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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 9.1918-1919

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Sechstes Heft (September 1918)
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Müller, Günther: Wir
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Friedlaender, Salomo: Der Greis in der Versammlung
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https://doi.org/10.11588/diglit.37111#0093

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Nieder saust, klatscht aufs Nackt Geißelpeitsche:
hoch!
Auf!
Entwillt.
Besessen,
Mondmeerzug.
Jubel, Stöhnen, Wimmern, Johlen, Flüstern, Röcheln:
Türmt!
Trommelfeuert verschlingend fieberschauernder Hall:
T urm!
Turm!

Rissiger Leib schielt aus blutigen Löchern,
seitwärts.
Hände falten sich.
Maschinengewehr tackt Striemen.
Aber das Auge schlürft Kreuzliebe.
Heiland, heile!
Gründer, gründe!
Liebe, liebe!
Steig aus tiefstem Grund,
wachs den heiligen Turm,

Schon reißt er die Wolken wund.
Propellersurrend drüber singt Hallgeist:

Zerfallne Kirchen decken nicht
Ruinen sperren freies, neues Licht.
Gericht!
Erdwahr, blitzklar,
Bauen, türmen, türmen.
Heilig nur Pflicht,
Selbstverzicht,
Furcht: nicht!
Liebe: nicht!
Frei.
Selbst.
Turm!
Aus mir, auf mich.
Echo Posaune:
Türmt!
Knall Peitsche:
Alle.
Ruf Alle:
Wir,

Ringt Mutter die Hände:
Tot!
Schluchzt Weib die Seele aus:
Fern!
Schluchzt Jüngling Herzblut:
Du!
Stöhnt Vater:
Oh!
Tropft Liebe süßesten Wehlauts:
Marie!

Kreischt Frau:
Ehre!
Donnert Riese:
Pflicht!
Knall Peitsche:
Alle!
Ruf Alle:
Wir!
Abendblut,
Morgenkälte,
Glut.
Futter.
Trieb,
Posaune:
Türmt!
Türmt!
Rakete:
höher.
Wankt Turm
wächst Turm.

Klingt durch Toben, Wüten,
lichte, feste

Liebe:
Weg, Wahrheit, Leben,
Türm auf!
Türm Du!

Brünsten,
Stille:

Flammen

Günther Mürr,


Der Greis in der Versammiung
Mynoaa
Müller vom Kohlensyndikal hatte gerade zu reden be-
gonnen. Sechsunddreißig Aktionäre saßen auf braunen Holz*
stühien im Halbkreis, Der mittelgroße Saal wirkte ln nüch-
terner Eleganz. Schobelske (L F. Rosse & Hesemann) sagte
zu seinem Nachbarn: wenn nur der alte Seveking nicht noch
in letzter Minute kommt! Und richtig, ,in letzter Mi-
nute öffnete der Diener die dunkeirote Portiere, Müller
unterbrach sein Referat; die sechsunddreißig Köpfe renkten
sich auf den weißen Kragenhälsen um; Schobelske meckerte
leise. Seveking, ein bartloser Greis, mit schneeweißem Haupt-
haar, weiches starr nach oben gekämmt war, weißiockigen
Bartkoteletten und unerhört hellgrauen großen Augen von
eigentümlich hohlem, leeren Blick, näherte sich mit schlurren-
den Schritten. Nach jedem zweiten Schritt stand er längere
Zeit still. Er trug in der Rechten eine Art Schulmappe, in der
Linken eine blaue Hornbrille. Seine Schuhe schienen absatzlos;
die Hosen, viel zu !ang, schlamperten wie eine schwarze
Schleppe zwischen seinen kurzen Beinen. Den großen Ober-
körper umhüllte schwarz ein ungeheurer Gehrock, dessen
Schöße kreuzschnabelartig übereinander schlugen. Vom kam
eine himmelblaue Sammetweste mit großen Goldknöpfen zum
Vorschein. Seltsamer Weise trug er den jugendlichsten
Schillerkragen mit weißseidener Künstlerschleife. Seveking
schrie mit schnarrender Stimme, indem er wieder Stillstand:
Fahren Sie nur fort, Müller! — Müller wiederholte und been-
digte den letzten Satz: Es steht nun einmal so, daß sich der
gemeinsame Stollenbetrieb nicht mehr rentiert. Wir haben zu-
sammen gegen zweitausend Bergleute, die Weiber und mitar-
beitenden Kinder eingerechnet. Wir kommen gemeinsam nicht
mehr auf unsere Rechnung. Die Sache sollte jetzt verstaatlicht
werden. Der Staat kauft unsere Anteile auf. Wir bleiben aber
mit einem kleinen Prozentsatz beteiligt . . . Hier mußte Müller
innehalten, Seveking war auf dem glatten Parkett mit lautem,
Knall ausgeglitten. Statt sich aber wieder zu erheben, blieb er
sitzen, wo er saß, wehrte mit heftigen Gesten den Saaldiener ab;
der ihm aufhelfen wollte. Er setzte seine blaue Brille auf und
entnahm seiner Mappe ein Papier, ln das er sich vertiefte
Schobelske ging zu ihm hin: Her Seveking, so geht das aber
nicht. Soll ich Ihnen Ihren Stuhl hierherbringen? Müller hat
sich schon zweimal Ihretwegen unterbrechen müssen, Müller,
ein schneidiger, schwarzer Kerl, wirbelte wütend seinen
Schnurrbart. Fahren Sie nur fort, Müller, schrie Seveking
überlaut. Ich habe mir beim Fall, glaube ich, das Knie verrenkt

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