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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 9.1918-1919

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Sechstes Heft (September 1918)
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Walden, Herwarth: Maria Uhden
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Walden, Herwarth: Das Wunder: Ein Spiel über Sinnen
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https://doi.org/10.11588/diglit.37111#0086

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Maria Uhden
Eine Gerte ist gebrochen. Wind fegt kalt über die Erde. Ein
Mann weint, ein Kind schreit, ein Elternpaar trauert. Wind fegt
kalt über die Erde, Die Brust der Erde wird aufgeschnitten,
Gras und Blumen bluten im Geröll, ein Herz wird versenkt. Die
Erde vernarbt, junge Blumen schüchtern hervor,
Wind fegt kalt über die Erde.
Alfaria Uhden ist gestorben. Im sechsundzwanzigsten Jahr
des Lebens. Die Jahre sterben und das Leben lebt. Die Jahre
zählen das Leben. Und das Leben lebt.
Wind fegt kalt über die Erde.
Aus der Heimat flog sie in die Heimat der Kunst. Das Herz
tanzte in den Himmeln. Ein Kind schreit und die Erde hat sie
wieder.
Wind fegt kalt über die Erde.
Aber in den Himmeln lächeln die blauen Augen auf. Die Kunst
ist reich. Im Reich der Kunst hängen süße Gebilde an Tränen-
schnüren,
Du bist im Reich.
Kunst sonnt sich in Deinen Bildern, Maria Uhden.
Alle Kinder werden Dir lächeln.
Herwarth Waiden


Das Wunder
Ein Spiel über Sinnen
Herwarth Waiden
Der Freund
Der Bruder
Die Schwester
Der Freund
Wenn Du es sachlich auffaßt
DerBrüder
Bleiben wir bei der Sache
Der Freund
Deine Schwester ist zunächst einmal Frau
Der Bruder
Das ändert an der Sache nichts
Der Freund
Warum hast Du als Bruder besondere Rechte
Der Bruder
Uns verbindet das Blut
Der Freund
Blut trennt
Der Bruder
Ich leide unter dem Ruf meiner Schwester
Der Freund
Du leidest
Der Bruder
Ich verbiete hiermit, Dich weiter mit meiner Schwester
öffentlich zu zeigen.
Der i'reund
Der Ton, den Du für den Ruf anwendest
Der Bruder
In der ganzen Gesellschaft schreit man es bereits herum, daß
meine Schwester ein Verhältnis mit Dir hat
Der Freund
Es ist das harmloseste Verhältnis, das sich denken läßt
Der Bruder
Die Gesellschaft denkt nicht harmlos

Der Freund
Diese Gesellen besitzen nur eine Meisterschaft, zu verrufen
Der Bruder
Ich habe Dir meine Schwester voller Vertrauen vorgestellt
Der Freund
Ich habe ihr nicht nachgestellt
Der Bruder
Spiele nicht mit Worten
Der Freund
Die Worte spielen
Der Bruder
Du spielst mit der Ehre meiner Schwester
Der Freund
Wir spielen nicht um die Ehre. Wir spielen. Warum willst
Du Spielverderber sein
Der Bruder
Ein verheirateter Mann sollte sich beherrschen können
Der Freund
Meine Frau spielt mit ihren Kindern. Ich störe
Der Bruder
Und darum störst Du das Glück meiner Schwester
Der Freund
Deine Schwester fühlt sich nicht in ihrem Glück gestört
Die Schwester
Störe ich
Der Freund
Mich nicht. Aber Ihr Bruder will unser Glück zerstören
Der Bruder
Ich habe ihm den Verkehr mit Dir verboten
Die Schwester
Ich kehre mich nicht an Deine Verbote
DerBruder
Hast Du denn keine Scham. Ein verheirateter Mann mit vier
Kindern
Der Freund
Sollen Sie sich meiner Heirat schämen
Die Schwester
Du solltest Dich schämen, so schamlos von mir zu denken,
Wir sind gute Freunde. Das ist alles
Der Bruder
Es gibt keine Freundschaft zwischen Mann und Frau
Die Schwester
Darum bist Du so unfreundschaftlich zu mir
Der Bruder
Ich bin Dein Bruder
Die Schwester
Du bist mir fremd, Du Bruder
Der Bruder
Deine Art befremdet mich
Der Freund
Sie ist aus Deiner Art geschlagen
Der Bruder
Ihr schlagt mich nicht mit Worten tot
Der Freund
Du wirst Dich wortlos daran gewöhnen müssen
Die Schwester
Deine Art ist gewöhnlich
Der Bruder
Ihr ungewöhnlichen Menschen. Ihr wollt nicht gehoichen, Is^
das das letzte Wort
Der Freund
Darüber ist kein Wort mehr zu verlieren
Der Bruder
Nun, ich werde ein Wort verlieren, daß Ihr verloren seid
Der Freund
Ist das die Antwort
Die Schwester
Ich übernehme die Verantwortung für mich und für Sie
Der Bruder
Jedenfalls verbiete ich Dir das weitere Betreten unserer
Wohnung

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