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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 9.1918-1919

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Erstes Heft (April 1918)
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Walden, Herwarth: Vermerke
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Mehring, Walter: Deri: oder Kunstkabale und Liebermann
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https://doi.org/10.11588/diglit.37111#0022

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tenlocke könnte dann weit besser zu unserm Auge sprechen.
Wie wollten wir dann im Takt mit seinem Stabe teils jubeln,
teils leiden. Jeder Irrtum wäre ausgeschlossen. Seit ich ihn
gesehen, glaub ich nicht mehr taub zu sein. Die Frage der
Drehungen muß aufgeworfen werden. Damit die Musikkriti-
ker endlich sehen, was Musik ist. Jeder Irrtum ist ausge-
schlossen. Wie sollte der Musikkritiker sonst wissen, ob der
Pianist die Pedale richtig tritt, wenn man ihm nicht auf die
Füße sehen kann. Wie kann der Musikkritiker sonst wissen,
ob die Sängerin mit Seele singt, wenn er nicht die Erschütterung
des Busens sieht. Es gibt eben Merkmale, die so wenig zu ver-
kennen sind, daß selbst ein Musikkritiker sich nicht irren kann.
Das ist der bekannte Drang nach Sichtbarkeit. Weswegen den
Herren Musikkritikern auch immer die ersten Reihen in den
Konzertsälen Vorbehalten sind. Weswegen die Herrn Musik-
kritiker sich auch in den verdunkelten Konzertsälen fürchten.
Denn im Dunkeln kann man munkeln, wie der Dichter sagt. Und
die Musikkritiker müssen sich eben am Stabe in die beliebte
Kunstwelt führen lassen. Sie wollen sich durchaus nicht den
Stab aus den Händen schlagen lassen. Sie fühlen sich sonst an
der Nase geführt. Zwar ist die Nase auch ein Gesichtspunkt.
Sie trägt in den meisten Fällen die Brille, die das Auge führt.
Zwar sind Kritiker und Kenner empört, wenn etwa ein Dichter
behaupten würde, daß er mit den Augen hört. Die Herren be-
haupten dann, das könne man nicht. Man begreift jetzt, wes-
halb sie es behaupten. Sie wollen zwar nicht diese Kunst, aber
diese Art Kritik für sich behalten. Jedenfalls müssen wir dem
Kritiker der Vossischen Zeitung dankbar sein, daß er uns einen
Gesichtspunkt in das Gefühlsfragezeichen der Berufskritik ge-
setzt hat. Man wird in Zukunft auf den Namen dieses Schau-
kritikers Max Marschalk neben den Namen der bewährten
Schaudirigenten offenen Auges und verstopften Ohres blik-
ken müssen.
Herwarth Waiden


D^rioder Kunstkabale und Liebermann

Das Lichtbild (hat sich derart verfeinert, daß nichts mehr
zu sehen ist)
Die Derische Kunstpsychologie:
Das sind die Grenzen der Malerei

II
D eri :
Jetzt kommt der Ruf nach Kraft
Der Ruf (läßt sich entschuldigen, er ist zu Schiff nach Kraft)
D e r i :
Man will wieder etwas Handgreifliches und macht es wie
die kleinen Kinder: Dieser Seurat setzt seine Bilder aus
points zusammen. Pointillismus
Die Kunstpsychologie (belächelt die Pointe)
Die Kunstgeschichte (meldet): Die Kubisten
D e r i :
Man sucht nach immer stärkeren Komplexen. Jetzt will
ich Ihnen zeigen, wie es die kleinen Geister machen
Das Lichtbild (zeigt) Picasso
D e r i (spricht französisch, damit ihn die Kunst besser versteht):
Je constate je ne juge pas. Cezanne und van Gogh gehen
den direktenWeg, diese winzigen Pointillisten und Kubisten
versuchen es auf Umwegen. Sie sehen hier die Augen, den
Mund, Reste einer Nase . . .
Das Lichtbild (sperrt Augen, Nase und Mund auf und ver-
schwindet direkt)
Das nächste Lichtbild (zeigt) Delaunay le tour Eiffel
D e r i :
Dieser Maler wollte den Eiffelturm malen. Er stürzt ihm
unter den Händen zusammen
Der Eiffelturm (kracht)
Die Derische Kunstpsychologie (stürzt weinend
zusammen)
Beifall (schlägt bombenmäßig ein)

Bürgerliches Trauerspiel in vier Akten
Personen
Die Derische Kunstpsychologie
Die Kunstgeschichte, beider Stieftochter
Liebermann, ein Maler
Die Kunst, sein Verhältnis
Prof , der Kunstgeschichte, Backfische, Publikum
Zeit: Mittwoch, den 6. März
Ort: Inneres des Cassirerschen Kunsttempels
I
D e r i :
Die moderne Kunst entwickelt sich aus dem Naturalismus
Die Kunstgeschichte (horcht auf)
Die Derische Kunstpsychologie (schmiegt sich an
ihn): Der Künstler ist ein Mensch wie wir. Wir müssen
dahinter kommen.
Das Liebermannlichtbild (kommt gleich dahinter)
D e r i :
Man muß es fühlen, auch wenn man es nicht wüßte, so und
nicht anders werden Gänse gerupft
Die Backfische (lächeln geschmeichelt)
D e r i :
Diese Malerart verfeinert sich mehr und mehr. Und es
entstehen die Manetschen Schöpfungen
Die Kunstgeschichte (rechts ab)

III
D e r i (allein, beschwört) Cezanne
Der Geist Cezannes (nach links ab)
Das Lichtbild (springt ein)
D eri :
Nun sehen, wie fest so eine Mauer bei Cezanne steht
Das Lichtbild (wackelt)
D e r i (beschwört) van Gogh
Das Lichtbild (springt gleich ein)
D e r i (beleidigt):
Van Gogh ist kein ganz Großer, der Inhalt entscheidet doch
schließlich. Ein Baum füllt doch kein Bild aus.
Der Saal (leert sich)
Die Gelehrten (klatschen Beifall)
IV
D e r i (strahlt)
Die Lichtbilder (erlöschen an seinem Kunsthorizont)
Die Derische Kunstpsychologie (stirbt):
Die Limonade ist matt wie Deine Seele
Die Kunstgeschichte (stirbt an Kunstvergiftung)
Die Kunst (das Verhältnis des Liebermann winkt ihm aus den
Kulissen rechts):
Komm mit
Der Vorhang fällt vielsagend
Walter Mehring
 
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