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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 9.1918-1919

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Erstes Heft (April 1918)
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Behrens, Franz Richard: Totenwacht bei Wilhelm Runge
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Runge, Wilhelm: Gedichte
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https://doi.org/10.11588/diglit.37111#0010

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Totenwacht bei Wilhelm Runge
Der Vorderste fiel.
Die tierrote Märzschlacht traf Wilhelm Runge. Tötete den
neuen Leutnant, den jungen Kriegsfreiwilligen, der die Sehn-
sucht Leben brannte.
Wenn der Erdball nichts mehr von Somme und Oise weiß,
wirst Du, heckenrosenweißer Freund der Geliebte aller Sterne
sein.
Weil der Mensch nicht stirbt, der Tiere zu Menschen
macht. Der Blumen zu Sonne macht. Der Menschen zu Gott.
Wir lieben Deine Lieder, Wilhelm Runge. Du warfst sie
in den Sturm, der sie forttrug und gingst weiter: ,,Ein Wort ist
nur eine Erinnerung an einen Schrei der Seele. Es ist aber die
tiefste Sehnsucht der Seele, nicht nur Wort, sondern Fleisch
und Blut in uns selbst zu werden. . . . Ein schöner Frühlings-
morgen, dessen Sonne ich streichelte — jetzt ist die Sonne auf-
gegangen."
Weil Du ein ehrlicher Mensch warst, sprangst Du uns an
die Kehle: Entweder — oder! WeilDu ein reiner Künstler bist,
rufst Du in Sonnenstille: ,.Künstler sein heißt Ahner sein. Der
größte Künstler ist der, der sein Ahnen in sein Leben umsetzt,
weil er nicht anders kann."
Wenn wir heute weinen, willst Du es nicht. Wir weinen,
weil wir nicht so rein sind. Du flatterst Sturmflagge:
,,Jetzt ist das Himmelreich, das Reich des Geistes in unsere
Hand gegeben und wir tragens weiter vor strahlend in die
Nacht, denn wir sind jung und stark wie am Anfang. Die Mor-
genröte steigt! Die Tage brennen!"
Deine Tage brennen. Du stößt die Ewigkeit auf. Wir sind
froh in Deinen Tod, Wilhelm Runge!
' Franz Richard Behrens

Gedichte
Wilhelm Runge '
Augen schlucken
strecken Staunen
stehn
Sinn durchspringt des Blutes Rosengarten
müde spülen Träume
und verwelken
Stöhnen zwingt den Atem auf die Knie
Schreien reißt die Schultern in den Sand
Glauben bröckelt ein paar Silben Spiel
Lachen lehnt zurück
Die Sehnsucht flattert
Fahnen schmettern Siegen
Tod ist Krieg
Flinte gähnt
und reibt die müden Augen
Hohn blickt das Schlachtfeld
Lächeln spöttelt Sterben
steckt beide Hände in die Hosentaschen
und schlendert Glück
Sommer schmiegt Streicheln
Flüstern wiegt die Heimat
aus schreitet Sehnen
Dringend blickt das Blut
Die Adern schnaufen
und die Granaten fressen Staub.
Sonne küßt des Dörfchens rote Wangen
Wald huscht wieder in den Wolkenarm
Blumen blauen
Herz wiegt Pfauenaugen
lang zieht Glück des Lachens Schleppe nach

Erde wurzelt Blut
Die Hand ballt Wissen
Hand ballt Können
allerseelenfern
trillert Lächeln
Weißt Du
Wissen
wieviel Sternlein stehn
Stehen können
stammeln
gehn
*
Staub wirft hoch das kurze Sommerkleidchen
zuschlagen Augen
Sonne klinkt sie auf
Die Türen springen
Jauchzen schlägt beide Arme in die Luft
Schüttelt Sommer aus den wilden Locken
Stocken reckt
Die Finger nicken fragen
und die ganz kleinen Tränen trollen nach
Schlank steht der Himmel
eine Weile
abends
nickt Träumen nieder
wendet seinen Schritt
Dir zu den Seiten lächeln Sterne
Sehnsucht
fassen Dich an der Hand
und ziehn Dich mit
Bäume flüstern Abend durch die Stadt
still tut Haus die vielen Augen zu
Straßen schließen ihren Lauten Mund
hastig huscht Dukel
scheu in die Ecken winkt sein leichter Schuh
keusch
ziehen Glocken
feierlich
dicht vors Gesicht
den Schleier
Kuckuck springt dem Walde auf die Schulter
seinem Ruf greift Sonne in das Haar
Kiesel rieseln
Zittern wiegt das Gras
Blumen plätschern Duft
und winken Schweigen
Stille neigt
ihr Auge lächelt
Traum
*
Auto bricht Hohn
die Straßenecken ächzen
kreisch
winden Kinderkleider Staub
der Häuser Hände wehren ängstlich
zurück stößt sie des Autos starker Schrei
und Jagen hetzt die Städte von den Straßen
die Augen trommeln Sturm
und flattern Glück
eng schmiegt der Himmel in den Arm der Schläfen
und Sonne küßt die Stirn
Vergißmeinnicht

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