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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 25.1915

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Heft 10
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Röttger, Karl: Die Herbstallee: Skizze
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Kunze, Kurt: Die Bergnacht: ein Zyklus von sechs Gedichten
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https://doi.org/10.11588/diglit.26491#0362

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Die Herbstallee.

von Träumcn, einsam und arm in der Seele — —
sommers sich gern wärmend an der Sonne, wenn sie in
Fülle niederftrömt in den umhegten Frieden des Gartens.

Das war Karl Alexander, meineö Sohnes Groß-
vater. . . Weiter.

Es war nicht alles so traurig, es war auch Freude,
ein Kind wuchs auf, ein Mädchen, die Haare gelb, daS
Gesicht länglich und blaß; die träumte, sie sei Dorn-
röschen, rmd die Welt, die hinter diesem Zaun liege,
sei so viel schöner und wunderbarer als dieser Park und
die Gärten. — Sie lachte viel am Sommerteich, sie sang
und ging um die Beete und Büsche, ihr Blick ging ver-
wundert an den hohen Bäumen hinauf und dann in
den Abend hinaus. — Und das Glück kam auch. —
War eine Hochzeit und Flöten und Geigen, da tanzte
daS Glück im Saal . . . denn der Eine war da . . .
war gekommen. Und das Glück zog hinaus und wax
ein ftolzer Iug diese Straße hinab, die damals eine
Frühlingsstraße war, und keine Herbstallee. Das ist auch
schon lange her.

Ia. Es war meines Mannes Schwester. Sie lebte
und starb im Glück. . . Woher wissen Sie?

Einen Augenblick! — bitte ich; meine Stimme klingt
mir selbst etwas beklommen. Da war noch ein jungeö
Wesen, fast Kind, die wandelte leise und still, schaute
aus klugen weiten Augen, sann und dachte. Sie sah
eineö Tages jemand draußen stehn jenseits des Zaunes,
hier unter den Bäumen, sah ihn lächelnd an und ging.
Und viele Tage so. Die fanden das Wort nicht zuein-
ander. Bis sie zu ihm heraustrat und an seiner Hand
mit ihm hinwegging. — Die aber kam wieder (wann?
wer mißt die Ieit, wenn er lebt?), kam wieder diese
Allee und trug ein Kind im Arm. Und trat vor den
Vatcr am Abend im hellen Saal und lächelte. Der
aber schrie auf, rot im Angesicht, wankte und ging hin-
aus. Und starb in derselben Nacht. Kind und Mutter
schwebten noch eine Weile durch die Stille der Gärten
und untcr den Bäumen und schwanden dann hinweg ...
in einen leeren Herbft; nur die Einsamkeit sah ihnen nach,
wie sie die kahle Allee hinunterwehten und - hinaus.

Das war Friederike Charlotte.

Ia und dann wehte das Glück und Sonnenschein
die Allee herauf — Sie sagten es schon — — und wurde
cine Sehnsucht darauS, müde, ein wenig rcizbar. . .
und doch noch mit einem Rest an . .. Glauben;
Glanben an das Wunder, an das Leben. - . Mit einer
Freude, die mit den Kindern kommt und geht. Die
sich selbft nicht zu ersüllen weiß, da sie haltlos im Wind
schwankt wie eine dünne, dünne Ranke. — — Aber so
ist das Leben noch immer zu tragen — da eine Hoff-
nung ist und etwas, das kommt und geht. Eine Freude
und cin Glück wehte herein, war cines Mannes Selig-
keit und blieb allein und ward Sehnsucht und Traum ...
Aber neue Freude blüht auf, denn das Leben ist unsterb-
lich und wird immer wieder einmal jung sein und lachen
und glauben ...

Sie stützt sich auf das Gitter: Ja, — ich! sagt sie
und sieht mich an. Woher kennen Sie uns? DieS
alleö hier?

Ich schüttele den Kopf. . . Jch träume manchmal.
Ich bin fremd und muß nun bald gehn . ..

Es ist Abend geworden, das Dämmern steht und
wankt zwischen uns. Der Herbst duftet welk; immer
dichter wölkt das Dunkel. . . Sie steht vor mir wie in
dickem dunklem Rauch. Es ist kühl geworden, sehr kühl.

Ich verneige mich und sage: Das Leben ist irratio-
nal; -,,man" tut mit uns, und alles, das wir tun
können, ift: in der Schwebe und im Gleichgewicht zu
bleiben, während es uns dahin treibt. Jch muß nun
gehn, und das ist recht so, die Farben Jhrer Herbst-
allee sind im Dämmern ertrunken, ich schleiche nun
unter den Bäumen hinweg wie ein Mensch mit bösem
Gewissen. Was tu ich hier und erzähle Jhnen Dinge...

Jch will eilen. Leben Sie wohl.

* *

*

Nicht so, bittet sie und ftreckt mir die Hand über
den Zaun und reicht mir eine ihrer schönen weißen
Blumen. Nehmen Sie. Dies ist wohl seltsam, denn
wir können einander nicht einmal um ein Gedcnken bitten.
Denn waö sollte uns daS? Vielleicht doch, sage ich.
Manchmal ist uns das Fremde am nächsten.

Einen Gruß herüber, hinüber. Jch gehe langsam
die Allee hinab, ich habe das Gefühl, daö Schwarz der
halbentlaubten Kronen drücke auf mich. Auf der Chaussee
atme ich auf und schreite schneller . . . Jch werde einen
Abend noch beim Licht im kleinen Zimmcr verträumen,
und in der Frühe reisen, noch im Dunkel; bis anö Meer
zu der Stadt mit den vielen Türmen und dem Grau,
das darum weht.. . Weiter aber kann ich nicht denken —
denn was weiß ich, wie meines Lebens Melodie aus-
klingen wird . . .

Der Herbst und seine Schönheit sind im Land ge-
wesen und nun wird bald die graue Leere sein. Das
will getragen sein. Vielleicht, daß innen noch etwas
ganz heimlich atmet: ein Keimlein des Glaubens und
der Hoffnung auf einen Frieden, auf ein Glück.

ie Bergnacht

Ein Iyklus von sechs Gedichten
von Kurt Kunze

Talwanderung

Die Welt scheint eigens wie für uns gemacht.

Nur Glanz auf allen Wiesen!

Und selten liegt ein Dorf im weiten Tal,
hineingelegt wie aus dem Spielzeugkasten,
aus dem ein Knabe die Häuser alle und die Kirche nahm.
O Klarheit dieses Herbstes sei gepriesen!

Mir ist, als wollte unser müdes Jahr, bevor es weiter
eilte,

in diesem Sonnenlande erst noch einmal rasten.

Und alle Berge stehn nüt weißen Mützen da
großäugig und als suchten sie verwundert
die Scharen, die im Sommer aus den fernen Städten
kriechen

und laut die Alpen, Bäume und das flüchtige Reh be-
staunen.

Und alle stehen willig bis ins Kleinste hingegeben,
sodaß kein Auge noch in dem Iahrhundert
 
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