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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 9.1918-1919

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Zwölftes Heft (März 1919)
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Walden, Herwarth: Nachrevolutionäre
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https://doi.org/10.11588/diglit.37111#0158

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Nachrevoiuiionäre
Der Kunstglaser
Verschiedene sogenannte moderne Kunstkritiker machen
jetzt m Ueberwindung. Sie halten die Zeit für gekommen,
wieder abiehnen zu dürfen, was sie für eine Mode halten. Für
eine Mode, die sie wegen des L ortschritts immerhin mitmachen
wollten. Der Berufprofessor Glaser kommt sich sehr wichtig
vor. Er klärt die demokratischen Leser des Berliner Börsen-
kouriers über die Mode der Aloderne auf. Herr Glaser ver-
fügt über den natürlichen Bück, mit dem er Kunstwerke mei-
stert Herr Glaser hat das sichere Urteil des Kunsthistorikers.
Er hat vielleicht mit heißem Bemühen gelernt, was gewesen ist.
tir betrachtet die gesammelten sogenannten Kunstschätze des
Kupferstichkabinetts, das er auch ,,leitet", betrachtet sie mit
seinem natürlichen Blick und vergleicht. Die Folge sind ge-
schriebene Kabinettstücke überhebender Kunstfremdheit. Herr
Glaser kann nicht umhin, das Gras wachsen zu hören. Er ver-
kündet mit ahnungsloser Sicherheit: ,.Nicht ebenso einfach liegt
der Fall des Kubismus, über den gewiß auch einmal Gras wach-
sen wird, der aber das vor dem italienischen Futuristenrummel
voraus hat, daß ernst zu nehmende malerische Talente sich ihm
verschrieben." Die malerischen Talente müssen es sich durchaus
verbitten, von dem Berufsprofessor Glaser ernst genommen zu
werden. Sie vertragen solche schlechten Scherze nicht. Schon
deshalb nicht, weil dieser Herr Glaser mit seinem natürlichen
Blick über einen Fall Gras wachsen läßt. Gras wachsen
läßt über einen Fall, der etwas vor eine '! Rummel v o r -
a u s hat. Dieser Literat, der solche Bilder sieht, wagt dann zu
schreiben: ,,Man muß es Kandinsky lassen, daß er sein Hand-
werk noch immer besser versteht, als diese Nachahmer, wenn
man auch nicht umhin kann, se'ne Zeichnung, wo sie überhaupt
noch Reste kenntlicher Form enthält, äußerst trivial zu finden
und den Ausweg der abstrakten Farbe für eine literarisch ver-
kleidete Flucht ins Ornamentale zu halten." Herr Glaser fühlt
sich um die Stimmung der kenntlichen Form gebracht und hält
es für eine Flucht, wo er keinen Ausweg findet. Er kann Kunst
nur an kenntlicher Form erkennen. Er vergleicht sie mit seinem
literarischen Blick und fällt über das Gras, das ohne sein Zutun
über ihn wächst. Nachdem der Herr Berufsprofessor schnell
noch Chagall für ein kleines Talent erklärt, stößt er sich an
der Plastik: „Es wäre gewiß sehr bequem, wenn man allem
durch Schematisierung der Flächen zur monumentalen Form
gelangen könnte, wie William Wauer es zu glauben scheint.
Kunst ist nämlich unbequem, vor allem dem Herrn Glaser. Aber
Herr Glaser wird sich bequemen müssen, das für Kunst zu hal-
ten, was ihm nicht als Kunst erscheint. Ihm ist nämlich Kunst
Schematisierung der Flächen. Ihm wird die Form erst durch
Schematisierung kenntlich. Man kann nicht umhin, das Schema
dieses Schemens äußerst trivial zu finden. Der Glaser hat
seinen Beruf verfehlt. Er sollte Scherbensammler werden.
in Schmelz empfangen
Der Dramendichter Gerhart Hauptmann, der Schiller ju-
nior ohne Temperament, hat eine Kundgebung an das Neue
Deutschland erlassen, und zwar im Neuen Wiener Journal. Er
verständigt sich mit den deutsch-österreichischen Brüdern sehr
sinnreich auf italienisch, indem er ihnen zuruft: „Entweder
Reichseinheit oder — lasciate ogni speranza." Aber der Dich-
ter Ha.uptmann kann deutsch, wenn man auch alle Hoffnung
ahre? lassen muß, sowie dieser Dichter höchstselbst dichtet:
„Diese Einheit muß entdeckt, gefühlt, ergründet, erkannt,
erb y erfunden und in dem Schmelzprozeß der allge-
m Begeisterung geboren werden." Worauf der Mut-
ter ochmelzprozeß nichts übrig bleibt, als dem Kinde Einheit in
Wehen zuzurufen: Lasciate ogni speranza.
Gekämpft wie geschmiert
Herr Paul Westheim hat vor zwei Jahren begonnen, die
unwesentlich Schaffenden dieser Zeit zu erkennen und anzu-
erkennen, nicht ohne vorher durch viele Jahre die wesentlich
Schaffenden und die unwesentlich Schaffenden zu beschi mfen
und zu bespotten. Nun soll Direktor Justi von der Na

galerie die sogenannte jüngste Kunst für sein Al
sichtigen wollen. Hierzu bemerkt der unverdächt
heim in seiner expressionistischen Gartenlaub
Preude darüber, daß man nunmehr auch an so c _
die wesentlich Schaffenden dieser Zeit zu erkennen und an-
zuerkennen beginnt, ist doch zu sagen, daß uns die Eile, mit der
Justi so plötzlich Rückendeckung sucht hinter dieser jungen
Kunst, einigermaßen verdächtig erscheinen muß." Herr West-
heim hat es genau zwei Jahre eiliger, wenn auch sein Rücken
immer noch verwundbar ist. Wenn er auch heute noch nicht
die wesentlich Schaffenden von den unwesentlich Schaffenden
unterscheiden kann. „Die Geste, die da beliebt wird, ist doch
etwas zu eindeutig. Man wird es uns nicht verdenken können,
wenn wir m ihr weniger ein sachliches Sicheinsetzen für diese
Kunst als einen Akt kühl berechnender Kunstpolitik erblicken."
Man wird es mir nicht verdenken können, wenn ich in der
Tätigkeit des Herrn Westheim weniger ein unsachliches Sich-
einsetzen für diese nicht verstandene Kunst als einen Akt kühl
berechnender Konjunktur erblicke. Auch wenn dieser Akt des
Herrn Westheim jetzt expressionistisch aufgemacht ist. , Diese
Art Kunstpolitik, die aus außerkünstlerischen und gar aus per-
sönlichen Rücksichten sich für oder gegen irgend welche Kunst
entscheidet, ist altes Wilhelminisches System, gegen das wir
nicht umsonst jahrelang angekämpft haben." Herr West-
heim hat ein zu schlechtes Gedächtnis, um Kunstpolitik zu trei-
ben. Seine zwei Jahre der Hochkonjunktur kommen ihm wie
eine Ewigkeit vor. Herr Westheim ist jahrelang bekämpft wor-
den und fühlt sich als Sieger, trotzdem er nur Ueberläufer ist.
Ueberläufer vergessen immer schnell, woher sie gekommen
sind. Justi hat wenigstens Wesentliches nicht bekämpft, Herr
Westheim aber Unwesentliches verdächtig eilig gefördert. Die
Geste, die da beliebt wird, ist doch etwas zu eindeutig.
Materialisierung der Dichtung
Die Gebildeten unsrer Zeit sind nun einmal für Kunst. Seit
Jahrzehnten verschickt ein Herr Aug. Ludwig Ankündigungen
seiner Wort- und Tonschöpfungen. In seiner neuesten Ankün-
digung heißt es: „Nachdem uns bisher die Versdichter mit Vor-
liebe nur Erträumtes, Gefabeltes vorgedichtet haben, liegt für
uns Neuzeitliche das Bedürfnis vor, uns nunmehr der vollen
Wirklichkeit und den Tatsachen zuzuwenden. Unsere Forscher,
Denker und Erfinder haben uns mit reichlichstem .Material dazu
versehen, so daß bereits manch früherer Dichtertraum (z, B. der
Fliegertraum!) heute in greifbare Erfüllung gegangen und als
solcher erledigt wurde. Ach ja,
die vielen unzähligen Dichtenden:
Sie bieten uns als Dichtergaben
Was sie erträumt erfabelt haben.
Fort mit der Nebelfantasie!
Wir wollen Wirklichkeitspoesie!
Nicht Gaukelrichtung,
Nein Tatsachendichtung!
Zeigt eine Welt,
die Wahres enthält!"
Die Gebildeten unserer Zeit sind nun einmal für die Kunst.
Ueber diesen Aug- Dichter und seine Kunst werden Aeußerun-
gen veröffentlicht, die „Gelehrte getan haben, Herr Professoi
Silex schreibt: „Viele Kapitel der Schrift Neue Note sind sehr
interessant." Herr Professor Dr. Franke Berlin: „In einer ge-
radezu hellseherischen Eingebung ist es dem scharfsinnigen wie
poetischen Autor gelungen, das im Hohelied Salomos ver-
worren schlummernde Geheimnis zu entwirren. Lind das k er-
blüffendste daran ist, daß dies mit dem ureignen Text der Bibel,
ja mit den Worten Luthers geschehen konnte, die nur gehörig
umgestellt zu werden brauchten, um statt des bisherigen
Unsinns nunmehr wieder ursprünglich und höchst sinnvoll
vor dem erstaunten Leserauge zu liegen!
Und diese ganze „Entwicklungslehre in Versen mit Buch-
schmuck und Schmuckdruck" kostet nur zwei Mark. Das ist
WirkÜchkeitspoesie, vom Professor Silex untersucht.
Her warth Wafden

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