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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 9.1918-1919

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Erstes Heft (April 1918)
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Friedlaender, Salomo: Der umgekehrte Narziss
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Heynicke, Kurt: Gedichte
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https://doi.org/10.11588/diglit.37111#0018

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Der umgekehrte Narziss
Mynona
Sie kennen ja, da Sie gebildet genug sind, um Mynona zu
lesen, die Tragödie der Narzisse, Eigentlich ist es die Tragödie
der Selbsterkennung. Aber nicht immer, wenn man in den
Spiegel blickt, erfreut man sich sehnsüchtig gierig der eigenen
Schönheit. Erinnern Sie sich jenes russischen Generals, dem
der Anblick seines eigenen Spiegelbildes, wegen seiner ab-
schreckenden Häßlichkeit, so unerträglich war, daß er den
Spiegel zertrümmerte; schließlich mußte man alle Spiegel vor
ihm verhängen. Ueberhaupt, ehrlich, Hand aufs Herz: finden
Sie sich so schön, daß Sie diesen russischen General pharisäisch
verlachen dürften? Wo wäre das Fleisch, in dem nicht der
Stachel der Schönheit bohrte! Der sogenannte Geschlechts-
trieb, unter uns gesagt, bedeutet eigentlich die Begierde, an-
ders zu werden — anders, d. h. immer echter der Selbe. ,,Ich
bin noch lange nicht Ich", schmerzt eine Liebe zu uns selbst in
uns. Wir greifen nach dem Geliebten wie nach einem Spiegel,
in dem wir uns verklären etc. etc.. Sie kennen diesen Gedan-
kengang (Was kennen Sie nicht?). Machen Sie sich also klar,
daß Ihr eigener Anblick zum Motiv Ihres Aussehens wird. Ihr
Anblick bewirkt immer eine, wenn auch noch so leichte Meta-
morphose, fährt Ihnen in die Glieder, formt sie, je nach dem, um.
Bedenken Sie aber nun so tief wie möglich, daß eo ipso no-
lens volens, äußerst gütiger Weise, sich Jeder, der sich noch
nicht genügend im Spiegel erblickt hat — und jeder andere
Mensch ist für den Menschen ein Spiegelbild, an dem er sich
kontrolliert — sich selber riesig lieb hat, sich ideal findet,
schwer begreift, wie man anders sein könne. Der Ringkampf
mit dem eigenen Spiegelbilde, welches schließlich so unterliegt,
daß selbst Thersites sich im Spiegel Apollo dünkte, gehört zu
den alltäglichsten Erfahrungen. Bedenken Sie bitte nur das
Alles und noch mehr, was in der Verlängerung dieser Spur liegt,
nebst banaler Splitter- und Balken-Weisheit, und staunen Sie
nicht so dümmlich über die hier folgende Begebenheit, welche
sich an einem sehr trüben Herbsttage des Jahres 1888 im Affen-
hause eines der größten zoologischen Gärten zugetragen hat.
Mit Verdruß hatte längst der Wärter Bimpel, ein bejahrter
Mann mit dem Abglanz der Tier-Physiognomie auf seinen mil-
den Zügen (während hingegen so mancher Affe — denn alles
Benachbarte färbt auf einander ab — bimpelhaft überhaucht
war), wahrgenommen, daß der frappant menschenähnliche Affe
Mimo sich melancholisch von den Kollegen absonderte. Bimpel
beschloß, den Mimo auf alle nur mögliche Weise aufzuheitern;
er befürchtete sonst dessen Eingehen. Bimpel aniemerte das
Publikum, den Affen zu vergnügen. Viel zu naiv von Bimpel!
Das Publikum liebt boshafte Neckereien, und Mimo kehrte ihm
sehr bald verächtlich seine Rückseite zu. Bimpel versuchte es
mit Konfekt, Schokoladenzigaretten, Bällen, bunten Sternchen,
mit dem Perlmutterbilde des Kaiserpaares, einer alten Holz-
büste Gerhard Hauptmanns, mit Zahnbürsten, Perücken,
Ostereiern, Pfeifchen, Zinnsoldaten und Richard Strauß'scher
Musik, sogar mit Strophen von Rudolf Borchardt — nein, es
mißlang; Mimo machte, bes. bei Borchardt, unverkennbar
gequälte Abwehrbewegungen und grunzte gottserbärmlich.
Schon wollte Bimpel den Mimo aufgeben, als ein Zufall den ge-
wünschten Effekt und weit mehr als diesen, nämlich ein wahres
Wunder herbeiführte. Der Wärter nahm Mimo sorglich auf den
Arm und trug ihn spazieren. Dabei begegnete ihm der Direktor
Professor Golemchen und bat ihn auf einen Moment in sein
Zimmer. Die eine Wand des Kabinettes nahm ein makellos
klarer Spiegel ein, und kaum hatte der Affe sich in ihm erblickt
und zu erkennen gegeben, daß er sich darin rekognoszierte, als
er einen entsetzlichen, erschreckend menschlichen Schrei aus-
stieß und Anstrengungen machte, vom Arme Bimpels in den
Spiegel zu springen. Der Wärter hielt ihn fest und beruhigte
ihn. Professor Golemchen fragte: ,,hat er sich denn noch nie
im Spiegel gesehen?" ,,So noch nicht, nur in kleinen Scherben
ganz undeutlich." ,,Na, dann lassen Sie ihn doch! Vielleicht
amüsiert es ihn. Wir wollen einmal sehen, wie er sich anstellt."

Mimo ging zitternd auf allen Vieren vor den Spiegel. Dort rich-
tete er sich in die Höhe und sah sich in die Spiegelaugen mit
einem so grauenvoll wissenden Blicke, einem so märtyrerhaften
Ausdruck in der Miene, solcher sprechend selbstquälerischen
Gebärde, daß Golemchen und Bimpel fasziniert wurden. Setze
den Fall, Du sähest in den Spiegel, und der Spiegel zeigte Dich
Dir als Affen-Mensch, würde das nicht auf Dein Gemüt ein-
wirken? Das Geheimnis nun der Melancholie Mimos bestand
darin, daß sein Innerstes gar kein Affe war. Solche Fälle sind
in der höheren Tierwelt garnicht so selten. Da gibt es denn
solche Seelen von unvergleichlich feiner Beschaffenheit; aber,
von außen angesehen, sind es — und noch dazu degenerierte
(denn der Leib entartet, wenn die Seele ihn nicht mitmacht) —
Tierleiber. Mimos Seele war unausdenkbar feinfühlig und in
absurdem Widerstreite mit ihrer tierischen Hülle. Gar dieser
Spiegel bedeutete für seine Selbsterkenntnis eine einzige Peri-
petie und Katastrophe. Nochmals stieß er jenen übertierischen,
fast übermenschlichen Schrei aus — dann aber, in einem Augen-
blick, verwandelte sich, gleichsam kinematoskopisch, vor den
bis zum Blödsinn verdrehten Augen Golemchens und Bimpels,
der Affe in den Adam. Als ob ein Riß, ein Blitz, eine Erschüt-
terung durch sein Fleisch ginge, explodierte sein Leib in eine
menschlichere Form bis er adamitisch geworden war. Go-
lemchen dagegen und Bimpel behielten zwar ihr menschliches
Aeußeres bei; aber ihre Seelen reduzierten sich, in Folge dieses
Wunders, ins Affenhafte. Man konnte kein Referat von ihnen
verlangen, und Mimo wiederum sah nunmehr zwar wie ein
Mensch, ja sogar wie aus der Schöpferhand unentstellt ur-
sprünglich hervorgegangen aus. Er war aber noch stumm. —
Die Journale berichteten lediglich Tatsachen, ohne sie erklären
zu können: ,,Im Zimmer des Direktors Golemchen fand man
diesen sowie den Wärter Bimpel blödsinnig geworden vor. Vor
dem Spiegel stand ein unbekannter nackter Jüngling, der stumm
zu sein scheint. Kriminalinspektor Mauthner ist mit der Un-
tersuchung des seltsamen Falles beauftragt. Zu gleicher Zeit
vermißt man den alten Liebling des Publikums, den Affen
Mimo." — Ja, ja, ja, so gehen diese Leute an jedem wirklichen
Wunder vorüber! Unheilige Einfalt!

Gedichte
Kurt Heynicke
Weib
Wiege die Hüften
biege die Lenden
auf den Händen trägst du dich selber den Nächten zu.
Ewiger Reigen
tanzendes Du
wiegende Wogen im Strahl der Gedanken.
Abend ist Morgen und Nein ist Ja
Ferne ist Nähe und Hier ist Da —
Singend Madonna über den Sternen im Blau
Frau
ruhend allein ist dein Mutterschoß ewigen Schenkens.
Zorniger Gott
Ich bin Gott, der Zorn
ich bin lechzender Blitz
ich töte den Tag mit schwarzblauem Sturm,
ich peitsche mit tausend Geißeln das Meer!
Mit Menschen spielt meine dunkele Faust,
mein Mund jagt Städte vor sich her,
ich bin das Blut, die Macht, die Gewalt,
ich bin Gott im Zorn
und der Krieg über der Welt.
Meine Stimme sind Granatengesänge und Aerztegeflüster,
das Gurgeln versinkender Schiffe im Meer.
Ich bin Gott, die Leidenschaft,
ich bin Gott, die Kraft,
millionenfach bin ich:
Ihr!

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