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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 25.1915

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Heft 1
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Benn, Joachim: Probe auf die Kunst: (Kunst und Krieg)
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https://doi.org/10.11588/diglit.26491#0035

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robe auf die Kunst.

(Kunst und Krieg.)

Die Voreiligkeit von Leuten, deren geistige Haltung
wohl auch in Friedenszeiten schon nicht allen Proben
standgehalten hätte, hat zu Beginn dieses Krieges gern
behauptet, nun sei es nnt der Kunst auf lange hinaus
vorbei. Von dem Augenblick ab — so war die Meinung —
wo sich der gewachsene Leib ins Feld warf, den Feind
von der Landesmark fernzuhalten, war der Boden
weggesunken, von dem aus Kunst aufgenommen, Kunst
genossen werden konnte; wo sich der Mensch im Gröbsten
und Elementarsten seiner Eristenz verteidigen mußte,
da konnte es nicht mehr darum gehen, den zarteren
und empfindsameren Regungen seines Wesens genug
zu tun. Was wollte der eine Schrei am Schluß einer
Tragödie, gar das bedenksame Schweigen am Schlusse
einer Geschichte, wo der Krieg draußen unaufhörlicb
Haufen von Leichen aufschichtete, um die im Lande
herum ein Heer von Witwen in Schmerzen aufschrie.
Und die überlegte Harmonie, zu der die Farben eines
Bildes gezwungen waren, wo dampfendes Blut den Augen
derer drinnen wie draußen jede andere Farbe auslöschte?

Entweder ist die Kunst, was sie diesem und jenem
und durch die Aeiten hin Unzähligen und gerade den
Besten gewesen ist, immer oder sie ist es niemals. Ent-
weder erweist diese Kunst, was sie bedeutet, in Tagen
wie unseren nur noch großartiger und schöner wie sonst
je, oder aber die bis zur Jnbrunst gesteigerte Ver-
ehrung, die gerade unsere Ieit ihr entgegengebracht hat,
einschließlich der eigentümlichen Verehrung, die der
Künstler vor sich selbst hegt, ist eine ungeheuere Don
Quichotterie, die größte, die es je gegeben hat. Dann
ist die Kunst wirklich, was manche glauben, ein äußerer,
schließlich entbehrlicher Schmuck des Lebens; dann ist
diese Kunst, bei den Kräften, die wir ihr opfern, aber
auch ein Parasit an unserm Leben und es ist, wofern
wir es ernst nehmen wollen, unsere Pflicht, das faule
Gewächs so gründlich wie möglich aus unserm Blut
herauszugraben. Allein dem ist nicht so: Schon der kurze
Gang des Krieges hat bestätigt, was in Wahrheit die
Kunst ist, und wenn der Krieg eine Änderung hervor-
gebracht hätte, könnte es nur die sein, daß sich unser
Glaube an sie noch vergrößert hat.

Es ist die letzte und tiefste Bedeutung aller Kunsi,
die der Krieg zuallererst bestätigt hat, diejenige, die wir
die religiöse nennen können. Denn so seinem Heim,
seinem Lebens- und Wirkungskreise entrissen, sich plötzlich
im Felde dem Tode anbieten zu müssen, ist nicht lcicht.
Der Nebenmann rechts und links, aus gleichem Blut
erweckt, in den gleichen Grundsätzen der Gesinnung
aufgezogen und plötzlich so verwandt, wird da wohl
zum Symbol dessen, was an Wertvollem bedroht ist
und geschützt werden will. Aber das atmende Leben
darum aufs Spiel zu setzen, verlangt doch, dieses bedrohte
zeitliche Leben im Bewußtsein irgendwie an das Ewige
zu binden, um demTod den Stachel zu nehmen. So haben
die Manifeste, mit denen der Krieg bei uns an den
repräsentativen Stellen begonnen hat, mit guten Gründen
auf das Religiöse Bezug genommen; allein das Volk,

das da auszog, war religiös ganz und gar nicht geeint!
Nicht als ob der Unterschied der Konfessionen so viel
bedeutete; es hat sich herausgestellt, wie wenig er be-
sagen will. Aber ganz allgemein sind für die eine Hälfte
des,Volkes, für die, die reicher mit Einzelkenntnissen
genährt, in der Schule differenzierterer und persön-
licherer Empfindungen gewesen ist, die Vorstellungen und
Symbole der anderen Hälfte, ohne daß sie ihr deshalb
falsch erscheinen, in solchem Maße zu deutlich, direkt
und offen und auch wieder zu farblos, erblaßt und all-
gemein, als daß sie sie unmittelbar empfände.

Hier ist für die Religion die Kunst eingetreten mit
der ruhigen Gebärde, mit der immer das Bedeutende
in der Stunde der Not auftritt. Aus einer großen Stadt
ist die Nachricht gekommen, die von anderwärts her be-
stätigt wird, daß an Büchern bei Kriegsanfang am meisten
gekauft worden sind das Neue Testament mit Psalmen,
Nietzsches Iarathustra, Goethes Faust; an das eine und
andere religiöse Buch schließt sich das künstlerische, und
wer auch in ihm noch zu stark das religiöse Wesen sähe,
nicht die glitzernde Pracht der Verse, mag hören, daß nach
Feldbriefen in Feldlagern der „Wilhelm Meister" ge-
lesen wurde und Kämpfer einem lebenden Dichter ge-
schrieben haben, sie hielten sich in ihren Anstrengungen
an der Welt seines letzten Buches. Was die einen Bücher
direkt im religiös gemeinten Wort geben, das geben
die anderen eben indirekt, bildlich, in der Gestaltung einer
Handlung; denn wie die Religion beglückt, indem sie
als ausgesprochene Lehre eine schöne, vernünftige Welt-
ordnung schafft, in der sich der Mensch im Glück und Un-
glück gleich sinnvoll, würdig und also auch widerstands-
fähig eingeschmiedet findet, so beglückt die Kunst, indeni
sie irgendeinen Stoff in eine harmonische und ge-
schlossene Form bringt, die den Menschen in sich hinein-
zieht. WaS deni Künstler „schön" ist, ist nichts anderes,
als in Bildlichkeit umgesetzt das, was dem Neligiösen
das Iiel alles religiösen Strebens ist, Harmonie des
Gefühls über die Härten und Dissonanzen des Lebens
hinweg, Einheit und Vollkommenheit; eines wächst auf
demselben Grunde wie das andere. Wenn der eine
zwischen der blutigen Arbeit oder in der Ieit des Wartens
göttliche, überindividuelle Lust bei dem Worte des
Priesters schmeckt, so schmeckt sie der andere in der An-
schauung künstlerischer Vollkommenheit.

Daß gerade die Wortkunst, für die damit Beispiele
gegeben sind, uns in dieser Weise im Kriege zur Helferin
werden würde, war zu erwarten; unerwartet war es,
daß sie auch noch in viel unmittelbarerer Weise half:
Gleich in den ersten Wochen des Krieges gewann in
Deutschland ein General die bewundernde Liebe seineS
Volkes bis hinauf zu den Vertretern der gelehrten Welt,
nicht, weil er eine Schlacht gewonnen hatte, sondern weil
er kunstvolle Kriegstelegramme geschrieben hatte. Es ist
wieder ein Beweis dafür, daß die Kunst nicht ein über-
flüssiges Element neben dem Leben ist, sondern überall
notwendig ist, wo gelebt wird, ja die Steigerung und
die Erhöhung des Lebens ist, das durch den Menschen
geht. Der Sieg ist eben damit für das Volk da draußen
noch garnicht errungen, daß er erkämpft ist; er muß für
sein Bewußtsein erst irgendwie in Worte umgesetzt sein,
und schon wird Kunst nötig. Freilich ist der Bericht

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