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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 28.1913-1914

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26. Heft
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Lautensack, Heinrich: Die Kunst des Kinoschauspielers
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Unsere Bilder
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https://doi.org/10.11588/diglit.31172#0789

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332

MODERNE KUNST.

jedoch operiert just in den Höhepunkten der Handlung nur allzu gern mit Nah- und
Ganznahaufnahmen des Helden oder der Heldin, so daß ein einziges menschliches
Gesicht wie durch ein Riesenvergrößerungsglas besehen den Rahmen des Lichtbildes
vollständig auszufüllen vermag: hier bekommen wir demnach annähernd einen Begriff,
wie sehr eine jede Fiber im Antlitz des Kinoschauspielers muß beherrscht werden können!
So sehr, daß man meint, manche Kinostars spielten eigentlich nur mit ihren Augen!
— Aber das ist eine Täuschung, obschon zu einem „Photographiergesicht“, wie der
terminus technicus lautet, natürlich vor allem auch Kino- oder Filmaugen — am
besten von der Größe von Wagenrädern! — gehören .... Spiegel der Seele!
Augen und Mund, Hände, Flaltung und Gang: die ganze Muskulatur muß, ab-
gestimmt, gehorchen wie die Saiten eines Instruments: nicht anders wie es die Sprech-
bühne neuerdings ebenfalls wieder als Ideal ansieht, wenngleich immer ein wenig
nur als Begleitung zu der Stimme, die die Melodie ist .... aber dazu muß extra noch
bemerkt werden, daß eine jede vor dem Aufnahmeapparat ausgeführte Bewegung
je nach den augenblicklichen Lichtverhältnissen anderthalb bis dreimal so lang-
sam gehalten sein muß als im wirklichen Leben. Das allein schon vermittelt uns
eine Ahnung, welche Nervenleistungen erforderlich sind, um die Muskeln in diesem
so sehr gebremsten Tempo agieren zu lassen. (Und eben gegen diese Bedingung ver-
stoßen anfangs einfach alle Darsteller, die von der Sprechbiihne herkommen und
kein Ruf wird in den Aufnahmeateliers von den Regisseuren wohl öfter ausgestoßen
als dieser: „Lang—sa—merl“) Schon um diesem obersten Gebote zu genügen, ist
eine modern-athletische Körperkultur erforderlich, wie sie so leicht keiner von Haus
aus mitbringt, sondern wie sie nur unsere neueren Sportbetätigungen verleihen. — Und
wenn ich dem gleich noch hinzufüge, daß es aus technischen und ökonomischen Gründen,
aus Gründen der Zeit und des Raumes usw. unmöglich ist, die Szenen eines Film-
dramas etwa schön in der Reihenfolge herunterzuspielen, dann muß wohl in jedem
meiner Leser einigermaßen ein Gefühl der Befriedigung aufkommen darüber, daß er ....
kein Kinoschauspieler ist! — In einem solch absoluten Durcheinander vielmehr werden
die Szenen geprobt und gestellt, daß es Vorkommen kann, daß als erste Szene die
allerletzte aufgenommen wird und als zweite die allererste, indem die beiden zufällig
in ein und demselben Raum mit annähernd auch denselben Personen spielen. Ja, es
gehört schon eine Portion akrobatischer Gelenkigkeit und Sicherheit dazu, die eine
tiefe Seelenerschütterung heute vormittag um 11 Uhr im Atelier in einer künstlich auf-
gebauten Armesünderzelle zu mimen und drei Wochen später am Strand von Westerland
beim Standrechtlich-erschossenwerden sich noch einmal in die ganz gleiche Erregung
zu versetzen, weil diese beiden Bilder im Film unmittelbar aufeinanderfolgen — usw.
Diese zeitliche und räumliche Getrenntheit von Situationen und Gefühlen, die doch
so unmittelbar aneinandergehören — diese hat der Kinoschauspieler täglich, stündlich
zu überbrücken, — Man wende hier nicht ein, daß an den Schauspieler der Sprech-
btihne eine ebensolche Forderung herantrete, wenn er beispielsweise heute abend den
Mephisto im ersten Teile des Faust, morgen Richard den Dritten, in drei Tagen den
Wedekindschen Marquis von Keith, in zehn Tagen den Ibsenschen Brand und in vier-
zehn Tagen den Mephisto in Fausts zweitem Teile zu spielen habe. Der Schauspieler
im Wortdrama kennt doch all diese Rollen schon; hat sie bereits selber gespielt, und
sie sind ihm bis auf die neuen Streichungen oder Auslassungen gelegentlich der letzten
Neueinstudierung genau vorgeschrieben. Und jede dieser Rollen ist — von abends
8 bis 11 herunterzuspielen und nur durch ein paar Aktschlüsse ein wenig auseinander-
gerissen — ein Ganzes. Anders beim Kinoschauspieler. Für diesen ist, während ihm
am Strande von Westerland die Augen verbunden werden, nur noch ein Teilchen Rolle

zu erledigen — ein Stückchen, das er noch niemals gespielt hat und das doch so sehr
zu einem andern Stückchen von vor drei Wochen passen muß als wie eine Schraube
in die Mutterschraube. — Und was steht etwa dazu in seiner „Rolle“? Eine Rolle ist
überhaupt nie ausgeschrieben worden, sondern es existiert nur ein Szenarium, das er
einst zwei-, dreimal durchgelesen hat, die kleineren Rollen kriegen es gar nicht zu
sehen) — und da steht nun: „77. Bild. Am Meeresstrande. Georg wird standrechtlich
erschossen“. Das ist alles. Das ist nichts.
Der Kinoschauspieler, der dabei noch manchen optischen Gesetzen untersteht,
von denen sich der Sprechschauspieler im Wortdrama nichts träumen läßt, ist ein Im-
provisator — ohne Worte. Ein Mimiker und Gestiker aus dem Stegreife — denn seine
Reden bleiben ungehört.Aber seine Aufnahmebühne ist die ganze Welt. Zu Lande,
zu Wasser und in der Luft. Denn sein Hintergrund ist allemal möglichste Wirklichkeit.
Nur wo er in einem Zimmer ist, befindet er sich zwischen Kulissen. Sowie er aber
aus der Haustüre tritt, ist er auf einer wirklichen Straße, und der Kinematograph be-
gleitet ihn, ob er mit dem Auto fährt oder mit der Bahn, ob er auf einem Schiffe reist
oder im Aeroplan dahinschwebt. Jeder Wald ist ein wirklicher Wald; jede Brücke eine
wirkliche Brücke. Das Meer ist nicht länger ein von vielen Händen bewegtes großes
graues Tuch auf der Bühne und er tritt auch nicht nur so mit einer etwas blutigen
Binde um die Stirn auf und versichert damit gemacht keuchend: „Ich komme aus
einer Schlacht_“, sondern wir sehen ihn im Film unbedingt zuvor kämpfen, erst
mit vielen andern, auch fallen, dann neben weiteren Fallenden, und es wogt Pulver-
dampf und es explodieren Schrapnells .... Und dieses alles verlangt eben ein ganz
anderes Körpergefühl und eine ganz andere Gewalt über den Körper: sich außer
dem Schutze der Bühne zu wissen und ohne das einhiillende Rampenlicht und dabei
in Gottes freier Natur agieren zu müssen mit einer anfänglichen Beschämtheit: nicht
anders als stände man nackt vor Regisseur und Operateur! — Man muß es sich erzählen
lassen, wie „geniert“ selbst der auf der Bühne routinierteste Schauspieler zum ersten
Male bei einer kinematographischen Freiaufnahme sich fühlt, ob er nun ein wenig
zu Pferde sitzen soll oder in einen Kahn steigen: es ist eine völlig andere Welt .... wo
sind die paar Schritte, mit der man die Bühne ausmißt? ... es ist verhundertfachte
Wirklichkeit .... davon, daß das gewohnte Publikum fehlt, und der Hilfsregisseur
hier höchstens ein paar Gaffer fortjagt, überhaupt nicht zu reden 1 ...
Wir haben bis jetzt wohlweislich nur immer vom Darsteller des „Spielfilms“ ge-
sprochen und den „Sensationsfilm“ gänzlich außer Acht gelassen. Den Sensations-
film als wie: Sprung von einem fahrenden Zug auf einen andern entgegenkommenden —
Sprung von einem 18 m hohen Turm ins Wasser von nur 1,5 m Tiefe — Flucht mit
einem Freiballon, als dessen (lebende!) Gondel ein Pferd dient — Gesang in einem
Löwenkäfig und dergleichen Auswüchse mehr.
Der Sensationsfilm von heute vermag noch mit Artisten als Darstellern auszu-
kommen, die weiter keine schauspielerischen Fähigkeiten zu besitzen brauchen. Aber
der Detektivfilm von heute verlangt bereits einen vollendeten Schauspieler, der gleich-
zeitig eine Sensation nach der andern artistenmäßig bestehen können soll (der Sohn
des berühmten Emanuel Reicher — Ernst Reicher). Und etwa das Mittel aus diesen
beiden wird der Filmdarsteller von morgen sein müssen: ein vollendeter Schauspieler
und gleichzeitig ein „Artist“ von Rang!
Dann wird es auch keinem Filmfabrikdirektor mehr einfallen, Stars von der
Sprechbiihne zu Gastspielen im Film herüberzuholen. — Leistungen im Film wie von
Paul Wegener, Friedrich Kayßler und Albert Bassermann werden bleiben, was sie
sind: zufällige glückliche Ausnahmen in einer. Übergangszeit ....

Unsere
fs ist nicht allein das Talent im technischen Sinne, das den Künstler ausmacht,
sondern zugleich seine Persönlichkeit, die ihn vielfach auf einen bestimmten
Ausschnitt der Welt hinweist, der seiner seelischen Veranlagung entspricht.
Diesen Ausschnitt zu finden, ist durchaus nicht immer leicht, sondern hängt
auch von Glück und Zufall ab. Das gilt für die Malerei wie für die Dichtung in
gleicher Weise. Um auf einen ganz Großen hinzmveisen, so hat Goethe in Straß-
burg durch seinen Verkehr mit Herder und dessen Hinweis auf Shakespeare und
das Volkslied den entscheidenden und für sein ganzes Leben bestimmenden Ein-
fluß erfahren. Für andere tritt dieses große Moment erst später in ihr Leben, so
z. B. für Josef Israels. Als ein Schüler C. Krusemanns in Amsterdam hat
dieser Sohn eines jüdischen Geldwechslers zunächst historische Gemälde im alten
konventionellen und theatralischen Stile ausgeführt, ohne daß seine Persönlichkeit
bei dieser Kunst, die ihm im Grunde nicht liegen konnte, beteiligt war. Da fesselte
ihn eine schwere Krankheit eine Zeit lang an das kleine Fischerdorf Zandvoort
bei Haarlem, und diese Zeit der Beschäftigung mit sich selbst und der Ablenkung
von den gewohnten Bahnen ließ ihm plötzlich in seiner Umgebung und im täg-
lichen Leben Motive einer ihm gemäßen Kunst aufgehen. Die Fischer in ihrem
kleinen, dunklen Heim, das zusammengebückte Alter, das sich am Herdfeuer die
Hände wärmt, der Jude, der mit sinnenden, in die Ewigkeit gerichteten, melan-
cholischen Augen vor seiner Trödelbudc sitzt, ein Begräbnis, ein Mittagsmahl
in diesem armen Milieu, der Trödler, der mit seinem Hunde über das Feld zieht,
das Spielen der Kinder am Meeresufer, in den Dünen, vor dem Schweinestall
usw. werden Motive seiner durchaus persönlichen Kunst. Aus ihnen allen spricht
eine leise Wehmut und Resignation, die den Kampf um das Dasein ohne rechte
Hoffnungsfreudigkeit führt, vielmehr einen weichen Schimmer der Entsagung
darüber breitet. Einer solchen Gemütstimmung entspricht in der Natur draußen

ißilder.

die „Abendstunde“, die sich mit ihren Schleiern über die Erde breitet und mit
dem grellen Licht allen Kampf und allen Schmerz in sanftes Dämmern auflöst.
„Salome tanzt vor Herodes“, dieses Motiv aus der biblischen Geschichte
hat die Poesie und die Malerei in gleicher Weise beschäftigt. Denn welche wirk-
samen Motive liegen darin beschlossen. Einmal die Tragik, daß dieser Tanz mit
dem Leben eines hochstehenden Geisteskämpfers, wie es der Prophet Johannes ist,
bezahlt werden muß! Sodann der Reiz der Sinnlichkeit und orientalischen Ge-
nusses, wie er von dem Körper der Salome auf Herodes inmitten seiner Tafel-
runde ausgeht! Um bei der Dichtung der letzten Zeit zu bleiben, so haben der
Deutsche Hermann Sudermann und der Engländer Oskar Wilde den Tanz in ihren
Dramen, die sowohl Johannes wie Salome gewidmet sind, aufgenommen. In der
bildenden Kunst spielt dieses Motiv aber eine noch größere Rolle, da es eine will-
kommene Gelegenheit bietet, einen nur halbbekleideten oder ganz nackten
Körper in farbigen Gegensatz zu reicher Pracht zu stellen. Das ist dem Münchner
A. Ritzberger in seinem Gemälde vortrefflich gelungen.


Zu den stärksten Begabungen unter den jüngeren deutschen Malern, die in
der Großen Berliner Kunstausstellung vertreten sind, gehört Franz Eichhorst,
der sich mit Vorliebe in die Charaktere und das Leben ernster, schweigsamer
Bauern vertieft, deren Zügen ihre schwere Arbeit tiefe Spuren aufgedrückt hat.
Eine solche Feierlichkeit des Alltagslebens atmet auch sein „Mittagsmahl“,
das die Bauern um den langen Tisch vereint und fast eine symbolische Wirkung
ausübt. — Über S. Marchands Gemälde „Die Fähre", das einen Fährmann
bei abendlicher Ruhe eine Frau über den Fluß setzen läßt, ist eine weiche
Adagio-Stimmung gebreitet, die Natur und Menschen in ihren Bann zieht.
 
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