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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 28.1913-1914

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25. Heft
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Dorret, M.: Ich lasse dich nicht, [4]
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https://doi.org/10.11588/diglit.31172#0750

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MODERNE KUNST.

3U


Und Margret Kerstens sagt ganz leise, immer mit dem seltsamen Aus-
druck auf dem stillen Gesicht, den niemand sich erklären kann, selbst ihr
Vater nicht, der sie besorgt ansieht:
„Ich warte auf ihn. Er wird kommen, denn wir müssen noch einen
kurzen Weg zusammen machen.“
Die Exzellenz hört die merkwürdigen Worte gar nicht. Sie ist wütend,
denn sie sieht sich um eine kleine Sensation betrogen, die sie hatte vorweg
genießen wollen. Sie sagt darum ziemlich ärgerlich zu der Tochter, indem sie
sich von ihrem Mann in den Wagen helfen läßt:
„Nun sei so gut und fahre mit. Das geht doch nicht, daß ihr wie irgend-
ein Liebespaar bei Nacht und Nebel umherlauft. Das gehört sich doch nicht
für dich.“
Die Tochter beugt sich, draußen stehend, über die Mutter und legt die
warme Pelzdecke sorgfältig über ihre Knie: „Ich warte“, sagt sie dabei in
einem Ton, den man noch nie von ihr gehört. Hart und schwer klingt es.
Der General wendet sich und sieht seiner Tochter ins Gesicht. Er hat
mit keinem Wort in das Gespräch eingegriffen. Aber als er nun zu seiner
Frau in den Wagen steigt, schreit diese leicht auf:
„Um Gottes willen, was habt ihr nur. Wie siehst du denn aus. Und
Margret! Ihr habt euch wohl beide erkältet bei dem unangenehmen Umher-
stehen? Es muß sofort Kamillentee aufgebrüht werden daheim. Ja. Nun rede
doch du einen Ton mit dem Mädchen, daß sie mitfährt. Auf mich hört sie
ja nicht. Ja. Sie kann doch nicht alleine hier herumlaufen. Wo ist denn
der Tennow? Sie bekommt ja eine rote Nase zu heute abend. Wie wirkt
das denn ? Sagt bloß, sie soll doch so vorteilhaft wie möglich wirken. Ja . . . .“
Der Kutscher, der die ganze Zeit steif gesessen hatte, die Hand am Hut,
die Peitsche kerzengerade gestellt, kann die unruhigen Pferde nicht mehr
halten. Der General schlägt die Wagentüre zu: „Vorwärts.“ Es klingt heiser.
In diesem Augenblick kommt Harry Tennow quer über den Kirchenplatz.
Aber Margret Kerstens merkt es nicht. Sie sieht mit einem tapferen Lächeln
in das Gesicht ihres Vaters, der sich noch einmal — ganz plötzlich —
weit aus dem herabgelassenen Wagenfenster beugt.
„Margret." Sie wendet sich langsam. Um sie herum ist es still ge-
worden. Einer nach dem anderen hat sich mit kurzen höflichen Ver-
beugungen möglichst rasch verabschiedet. Man brennt darauf, die große
Neuigkeit gemeinsam auf dem Heim-
weg durchzusprechen. Ein toller
Kerl, der Tennow! ....
Der weite Platz ist leer. Margret
Kerstens hebt das Gesicht zu dem
Mann auf: „Komm in die Helle, ich
will nicht im Dunkeln mit dir reden.“
Er tut es wortlos. Und wie sie nun
in dem Lichtstreifen stehen, der aus
dem erst halbgeschlossenen Dom-
portal fällt, sieht sie die Zerstörung
in seinem schönen Gesicht. Sehr blaß
ist sie geworden. Aber sie bleibt
ganz ruhig und von dieser voll-
kommenen , abgeschlossenen Ruhe
geht etwas Zwingendes auf den Mann
über.
„Du willst dir deine Freiheit
holen. Aber ich kann sie dir nicht
geben. Deinetwegen nicht. Du
brauchst weite Lebensbedingungen,
das weiß ich. Die kann ich dir geben.
Ich weiß auch: Du müßtest zugrunde
gehen bei dem alten Leben.“ Und als
er auffahren will, legt sie mit festem
Druck beide Hände auf seinen Arm:
„Nein, bitte, du mußt mich an-
hören. Hab’ keine Angst, daß dich
meine Liebe je belästigt. Du wirst
sie gar nicht so empfinden. Nur
eine Daseinswärme und -helle soll sie
dir sein. Weiter nichts. Glaub’ nicht,

daß das überspannte Unmöglichkeiten, Augenblickserregungen sind. Es ist
nicht ohne Kampf gegangen, das magst du auch wissen. Aber nun bin ich
ganz ruhig, meiner selbst ganz sicher. Solche Stunden sprechen sehr klar.“
Sie sagt das schlicht, ohne jede Bitterkeit. Der Mann rührt sich nicht.
Seit er das Unerhörte ausgesprochen, ist er wie in einem häßlichen Fieber-
zustand. Natürlich hat er sich nur einen Augenblick an seinem Regiments-
platz — den Honoratiorenbänken gegenüber — gezeigt und ist sofort zwischen
den hin und her schiebenden Menschen ins Freie gegangen.
Ganz ziellos ist er draußen umhergelaufen durch den dichten Schnee.
Der drang durch die dünnen Stiefel. Das erste, was er wieder deutlich
empfand, war eine eiskalte Nässe. Und mit diesem lächerlich unangenehmen
Empfinden stand mit einem Male alles klar vor ihm: Dieser ganze Tag
in einer scharfen, schonungslosen Beleuchtung.
„Schuft“, sagte er plötzlich ganz laut in die nächtliche Stille hinein.
Und es überfiel ihn: also das war aus ihm geworden. So sah das Ende aus.
Ja, nun brauchte man die Zeitungsnotizen nicht mehr zu scheuen, nun tat
man ein gutes Werk: man ließ einfach einen ehrlosen, feigen Kerl in der
Versenkung verschwinden. Nur — eine Art Abschluß galt es noch. Wie — das
wußte er selbst nicht. Er lief auf einmal wie gehetzt den ganzen Weg zurück.
Aber seit sie nun vor ihm steht, wünschte er nur noch eines: Wenn sie
in Tränen ausbrechen, ihm die tollste Szene machen würde. Wie jedes andere
Mädel.Diese unheimliche Ruhe nimmt ihm alles aus der Hand. Eigent-
lich macht sie ihn ganz hilflos. Dagegen wehrt er sich, denn das ist ihm
neu und sehr unbequem. Er ist es gewohnt, die Frauen zu beherrschen.
Es ist sonderbar, wie wenig er dies Bewußtsein Margret Kerstens — mit
ihrer leisen Stimme und den müden Bewegungen — gegenüber hat. Aber
es ist in der Art, wie sie zu ihm spricht, etwas, wogegen er sich instinktiv
sträubt, etwas, was er sich selbst noch nicht eingestehen möchte, zwingt sie
ihm ab: die Achtung vor so viel schlichter Frauenwürde.
„Ich habe dir nicht mehr viel zu sagen. Nur dieses eine noch: Ich bitte
nicht für mich. Wie ich mich mit dem Leben auseinandersetze, ist meine
Sache. Aber, daß es reich und schön werden könnte auch für dich noch . . . .
das meinte ich dir sagen zu müssen, ehe du . . . ."
„Bitte, Margret", sagt er gequält. Und dann ist es ganz still zwischen
ihnen, und er denkt diesen merkwürdigen, herben Worten nach.

Aus dem Kunstsalon J. Casper, Berlin.

J. Oppenheimer: Englischer Bootsplatz.
 
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