Hermann Essig
Hermann Essig der Dichter ist weltwärts gegangen, der
den Menschen hold und dem die Menschheit abhold war. Die
Menschheit will ernst genommen werden in dem, was sie sicn
einbildet. Der Dichter aber bildet. Der Dichter entfernt die
Hüllen und sieht die Blöße mit reinem Auge. Das Herz der
Menschheit schlägt ihm auf der Brust. Und schlägt das Herz des
Dichters nicht mehr, so schlägt die Menschheit die Augen auf
und sieht sich selbst ins Innerste getroffen. Nur wenige schauen
gern auf ihre eigne Nacktheit. Sie sind nur sicher und stattlich
in dem, was sie verhüllt. Sie wollen nur Gesehenes nach-
sehen und Gefühltes nachfühlen. Der Dichter kennt diese Mittel
nicht. Unmittelbar greift er ins Leben, da er es nicht begreift.
Wir sind vom Dichter ergriffen und bilden uns ein, ihn wieder
begreifen zu können. Wir sind nur Werkzeug seines Werks.
Hermann Essig ist der Dichter der Wirklichkeit. Die Wur-
zel seiner Kunst ist, den lebendigen Trieb im wesenlosen Ge-
triebe dieser Erde aufblühen zu lassem Ueber Geschlecht und
Beruf hinaus vergehen seine Menschen ins Unvergängliche. Das
Unvergängliche, in diesem seinem Werk ist es getan. Der Kampf
des Ewigmenschlichen gegen das Unmenschliche der erzwun-
genen, nicht gewollten oder nicht gekonnten Lebensführung des
Einzelnen ist komisch, wenn das Menschliche unterliegt. Der
Kampf ist tragisch, wenn das Menschliche siegt. Die große
Kunst ist tragisch und komisch zugleich. Die Tragödien Her-
mann Essigs sind Komödien. Und seine Komödien Tragödien.
Seine Werke sind keine Abbilder der Natur. Seine Werke sind
Natur als Kunst. Unnatürlich denen, die erst im Abbild das
Bild sehen.
Gedichte
Lothar Schreyer
Gatten
Weh schlägt Herz
Du trägst Wunde
Du schlägst Herz
Du bist
Brüste Dein Mein Kleid
Nackt sind Wir Eins
Schwanken die Hüllen um uns
Wandeln Wir Menschen
Lächeln Wir Wissen
Kennen Wir nicht
Schwanken Uns um
Schlagende Brust
Dich seh ich nackt
Trage Wir
Fort um Weh um Fort
Vergangnes
Still
Uns lauscht das Fremde
Dein ist nicht Mein
Vergib
Du hast Dich vergeben
Körpert Du Mich
Du schlingst Mich wund
Qual um Grauen Angst Zerhoffen
Spähen horcht kein Sehen
Nun zu spät
Greifen Wir vergebens
Von den Dichtern der Wirklichkeit kann nur ein Name
neben den Namen Hermann Essig in Deutschland gestellt wer-
den: Heinrich von Kleist. Was mit der ersten deutschen Komö-
die Der zerbrochene Krug vollendet begonnen wurde, Hermann
Essig hat es in zahlreichen Komödien vollendet. Auch Her-
mann Essig wurde nicht erkannt.
Aber sein Leben war glücklich. Denn er war begeistert.
Begeistert vom Geist der Kunst. Er glaubte nicht nur an seine
Kunst, er wußte um sie. Mit dem Wissen, das nur der Künstler
hat. Der Künstler entwickelt sich nicht, der Künstler ringt
nicht, der Künstler reift nicht. Aus dem Künstler schlägt die
Kunst die tausend Augen auf. Hermann Essig schuf, weil er
mußte. Und weil er mußte, konnte er,
Hermann Essig, der Sohn eines Pfarrers, zog freudig in den
Krieg. Gott und der Kampf, das ist die Kunst. Kampf gegen
andere und vor allem Kampf gegen sich selbst. Er hatte, wie
feder große Künstler, das Bewußtsein der Pflicht und die Sitt-
lichkeit der Unterordnung. Er fühlte sich durch die Kunst er-
hoben, er wollte nicht wegen der Kunst erhoben sein.
Aber die Menschen werden sich an seiner Kunst erheben.
Trompeten schmettern und Gewehre knattern. Dem Sterb-
lichen der letzte Gruß. Das Unsterbliche, das in diesem Her-
mann Essig gebunden war, löst sich in die Welt und bindet die
Menschen, die wie Künstler glauben können.
Wir glauben an Dich, Hermann Essig, Wir lieben Dich, da
Du uns lebtest. Du lebst uns. Du lebst der Erde.
Deine Kunst ist in der Welt.
Herwarth Waiden
Rede an der Bahre / 25. Juni 1918
Suchen
Raum über weht Dein Wogen
Suchen Breiten über Zeit
Mich über brennt Dein Ruf
Erde stürzt zum Himmet auf
Welt flammt der Mensch
Komm Du
Tief zittert mein Warten
Hier bin Ich
Dir
Vergebens
Uns
Breite Strom Blut
Dir und Mir
Rauschen Meere küstenlose Turm
Uns
Durch im Blut
Durch im Rausch
Weit weit weit
Arme
Füße
Dein nach Mein
Eilen Greifen Greifen Eilen
Luft bricht Brücke leer
Angst Versinken schneidet Licht
Näher nahe Nichts
Wellen nahen fernen Roll
Schiffe bersten lasten Leid
Kein Weg
Keine Liebe zu Leid
Alles Leiden zu Liebe
Eile
Nahe
Ende
Nie Wir
Nie
Nie
50
Hermann Essig der Dichter ist weltwärts gegangen, der
den Menschen hold und dem die Menschheit abhold war. Die
Menschheit will ernst genommen werden in dem, was sie sicn
einbildet. Der Dichter aber bildet. Der Dichter entfernt die
Hüllen und sieht die Blöße mit reinem Auge. Das Herz der
Menschheit schlägt ihm auf der Brust. Und schlägt das Herz des
Dichters nicht mehr, so schlägt die Menschheit die Augen auf
und sieht sich selbst ins Innerste getroffen. Nur wenige schauen
gern auf ihre eigne Nacktheit. Sie sind nur sicher und stattlich
in dem, was sie verhüllt. Sie wollen nur Gesehenes nach-
sehen und Gefühltes nachfühlen. Der Dichter kennt diese Mittel
nicht. Unmittelbar greift er ins Leben, da er es nicht begreift.
Wir sind vom Dichter ergriffen und bilden uns ein, ihn wieder
begreifen zu können. Wir sind nur Werkzeug seines Werks.
Hermann Essig ist der Dichter der Wirklichkeit. Die Wur-
zel seiner Kunst ist, den lebendigen Trieb im wesenlosen Ge-
triebe dieser Erde aufblühen zu lassem Ueber Geschlecht und
Beruf hinaus vergehen seine Menschen ins Unvergängliche. Das
Unvergängliche, in diesem seinem Werk ist es getan. Der Kampf
des Ewigmenschlichen gegen das Unmenschliche der erzwun-
genen, nicht gewollten oder nicht gekonnten Lebensführung des
Einzelnen ist komisch, wenn das Menschliche unterliegt. Der
Kampf ist tragisch, wenn das Menschliche siegt. Die große
Kunst ist tragisch und komisch zugleich. Die Tragödien Her-
mann Essigs sind Komödien. Und seine Komödien Tragödien.
Seine Werke sind keine Abbilder der Natur. Seine Werke sind
Natur als Kunst. Unnatürlich denen, die erst im Abbild das
Bild sehen.
Gedichte
Lothar Schreyer
Gatten
Weh schlägt Herz
Du trägst Wunde
Du schlägst Herz
Du bist
Brüste Dein Mein Kleid
Nackt sind Wir Eins
Schwanken die Hüllen um uns
Wandeln Wir Menschen
Lächeln Wir Wissen
Kennen Wir nicht
Schwanken Uns um
Schlagende Brust
Dich seh ich nackt
Trage Wir
Fort um Weh um Fort
Vergangnes
Still
Uns lauscht das Fremde
Dein ist nicht Mein
Vergib
Du hast Dich vergeben
Körpert Du Mich
Du schlingst Mich wund
Qual um Grauen Angst Zerhoffen
Spähen horcht kein Sehen
Nun zu spät
Greifen Wir vergebens
Von den Dichtern der Wirklichkeit kann nur ein Name
neben den Namen Hermann Essig in Deutschland gestellt wer-
den: Heinrich von Kleist. Was mit der ersten deutschen Komö-
die Der zerbrochene Krug vollendet begonnen wurde, Hermann
Essig hat es in zahlreichen Komödien vollendet. Auch Her-
mann Essig wurde nicht erkannt.
Aber sein Leben war glücklich. Denn er war begeistert.
Begeistert vom Geist der Kunst. Er glaubte nicht nur an seine
Kunst, er wußte um sie. Mit dem Wissen, das nur der Künstler
hat. Der Künstler entwickelt sich nicht, der Künstler ringt
nicht, der Künstler reift nicht. Aus dem Künstler schlägt die
Kunst die tausend Augen auf. Hermann Essig schuf, weil er
mußte. Und weil er mußte, konnte er,
Hermann Essig, der Sohn eines Pfarrers, zog freudig in den
Krieg. Gott und der Kampf, das ist die Kunst. Kampf gegen
andere und vor allem Kampf gegen sich selbst. Er hatte, wie
feder große Künstler, das Bewußtsein der Pflicht und die Sitt-
lichkeit der Unterordnung. Er fühlte sich durch die Kunst er-
hoben, er wollte nicht wegen der Kunst erhoben sein.
Aber die Menschen werden sich an seiner Kunst erheben.
Trompeten schmettern und Gewehre knattern. Dem Sterb-
lichen der letzte Gruß. Das Unsterbliche, das in diesem Her-
mann Essig gebunden war, löst sich in die Welt und bindet die
Menschen, die wie Künstler glauben können.
Wir glauben an Dich, Hermann Essig, Wir lieben Dich, da
Du uns lebtest. Du lebst uns. Du lebst der Erde.
Deine Kunst ist in der Welt.
Herwarth Waiden
Rede an der Bahre / 25. Juni 1918
Suchen
Raum über weht Dein Wogen
Suchen Breiten über Zeit
Mich über brennt Dein Ruf
Erde stürzt zum Himmet auf
Welt flammt der Mensch
Komm Du
Tief zittert mein Warten
Hier bin Ich
Dir
Vergebens
Uns
Breite Strom Blut
Dir und Mir
Rauschen Meere küstenlose Turm
Uns
Durch im Blut
Durch im Rausch
Weit weit weit
Arme
Füße
Dein nach Mein
Eilen Greifen Greifen Eilen
Luft bricht Brücke leer
Angst Versinken schneidet Licht
Näher nahe Nichts
Wellen nahen fernen Roll
Schiffe bersten lasten Leid
Kein Weg
Keine Liebe zu Leid
Alles Leiden zu Liebe
Eile
Nahe
Ende
Nie Wir
Nie
Nie
50