Der H e Y r in Trauer
D e r S o h n
schreiten einander vorüber
b re und und Freundin (schreiten vorüber, reichen dem
Herrn die Hand, dankbar):
Du hast uns unsere Stadt gebaut
Der Sohn (nebenher):
Ich baue die Brücke Euch hinüber
Freund und Freundin:
Hände ketten Brücken Brücken ketten Herzen Brücken
baut die Ewigkeit Tausend Brücken ketten Wir (schreiten
fort)
Die Mädchen (knixen):
Vater unser
D e r S o h n (nebenher):
Ihr meine Schwestern Nehmt meine schweifende Sehn-
sucht in Euer Schreiten hinüber
Die Mädchen (kichern leise):
Der Mond unser kleiner Bruder Unsere Sterne und unser
Vater, der unsere Träume immer den blauen Prinzen
schenkt (schreiten fort)
Der Sohn (neben Edith):
Ich habe Dir mein Beten geschenkt Du Blonde hast meine
Augen erblindet Schenke mir den Glanz Deiner Nächte
Edith:
Mein kleiner roter Offizier ist ein großer Eroberer
Der Sohn:
Aber ich baue die Brücke Uns.
Edith:
Sein gutes Schwert schlägt alle Wege ein (schreitet fort)
Der Herr in Trauer die Mutter (stehen beieinnader)
Der Sohn (schleicht vorbei und sucht):
Sas Sas
VaterundMutter:
Wir ruhen Wir Tragenden Wir werden getragen Hinüber
schwingt unsere Ruhe
Der Sohn (suchmüde kauert an der linken Tür)
GeschäfHiches
Hnun
Ein Herr vom Berliner Lokalanzeiger mit dem unaus-
sprechlichen Namen Hnn vermag seine Stellung nicht auszufül-
ien, nämlich sich über Kunstausstellungen zu äußern. Er be-
schäftigt sich daher mit mir, da doch der Lokalanzeiger wenig-
stens einmal im Jahre über den Sturm schreiben lassen muß.
,,Herwarth Waiden ist vielseitig und rührig. Er ist hartnäckig,
zielbewußt nach dem Berliner Grundsatz: Nur nicht locker
lassen." Wenn Herr Hnn zeitgemäß wäre, hätte er mir den
deutschen Grundsatz Durchhalten zuschreiben sollen. Es ist
zwar durchaus nicht angenehm, sich fortwährend mit Konso-
nanten zu beschäftigen, die nicht einmal zu einem Namen aus-
reichen. Aber selbst wenn diese Herren sich bis auf die Kon-
sonanten einschränken, kann ich sie doch noch klingend ma-
chen. Wenn einer durchhält und wenn er nun einmal stärker
ist, verlieren die andern immer die Haltung. Herr Hnn ^wun-
dert sich deshalb nicht, daß sich mein Geschäft vergrößert hat."
Die Herren vom Lokalanzeiger haben nun eben einmal den
sechsten Sinn für das Geschäft und die Kunstkritiker der Ber-
liner Tagespresse sehen zwar keine Bilder, aber dafür überall
ein Geschäft, wo man auf ihre Geschäftigkeit und sogar über
sie hinaus bis auf den Anzeigenteil ihrer Firma verzichtet. Des-
halb kann Herr Hnn es nicht unterlassen, seine Unfähigkeit mit
der sogenannten Ironie selbst zu bestätigen: ,,Was sind Wider-
stände? Was ist Spott? Der Sturm lebt, der Sturm fegt Vor-
urteile weg, Der Sturm knickt Menschenleben. Tod dem Phi-
lister! Tod dem Ewig-gestrigen! Und Tod, erbärmlichen Schin-
dertod jeder Art von Kunst, die klar ist." Nämlich dem Hnn.
,,Pah, wer malt heut noch die Natur ab! Eine Metze ist sie —
eine Nichtnutzige, die sich allzulang für jedermann zum Ge-
brauch feil hielt." Es ist jedenfalls sehr wohlfeil für jedermann,
nach dem Gebrauch Metze zu sagen. Den Willen der Natur,
sich von jedermann abmalen zu lassen, soll der Hnn erst einmal
nachweisen. Nach dieser sexuellen Aufklärung mit materiel-
lem Hintergrund, ein Bild für den Lokalanzeiger, sucht der Hnn
in den Bildern herum und findet schließlich voller Freude das
Haus: ,,Man freut sich schließlich, wenn man ein Haus gefun-
den hat, in dem sich ein logisches Gesetz verkörpert." Der
Hnn möge seiner Firma raten, auf dieses Haus eine Hypothek
zu nehmen. Das ist die einzige Logik, die das Gesetz dieser
Kunstkritik verkörpert. Man freut sich schließlich, wenn man
ein Haus gut angelegt hat.
Der Sonne bringt es an den Tag
Man sollte es nicht glauben, aber der Hauptschriftleiter der
Illustrierten Zeitung zu Leipzig ist ein Professor. Vielleicht ist
er jetzt sogar Studienrat. Das kann man nämlich nie wissen.
Jedenfalls weiß ich jetzt, daß er außerdem Otto Sonne heißt
und daß die Kritik der Illustrierten Zeitung fehlt, weil der
Hauptschriftleiter sie in der Leipziger Zeitung mißbräuchlich
anwendet. Alle diese Weisheit verdanke ich Herrn Professor
Otto Sonne selbst. Und nicht damit genug, ich verdanke ihm
auch eine Kritik. Die Direktion des Leipziger Schauspielhauses
hatte Rudolf Blümner zu einem Vortrag der Sturm-Dichtungen
eingeladen. Die Sonne schien freundlich, der Sonne erschien
unfreundlich und verdunkelte sich. Wenn auch mit Bedauern:
,,Es tut uns herzlich leid, daß gestern das künstlerische Ergeb-
nis just dieses Gliedes in der von Herrn Direktor Viehweg
mit überlegener Hand geschaffenen sonntäglichen Vor-
tragskette ein so befremdendes war, vielmehr sein mußte . . .
ausgerechnet mit einem Vortrag des Herrn Dr. Rudolf
Blümner über expressionistische Kunst aufzuwarten, das be-
deutet ein keckes Wagnis, zu dem nur eine unerklärliche Kurz-
sichtigkeit oder ungenügende Vertrautheit mit dem in Frage
kommenden Stoffgebiet die Hand gereicht haben
konnte." Die erklärliche Kurzsichtigkeit des Sonne hat bereits
nach zwei Sätzen übersehen, daß die überlegene Hand dieselbe
Hand ist, die just dem Wagnis ausgerechnet mit einer unerklär-
lichen Kurzsichtigkeit die Hand gereicht hat. Die schreibende
Hand des Sonne ist nicht überlegt, hat aber dafür eine ungenü-
gende Vertrautheit mit dem in Frage kommenden Stoffgebiet.
Leipzig wird "neuorientiert". Der Sonne ist geblendet: ,,Der
Vortragende .... ist einer der agitatorischen Bannerträger
des in Berlin schon in einer ganzen Reihe von Jahren mit zäher
Schaffenslust um den glaubhaften Beweis seiner Daseinsberech-
tigung und Entwicklungsmöglichkeit ringenden, geschäftlich
durchaus vom Egoismus der Gegenwart geleiteten Unterneh-
mens, das unter dem vielsagenden Namen Der Sturm danach
strebt, alle Elemente, die der Kunst in Wort und Bild neue
Wege und neue Ziele glauben weisen zu können, in einer groß-
zügig gedachten Organisation miteinander zu verschmelzen."
Man muß schon ein geschwärztes Glas nehmen, wenn man sich
in dieser Sonnenfinsternis zurechtfinden will. Just dieser Satz
illustriert das vergebliche Ringen um die Daseinsberechtigung
des Hauptschriftleiters und seiner Illustrierten Zeitung, die ge-
schäftlich durchaus nicht vom Egoismus der Gegenwart geleitet
ist. Sie fordert nämlich seit Jahren zur Aufgabe von Anzeigen
(auf Hochdeutsch Annoncen) auf, während ich durch kostenlose
Anzeige dieses Sonne die Illustrierte Zeitung aufgebe. Sie hat
keine Daseinsberechtigung. Ihr Stoffgebiet kommt nicht in
Frage, er aber, der Sonne, ich kann nichts für den Artikel, ist
ausgerechnet ungenügend vertraut. Er hält sich nämlich für be-
kannt, während ich ihn hiermit erst an den Tag bringe. ,,Unter
den Waffen, mit denen Der Sturm kämpft, ist eine ständige, in
der Potsdamer Straße befindliche, Werke der Expressionisten,
Futuristen und Kubisten umfassende Kunstausstellung wohl
noch die bekannteste." Da hat der Sonne schon vorbei ge-
schossen. ,.Wesentlich beschränkter ist schon der Wirkungs-
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D e r S o h n
schreiten einander vorüber
b re und und Freundin (schreiten vorüber, reichen dem
Herrn die Hand, dankbar):
Du hast uns unsere Stadt gebaut
Der Sohn (nebenher):
Ich baue die Brücke Euch hinüber
Freund und Freundin:
Hände ketten Brücken Brücken ketten Herzen Brücken
baut die Ewigkeit Tausend Brücken ketten Wir (schreiten
fort)
Die Mädchen (knixen):
Vater unser
D e r S o h n (nebenher):
Ihr meine Schwestern Nehmt meine schweifende Sehn-
sucht in Euer Schreiten hinüber
Die Mädchen (kichern leise):
Der Mond unser kleiner Bruder Unsere Sterne und unser
Vater, der unsere Träume immer den blauen Prinzen
schenkt (schreiten fort)
Der Sohn (neben Edith):
Ich habe Dir mein Beten geschenkt Du Blonde hast meine
Augen erblindet Schenke mir den Glanz Deiner Nächte
Edith:
Mein kleiner roter Offizier ist ein großer Eroberer
Der Sohn:
Aber ich baue die Brücke Uns.
Edith:
Sein gutes Schwert schlägt alle Wege ein (schreitet fort)
Der Herr in Trauer die Mutter (stehen beieinnader)
Der Sohn (schleicht vorbei und sucht):
Sas Sas
VaterundMutter:
Wir ruhen Wir Tragenden Wir werden getragen Hinüber
schwingt unsere Ruhe
Der Sohn (suchmüde kauert an der linken Tür)
GeschäfHiches
Hnun
Ein Herr vom Berliner Lokalanzeiger mit dem unaus-
sprechlichen Namen Hnn vermag seine Stellung nicht auszufül-
ien, nämlich sich über Kunstausstellungen zu äußern. Er be-
schäftigt sich daher mit mir, da doch der Lokalanzeiger wenig-
stens einmal im Jahre über den Sturm schreiben lassen muß.
,,Herwarth Waiden ist vielseitig und rührig. Er ist hartnäckig,
zielbewußt nach dem Berliner Grundsatz: Nur nicht locker
lassen." Wenn Herr Hnn zeitgemäß wäre, hätte er mir den
deutschen Grundsatz Durchhalten zuschreiben sollen. Es ist
zwar durchaus nicht angenehm, sich fortwährend mit Konso-
nanten zu beschäftigen, die nicht einmal zu einem Namen aus-
reichen. Aber selbst wenn diese Herren sich bis auf die Kon-
sonanten einschränken, kann ich sie doch noch klingend ma-
chen. Wenn einer durchhält und wenn er nun einmal stärker
ist, verlieren die andern immer die Haltung. Herr Hnn ^wun-
dert sich deshalb nicht, daß sich mein Geschäft vergrößert hat."
Die Herren vom Lokalanzeiger haben nun eben einmal den
sechsten Sinn für das Geschäft und die Kunstkritiker der Ber-
liner Tagespresse sehen zwar keine Bilder, aber dafür überall
ein Geschäft, wo man auf ihre Geschäftigkeit und sogar über
sie hinaus bis auf den Anzeigenteil ihrer Firma verzichtet. Des-
halb kann Herr Hnn es nicht unterlassen, seine Unfähigkeit mit
der sogenannten Ironie selbst zu bestätigen: ,,Was sind Wider-
stände? Was ist Spott? Der Sturm lebt, der Sturm fegt Vor-
urteile weg, Der Sturm knickt Menschenleben. Tod dem Phi-
lister! Tod dem Ewig-gestrigen! Und Tod, erbärmlichen Schin-
dertod jeder Art von Kunst, die klar ist." Nämlich dem Hnn.
,,Pah, wer malt heut noch die Natur ab! Eine Metze ist sie —
eine Nichtnutzige, die sich allzulang für jedermann zum Ge-
brauch feil hielt." Es ist jedenfalls sehr wohlfeil für jedermann,
nach dem Gebrauch Metze zu sagen. Den Willen der Natur,
sich von jedermann abmalen zu lassen, soll der Hnn erst einmal
nachweisen. Nach dieser sexuellen Aufklärung mit materiel-
lem Hintergrund, ein Bild für den Lokalanzeiger, sucht der Hnn
in den Bildern herum und findet schließlich voller Freude das
Haus: ,,Man freut sich schließlich, wenn man ein Haus gefun-
den hat, in dem sich ein logisches Gesetz verkörpert." Der
Hnn möge seiner Firma raten, auf dieses Haus eine Hypothek
zu nehmen. Das ist die einzige Logik, die das Gesetz dieser
Kunstkritik verkörpert. Man freut sich schließlich, wenn man
ein Haus gut angelegt hat.
Der Sonne bringt es an den Tag
Man sollte es nicht glauben, aber der Hauptschriftleiter der
Illustrierten Zeitung zu Leipzig ist ein Professor. Vielleicht ist
er jetzt sogar Studienrat. Das kann man nämlich nie wissen.
Jedenfalls weiß ich jetzt, daß er außerdem Otto Sonne heißt
und daß die Kritik der Illustrierten Zeitung fehlt, weil der
Hauptschriftleiter sie in der Leipziger Zeitung mißbräuchlich
anwendet. Alle diese Weisheit verdanke ich Herrn Professor
Otto Sonne selbst. Und nicht damit genug, ich verdanke ihm
auch eine Kritik. Die Direktion des Leipziger Schauspielhauses
hatte Rudolf Blümner zu einem Vortrag der Sturm-Dichtungen
eingeladen. Die Sonne schien freundlich, der Sonne erschien
unfreundlich und verdunkelte sich. Wenn auch mit Bedauern:
,,Es tut uns herzlich leid, daß gestern das künstlerische Ergeb-
nis just dieses Gliedes in der von Herrn Direktor Viehweg
mit überlegener Hand geschaffenen sonntäglichen Vor-
tragskette ein so befremdendes war, vielmehr sein mußte . . .
ausgerechnet mit einem Vortrag des Herrn Dr. Rudolf
Blümner über expressionistische Kunst aufzuwarten, das be-
deutet ein keckes Wagnis, zu dem nur eine unerklärliche Kurz-
sichtigkeit oder ungenügende Vertrautheit mit dem in Frage
kommenden Stoffgebiet die Hand gereicht haben
konnte." Die erklärliche Kurzsichtigkeit des Sonne hat bereits
nach zwei Sätzen übersehen, daß die überlegene Hand dieselbe
Hand ist, die just dem Wagnis ausgerechnet mit einer unerklär-
lichen Kurzsichtigkeit die Hand gereicht hat. Die schreibende
Hand des Sonne ist nicht überlegt, hat aber dafür eine ungenü-
gende Vertrautheit mit dem in Frage kommenden Stoffgebiet.
Leipzig wird "neuorientiert". Der Sonne ist geblendet: ,,Der
Vortragende .... ist einer der agitatorischen Bannerträger
des in Berlin schon in einer ganzen Reihe von Jahren mit zäher
Schaffenslust um den glaubhaften Beweis seiner Daseinsberech-
tigung und Entwicklungsmöglichkeit ringenden, geschäftlich
durchaus vom Egoismus der Gegenwart geleiteten Unterneh-
mens, das unter dem vielsagenden Namen Der Sturm danach
strebt, alle Elemente, die der Kunst in Wort und Bild neue
Wege und neue Ziele glauben weisen zu können, in einer groß-
zügig gedachten Organisation miteinander zu verschmelzen."
Man muß schon ein geschwärztes Glas nehmen, wenn man sich
in dieser Sonnenfinsternis zurechtfinden will. Just dieser Satz
illustriert das vergebliche Ringen um die Daseinsberechtigung
des Hauptschriftleiters und seiner Illustrierten Zeitung, die ge-
schäftlich durchaus nicht vom Egoismus der Gegenwart geleitet
ist. Sie fordert nämlich seit Jahren zur Aufgabe von Anzeigen
(auf Hochdeutsch Annoncen) auf, während ich durch kostenlose
Anzeige dieses Sonne die Illustrierte Zeitung aufgebe. Sie hat
keine Daseinsberechtigung. Ihr Stoffgebiet kommt nicht in
Frage, er aber, der Sonne, ich kann nichts für den Artikel, ist
ausgerechnet ungenügend vertraut. Er hält sich nämlich für be-
kannt, während ich ihn hiermit erst an den Tag bringe. ,,Unter
den Waffen, mit denen Der Sturm kämpft, ist eine ständige, in
der Potsdamer Straße befindliche, Werke der Expressionisten,
Futuristen und Kubisten umfassende Kunstausstellung wohl
noch die bekannteste." Da hat der Sonne schon vorbei ge-
schossen. ,.Wesentlich beschränkter ist schon der Wirkungs-
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