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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 28.1913-1914

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26. Heft
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Boerschel, Ernst: Aus den Erlebnissen des Brandenburger Tores in Berlin
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https://doi.org/10.11588/diglit.31172#0778

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Edmund Erpff: Leichtathletik. Damenrennen.
E-us den Erlebnissen des Brandenburger Tores in Berlin.
Von Ernst Boerschel.
[Nachdruck verboten.]

Man kennt die Geschichte vom Turnvater Jahn und dem Berliner Jungen, der im
erwachenden Völkerfrühling von 1813 zum Brandenburger Tor hinaufsah und
dem alten Jahn auf seine Anfrage nicht sagen konnte, was er sich dabei denke. Der Junge
bekam eine schallende Ohrfeige, und der Turnvater Jahn schrie ihn an: „Du sollst,
wenn du dorthin siehst, denken: die Siegesgöttin holen wir uns aus Paris zurück!“
Damals stand das Brandenburger Tor ohne die auf der Quadriga einherstürmende
Siegesgöttin da. Schadenfroh, mit zynischem Lachen um die Mundwinkel, hatte sic
Napoleon Anfang Dezember 1806 herunternehmen und nach Paris verladen lassen.
Es war das schwerste Ereignis, das das Brandenburger Tor betroffen hatte. Das herr-
liche Bauwerk, von Langhaus den athenischen Propyläen nachgebildet, war noch jung,
war am 6. August 1791 eröffnet worden, und seit dem August 1793 zierte Schadows
Gruppe der Quadriga das Brandenourgische Siegestor. Als solches war es gedacht, und
als solches war es auch von dem über Berlin triumphierenden Napoleon betrachtet
worden. Da war es eine ausgemachte Sache, es zu demütigen. Keine Bittschrift half.
Ohne seine Krönung stand das stolze Tor. Es hatte Berlin ein ganz neues Relief gegeben.
Es hatte hier an der Tiergartenseite die alte Ringmauer gesprengt und hatte sich wuchtig
und souverän als Eingang zur Hauptstadt des preußischen Staates erhoben, den Fried-
rich vor der ganzen Welt groß und beneidet gemacht hatte. Wenn wir uns den Stich von
Chodowiecki ansehen, wie kümmerlich noch unter der Regierung Friedrichs des Großen
das Tor aussah, mit seinen beiden Barockquadern und den stallähnlichen hölzernen
Häuschen für die Wache, die Zollerhebung und die Feuerspritzen, und wir stehen dann
staunend vor den idealen klassischen Bogen des neuen Tores, so können wir den Triumph
ermessen, den die Berliner angesichts dieses Tores über den damit verkörperten Begriff
der preußischen Größe empfanden und bis heutigen Tages empfinden. Das Branden-
burger Tor ist für Berlin zum Symbol für alle hohen Ereignisse der preußischen Ge-
schichte geworden, und wir können es uns nicht vorstellen, daß jemals wieder die Qua-
driga von einem Feinde heruntergeholt und verschleppt werden dürfe.
Das Brandenburger Tor nach Langhans’ Entwurf ist verhältnismäßig sehr schnell
aufgebaut worden. Heute, mit der vielen und umständlichen Einholung von Konkur-
renzen würde man für einen solchen Monumentalbau weit längere Zeit brauchen. Das
alte Tor wurde zu Anfang des Sommers 1788 abgebrochen. Gleich danach wurde mit
der neuen Toranlage begonnen. Im September desselben Jahres zeigte Langhans

auf der Kunstausstellung der Akademie der Künste das Modell, auf dem schon Scha-
dows Quadriga vorgesehen ist. Um die gegenseitige Maßwirkung von Tor und Quadriga
zu erproben, ließ man den Maler Caningham kommen, der eine Papierkulisse mit der
Ansicht der Quadriga entwerfen mußte. Der Bau des Tores ging glatt von statten.
Die Kosten waren nicht übertrieben hoch: sie betrugen 110 902 Taler, 20 Groschen
und 10 Pfennige, nach unserm heutigen Geldwerte etwa 1 Million Mark. Ganz sang-
und klanglos ist dann am 6. August 1791 das Tor dem Verkehr geöffnet worden.
Es fand nicht die geringste Feierlichkeit zur Einweihung statt. Friedrich Wilhelm II.
hatte für solche Dinge keine Zeit. Durch den Kammerdiener Rietz, den nominellen
Gatten der Lichtenau, ließ er dem Baumeister Langhans sagen, daß er sobald nicht
nach Berlin kommen würde, und daß das Tor eröffnet werden könnte. Etwas kompli-
zierter gestaltete sich die Sache mit der Quadriga. Schadow schuf die Modelle und wollte
si zunächst in Holz nachgebildet haben. Ihm war für seine Arbeit das größte Entgegen-
koi °n gezeigt worden. Um die Bewegungen der Pferde studieren zu können, wurden
ihm Pferde des Königlichen Marstalls vorgeritten. Doch die Modelle sollten sogleich
in Kupfer nachgebildet werden. Ematiuel Jury sollte die Aufgabe übertragen werden.
Da entschloß man sich doch noch auf Schadows Einspruch, vorerst Holzmodelle
hersteilen zu lassen. Die Brüder Wohler in Potsdam wurden dazu ausersehen. Sie
zogen ihre Arbeit sehr lange hin, so daß Schadow und das Oberhofbauamt schon
ungeduldig wurden. Im Mai 1790 war endlich das Holzmodell des ersten Pferdes
fertig, und am 18. Mai zogen Schadow, Chodowiecki und das Mitglied der Akademie
Mail nach Potsdam, um das Modell zu besichtigen. Besonders Schadow hatte sehr viel
auszusetzen. 21 Fehler des Modells notierte er in seinem Gutachten. Ihm erschien das
ganze Modell ohne Schwung. Auch Mail machte ein paar feine Bemerkungen. Auch
die drei andern Pferde waren nicht ohne Fehler. Nur die auf der Quadriga thronende
Siegesgöttin war vollauf schon im Holzmodell gelungen. Jury führte nun das Werk
in Kupfer aus und leistete die Arbeit ohne Tadel. Er hatte so viel künstlerische Freude
an dem Werk, daß er kein Honorar verlangte. Aber der König bewilligte ihm in Gnaden
eine Gratifikation von 1500 Talern. Die ganze Quadriga kostete 20 640 Taler und
18 Groschen oder rund 200 000 Mark nach unserm heutigen Geldwerte. Ihr Kunst-
wert ist unberechenbar. Als sie vor sechs Jahren vom Baurat v. Bändel auf ihre Alters-
schwäche untersucht wurde, stellten sich schwere Risse und Gebrechlichkeiten heraus.

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