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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Editor]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 25.1915

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Heft 2
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leine Prosa von Robert Walsrr.

Schnee.

Wir haben hier Schnee, lieber Freund, soviel du begehrst
und du Lust hast^ Das ganze Land ist dick mit Schnee bedeckt.
Wohin man blickt: Schnee; Schnee da und Schnee dort. Auf allen
Gegenständen liegt er, und die Leute unserer Stadt, groß und
klein, werfcn sich, um sich ein Dergnügen zu machen, Schneebälle
an. Die Kinder können soviel Schlitten fahren als sie wollen,
und das wollen sie gern. Gestern stieg ich im Schnee den Berg
hinauf, und je höher ich kam, um so tiefer watete ich im tiefen,
weichen Ieug. Nicht nur die Iweige und Äeste der Bäume, sondern
auch die hohen Stämme waren mit der weißen Last bedeckt. Es
war nämlich Schneesturm gewesen, und da fegte aus Westen das
tolle Schneewesen daher, als wolle es von seitwärts die Welt mit
Weiß überschütten. Nimmt mich wunder, daß nicht Haus und alles
zugedeckt worden ist. Immer höher in den verschneiten Wald
hinauf stieg ich. Cs ging nicht ab ohne eiuiges Ächzen, denn im
frischen tiefen Schnee läuft sichs schwer. Jch zog den Hut vom
schwihenden Kopf ab wie im Sommer, und mein Wintermantel
wurde mir lästig. Da hörte ich Aptschläge. Cin junger Bursche
stand ganz allein in der weißen, abendlichen Waldeinsamkeit und
machte sich mit einer Tanne zu schaffen. Weiterhin und so stieß
ich auf ein sonderbares unerwartetes Hindernis. Zwei große
Tannen, vom Sturm zu Boden gerissen, lagen ihrer stattlichen
Länge nach mitten im engen Waldweg und versperrten dcnselben
mit ihren weitausgreifenden Asten. Doch icb arbeitete mich wacker
durch und ging weiter. Schon wurde es finster im weißen Zauber-
wald. Da ging ich bergabwärts, durch all den Schnee. Cinmal warf
es mich um, daß ich im Schnee saß, als habe ich mich zu Tisch sehen
wollcn, um zu soupieren. Jch raffte mich auf, mußte lachen und
beschleunigte den Heimweg.

vaktüt. Von Robert Walser.

Jch blicke dich so an: Iart erzogen, warst du in der Folge
überall zu rücksichtsvoll, wagtest nicht recht, dein eigenes Leben zu
vertreten. Du wolltest immer nur gar eigentlich zu brav, zu lieb
und zu gut sein. Du gehorchtest zu wenig dir selber, woraus eine
Folgsamkeit gegenüber andern Leuten entstand, die dir wenig
dienlich sein konnte. Eins sucht das andere unwillkürlicherweise
stets so zu behandeln, wie es ihm am besten paßt. Du hättest dich
mehr wehren sollen, doch du unterlagest jedem Einfluß, und eines
Tages erdreistete man sich, dich für unselbständig anzusehen und
dir dementsprechend zu begegnen. Darüber warst du sehr traurig,
ließest verzagt den Kopf hängen, statt daß du denen, die dich kränk-
ten, ein wenig die Iähne zeigtest. Iu irgendwelchen Ieitcn ist
es unsere oberste und heiligste Pflicht, uns zur Wehr zu setzen,
wenn wir nicht in das Unglück des völligen Verzagens stürzen
wollen. Da andere nicht immer liebenswürdig sind, hast auch
du nicht nötig, es immer zu sein; da Andere oft feindlich gesinnt
sind, mußt auch du nicht immer friedlich gesinnt sein wollcn. Man
muß meiner Änsicht nach stets ein wenig so sein wie alle. Du
sahest deine Umgebung sicherlich mitunter unzart. Nun, dann hättest
du auch ein wenig dieses Wesen haben sollcn. Doch du wolltest
nie auch ein wenig schlecht sein, wolltest nie jemandem auch ein
wenig weh tun, und wcil die Leute sahen, daß du dessen so ganz
und gar nicht fähig seiest, brauchten sie sich in keiner Weise zu
hüten vor dir und traten dir viel zu nah. Ei, das sollte jemand
mir gegenüber wagen. Jch versichere dich, da sehte es Stöße ab.
Man soll nicht zu hoch hinaus in der Welt, doch man soll auch nicht
gar zu tief hinab darin. Stets sorgtest du für andere, kümmertest
dich um andere. Oho! Waren es nicht gerade die, um die du dich
so angelegentlich bemühtest, die sich die Frechheit herausnahmen,

dich ihre Schnödigkeit und Kaltblütigkeit fühlen zu lassen? Ick,
glaube das wohl; denn die Gesellschaft, in welcher wir leben, ist
keine Gesellschaft von kleinen Kindern, sondern eine Gesellschaft
von Leuten, die einer den andern in der Auszeichnung und im
Gewinn überflügeln wollen. Da du dich immer so furchtsam be-
nahmest, so fürchtete sich niemand vor dir. Du hast nie daran ge-
dacht, wie notwendig es ist, sich im Leben einigen Respekt zu ver-
schaffen. Wo hast du je gelesen, daß man vor der Güte und vor
dem Sanftsinn den Hut zog? Du bist zu oft fragen gegangen,
was du zu tun und zu lassen habest, anstatt dir selber die Frage
vorgelegt und sie dir selber beantwortet zu haben. Jemanden
um Rat fragen heißt, ihm das Recht geben, zu denken, man sei
nicht selbst fähig, etwas Wichtiges zu beurteilen und das Richtige
zu treffen. Auf diese Art flößtest du Leuten, denen du Achtung
hättest einflößen sollen, die Neigung ein, dich gering zu schähen.
War es nicht doch ein wenig Beguemlichkeit von dir, daß du nicht
dich selbst mehr fragtest? Du machtest immer andere für dich
gewissermaßen ein wenig verantwortlich, und das war, verzeih
mir die Härte! unverantwortlich von dir. Du mußtest dafür ja
auch büßen. Und wie gabest du dich immer so seelengut dar, hieltest
immer dein Ohr hin, um auf anderer Leute Sache zu lauschen,
Anteil bis hoch über die Gebühr zu nehmen. Ist dir nie eingefallen,
daß du dich dadurch schädigen mußtest? Fiel dir das Unverhältnis-
mäßige dabei nie ein? War dir nie auffallend, wie du dich selbst
dabei preisgabst? In erster Linie muß man doch wohl seine eigenen
Angelegenheiten pflegen. Crst wenn du selbst stark bist, kannst du
dir gönnen, andere zu unterstützen. Als du dich für anderer Leute
Sache glaubtest einsehen zu sollen, stand es bös mit deiner eigenen.
Hast du das nicht gemerkt, oder wolltest du es absichtlich nicht merken?
Meintest du, es sei bösartig, wenn eins sich nicht selbst verliert und
vergißt? Hieltest du Klugheit für eine Schlechtigkeit und Vorsicht
für etwas Gemeines? Immer hattest du das schöne Bedürfnis,
jemanden zu verehren und lieb zu haben. Ich kann aber nicht recht
begreifen, daß dich nie die Lust überfallen hat, dich selbst zu ehren
und dich selbst auch ein wenig lieb zu haben. Das ist doch so natür-
lich, liegt so nah. Daß es dir im großen und ganzen an Religiosität
fehlte, geht deutlich daraus hervor, daß du mehr an die Herrlich-
keit „interessanter" Menschen als an die Macht und an die Herr-
lichkeit Gottes glaubtest. Dachtest du nie daran, wie klein und
schwach alle Mcnschen sind, selbst die vornehmsten und die edelsten?
Cs ist kein Mensch so schön und so fein, daß man sich nicht noch
etwas Schöneres und Feineres zu denken vermöchte. Und es ist
doch so natürlich, den Respekt vor den Menschen mit der Ieit ein
wcnig zu verlieren, wenn auch nur insoweit, als man selber mit
der Ieit respektabler unter ihnen dastehe. Cs ist ganz klar, daß du,
wenn du im Respekte und in der guten Meinung vor den Menschen
völlig aufgehst, keinen Platz in deiner Brust hast für das Gefühl
des Respektes vor dir selber. Entweder achtet oder verachtet man
sich, das erste ist gewiß passender als das zweite. Wenn man aber
sich selbst achtet, fällt man vor keinem Menschen auf die Knie,
ohne indessen die Menschen zu verachten. Jm Verhältnis von
Mensch zu Mensch beweist die Bewunderung sowohl als die Ver-
achtung einen Mangel an Weltkenntnis, die darauf beruhen muß,
zu denken, daß jeder ungefähr so gut und so schlecht sei wie der
andere und daß daher jeder einigermaßen Ursache zur Bescheiden-
heit habe. Du, indem du Menschen bewundertest, warst zu be-
scheiden; ließest andere dadurch gegenüber dir zu unbescheiden sein.
Indem du zu wenig Vertrauen zu dir selbst hattest, gabest du denen,
die sich ungezogen dir gegenüber benahmen, Änlaß, sich zu viel
Wert beizumessen. Jn dem Maß, wie du Wert auf dich selber
legst, verliert der, mit dem du umgehst, den Mut, sich zu über-
heben. Er wird sich in genau dem Grad bescheiden und artig ver-
halten, wie du dich würdig. Mutlos und verzagt sei vor Gott,
aber nicht vor den Menschen. Ein Mensch würdige, doch bewundere
nicht den andern. Deinesgleichen kann nicht beängstigend für ,
dich sein.

Verantwortlich: Wilhelm Schäfer. — Druck und Verlag: A. Bagel, Düsseldorf. — Kunstdruckpapier: I. W. Zanders, B.-Gladbach.
Gedruckt mit Farben der Chr. Hostmann - Steinbergschen Farbenfabriken, G. m. b. H., Celle (Hannover).

Alle redaktionellen Sendungen sind an den Herausgeber Wilhelm Schäfer in Vallendar a. Rh. erbeten.

Für unverlangte Manuskripte und Rezensionsexemplare wird keine Verpflichtung übernommen. Rückporto ist beizulegen.
 
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