im
Sommer führen, das Publikum
kauft nur so was.“ Wo hat dieses
Publikum nur seine Augen, daß es
nicht sieht, wie viele heimische
Köstlichkeiten, Handwerksarbeit
oft von vollendetstemGeschmacke,
sich ihm als charakteristische Mit-
bringsel, die seelische Anmut des
Gebers bezeugend, dem Beschenk-
ten reine Freude gebend, allüberall
darbieten?! Man kann geradezu
von einem „embarras de richesse“
hier sprechen, einer Wahl, die
unsrer Liebe jeden zärtlichen Aus-
druck erlaubt. Da sind Thüringen,
Hessen, der Harz, der Schwarz-
wald, das Elsaß u. s. f. mit reiz-
vollen Keramiken aller Art, da
sind Bayern, Tirol, die Schweiz,
der Schwarzwald u. s. f. mit zier-
lichen Werken der Schnitzkunst,
da ist die Ostseeküste mit mancher-
lei Bernsteinschmuck, ist überall, an jedem Örtchen fast, ein Handwerk mit Erzeug-
nissen künstlerischen Gepräges: geschmiedetem Eisengerät etwa, Flechtwerk von zier-
lichsten Formen, gewebten Bändern und Linnen, geschmackvoll bunten Spanschachteln,
farbigen Gläsern, Zinngerät ... Da gibt es überall beim Altwarenhändler irgend-
ein preziöses Stückchen aus vergangenen Tagen ... Es ist gewiß bezeichnend, daß
sich neuerdings vielfach das Flandwerk und Kunsthandwerk mancher Gegend in
geschlossenem Vereine gegen die Unsitte der oben geschilderten Mitbringsel wendet
und in Wanderausstellungen zeigt, welch hübsche Dinge, an Ort und Boden gewachsen
und darum für die Gegend charakteristisch, sich in Fülle als Mitbringsel dem Suchenden
förmlich darbieten.
Der tapfre Joseph August Lux empfiehlt in seinem „Geschmack im Alltag“
einmal dem Beschenkten, er solle geschmacklose Geschenke sofort zurückgeben.
Das wird, wennschon es gewiß den Wert einer Radikalkur hat, wohl kaum immer
angängig sein. Aber eine andere Regel desselben Beraters können, ja, sollten wir uns
zum Leitsätze wählen, nämlich nur das zu schenken und mitzubringen, was wir selbst
zu besitzen wünschen. Dann wird das Geschenk, wird das Mitbringsel seine ihm an-
geborene Bedeutsamkeit als Symbol aufmerksamer Liebe und Sorge und als Ausdruck
der seelischen Anmut des Gebers wiedergewinnen. „Und“ gleich Geben und Em-
pfangen wird dann auch
„...In stiller Tage Schranken — Höchst anmutig sein das Danken“.





Ansclie Fuhrmann: Spielende Kinder.
 
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