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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 9.1918-1919

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Drittes Heft (Juni 1918)
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Runge, Wilhelm: Lieder
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Allwohn, Adolf: Um Gott
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https://doi.org/10.11588/diglit.37111#0042

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Lieder
Wilhelm Runge
Flehen flüstert in das Ohr der Nacht
tuschelt Himmel in die Tagestrümmer
und des Auges später Abend friert
leise gurren der Adern blaue Tauben
wiegen Märchen aus dem Laub der Stirn
aus der Seele Wäldern schreckt die Stille
durch der Pulse Angstgebrüll
Hände knieen Sopimer aus den Sternen
und das blaue Meer des Tages tanzt
sanft sprüht Tau der Stirne fernes Gleiten
aus den Nischen kriecht der Tod zum Spiel
Sonne zaust die wirbelwilden Locken
strampelt in die Ecke alle Nacht
balgt den Schlummer schummrig aus den Augen
blumenblinzelnd
torkelnd tanzt des Himmels blaue Wiege
Stunden drücken sich im kurzen Röckchen
Kichern überhellt des Tages Stube
Hastend geht mit kurzem Schritt deiner Worte weiten Weg
mein Atem
wirft die Hände plötzlich in die Luft
stürzt
Hoch aufblitzend schlägt mein Blick
lallend stehn der Worte Plapperpappeln
und sie splittern schlitternd in den Sand
Blatt um Blatt
zitternd stehn der Hände zarte Kelche
und des Blutes Demut kniet umher
wiesensanft.
Im. Garten
Bohnen überklettern kahle Stangen
Schmetterlinge blühen bunt hinein
Astern summen rosablaue Lieder
Grillen grünen durch das zirpe Gras
rote Lippen wölbt der wilde Mohn
Zwitschern neckt den flimmerspielgen Wind
Friede kühlt des Krieges heiße Stirn
und die Sonne drückt die goldnen Händchen
auf der Erde leise zuckend Herz
Sterben lächelt sommerblaue Stunden
und der Morgen beißt den jungen Sternen in den immerschim-
mersüßen Arm
Sinn zieht von der Welt begehre Hände
Sterben sonnt die nimmermüde Stirn
Leben flattert durch des Blutes Blumen
zart zieht Himmel seine blauen Schleier
Sonne netzt der Sehnsucht Lippen kühl
Trauern trocknet stumm
die lahmen Willen sputen
Sinnlos bricht den blenden Bann
versinnten Seins


Um Gott
Adolf Allwohn
Der Mensch
Eine tragende Gebärde will hochsteigen. Eine Stimme ver-
sucht das hohe Gewölbe. Es spricht einer hinter blaudunklen
Kerzen. Der Mensch will sprechen. Worte haben sich selbst
berufen. Die Wände ahnen ein Llerz.

Die Menschen verschlucken ein Herz. Die Menschen schrillen
die Stille. Fremde Klänge mengen ein Knarren. Der Mensch
treibt Triebe. Und Schluchzen. Weh!
Rauschen stürzt ein lautes Lampenlicht. Krasses Schellen-
geheul schlägt einen Rücken. Furchtbar ist die Nacht, Schein-
tote liegen erschlagen auf allen Feldern. Der Mond irrt über
gelbe Wolkenräder. Lasten fiebern. Lasten vergraben, La-
sten lachen wild auf. Zack durch die Erde. Kraß über Stop-
pelfeisen und ermordete Berge. Luft gellt. Luit wiehert.
Bäume reißen Kleider in Fetzen. Die blöden Häuserlichter
krampfen Totenbeine über die Sterne.
Es ist alles zerweht. Wege zerblättern krank. Es liegen Sen-
sen überall vererbet. Es liegen Scherben überall verkrümelt.
Der Mensch ist verrestet.
,,Herr nimm! Herr gib!"
Menschen kommen. Menschen heben ein Mitleid auf. Men-
schen sind lieb. Menschen beugen sich herunter. Der Mensch
spuckt Asche. Der Mensch schlägt den Mond. Der Mensch
stellt Gott. Gott ist dunkel. Gott ist in den schwarzen Tal-
nebeln. Gott ist müde im Schlaf. Gott ist nicht Gott.
Eine ungeheure Frage starrt den Himmel. Die Erde muldet
sich. Mensch kniet aus demütigen Augen. Schalen zittern
nach einem Idol. Alle Uhren stehen kurz vor Mitternacht.
Alle Uhren stehen schnappend still. Weit hält den Atem an.
In der Ewigkeit kniet ein einsames Bang.
Fragen.
Liebe
Die Menschen zerließen sich. In heißen Liebesarmen starrt
die Kälte. In kalten Küssen reißt eine tiefe Flamme einzig
hoch. Im leeren See schwimmt ein vergrabener Stern.
Es werden Steilhöhen geschaut. Füße wandern auf endloser
Fläche.
Ein Zug rollt mit toten Lichtern in die Nacht. Ein Mensch
sinnt in die letzten lachenden Grüße. Lachende Tränenerschüt-
terungen heuchelnder Wehmute. Lachendes Augenwinken ge-
meinsamer Nachtverwinkeltheiten. Ein irres Erbrechen keucht
um die Räder. Unruhe gespenstert in allen Lüften. Lüge
grinst auf allen Dächern. Zerrissen drecken Dünste im Sand.
Zerbissen stochern Steine im Blut. Lust lastet, Laster lüstet.
Und die Augen sind verklatscht.
Die Abendröte deiner Augen ist grau. In deinem Schoß tollt
verruchtes Tagatmen. Die Augenlider sind dir nicht schluch-
zend ins Herz gefallen. Die Welt deiner Wangen ist dir nicht
purpursterbend in Umfassungen zersunken. Es ist alles so
grenzenlos verwußt.
Verweilt!
Vermenscht!
Vertiert!
Nur hinter den letzten Zuckungen stolpert ein krampfhaftes
Neu über die Schollen des dämmernden Morgens.
Dein Ja ist verzweifelt. In deinem Haar hängt eine zerzauste
Lampe. Du siehst sie nicht. Höllenfahrten reiten deinen Leib.
Zerworfen knirscht deine Scham. Deine Reue lechzt zerfetzt.
Vor dem Fenster deiner Seele flattert ein Vogel Angst. Aue
Sonnen frieren unterhöhlt. Alle Geschicke sind endlos zer-
schmissen. In Nichts.
Menschen halten einander. Menschen können einander nicht
halten. Menschen krallen einander. Reißen das Herz heraus.
Reißen. Und Krampf tanzt. Und Krampf zerstirbt sich. Tot.
Dann streicht ein Wind. Zagend klingelt die Nacht über die
Dächer zum See. Glockenschläge tasten weit hinaus. Dm*
Schlaf fühlt an ein Herz. Menschen schmiegen ahnende Liebe.
Gott schmiegt sich. In den Fenstern des Abends stehen viel
blinde Lichter. Kopf beugt die Demut.
Warten.
Er kommt
Ein Wagen kriecht über schwarze Seen. Langsam fährt die
Nacht. Vorfrühe Aeste horchen in die Dämmerung. Aus Dör-

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