Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 9.1918-1919

DOI issue:
Drittes Heft (Juni 1918)
DOI article:
Friedlaender, Salomo: Die Kunst, sich selber einzubalsamieren
DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.37111#0053

DWork-Logo
Overview
loading ...
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
Die Kunst, sich selber einzu-
balsamieren
Mynona
Mein Haus war abgebrannt und nicht versichert gewesen.
Ais ich nach meiner Bank ging, hatte dort schon jemand statt
meiner mein ganzes Guthaben für mich abgehoben. Auf der
Post nahm ich drei Telegramme in Empfang. Im ersten stand
der Tod meines besten Freundes, im zweiten enterbte mich
mein Großonkel, weil er wieder heiratete, nebenbei gesagt;
meine letzte Möglichkeit, jemanden zu beerben, war damit
höchst wahrscheinlich verschwunden. Aus dem dritten Tele-
gramm erfuhr ich den plötzlichen Tod meiner Braut. Ich stand
nun, da Eltern und Geschwister mir längst gestorben waren,
mein Freund soeben mich verlassen hatte, dgl. meine liebe
Braut, und ich meinem Großonkel von Herzen fluchte, mutter-
seelenallein auf der Welt. Das passiert ja so manchem. Aber
mir war es doch allzu gut ergangen; ich hatte mich an das ge-
mütlichste, behaglichste Leben gewöhnt. Und nun? Mein
ganzer Besitz bestand in dem, was ich auf dem Leibe trug; in
meinen Taschen steckten etwa fünf Mark und ein paar Pfen-
nige. Schulden bedrohten mich überdies, und zum Kampfe
ums Dasein fühlte ich mich nicht im mindesten fähig. Dabei
war ich ein dicker, schöner, blonder Mann mit Bonvivant-
Miene, und mein angeborenes Stilgefühl verbot mir den mimi-
schen Ausdruck der Verzweiflung, welche sich meiner bemäch-
tigt. Trotzdem muß etwas davon sichtbar geworden sein, denn
mir begegnete Folgendes: Ich beschloß, eine Art Henkersmahl-
zeit einzunehmen und wählte, um mit meinem letzten Gelde
auszulangen, ein mittleres Speisehaus. Ich hatte nicht sobald
meinen Teller Suppe vor mir, als ich mich mit einer sonder-
baren Teilnahme fixiert sah. Ich aß außergewöhnlich lang-
sam; zwischen Löffel und Löffel machte ich lange Pausen vol-
ler Nachdenklichkeit. Vielleicht war das dem dürren langen
Herrn mit Magistergesicht am Nebentische aufgefallen. Jeden-
falls begegnete ich seinen merkwürdigen, sich tief in meinen
Augen einbohrenden und sie gleichsam zwangsweise festhal-
tenden Blicke. Während der nächsten Gänge gerieten wir öf-
ter und öfter in dieses eigentümliche Duell. Bis ich — was
hatte ich zu verlieren —: es müde wurde und einfach fragte:
,,Was wollen Sie?" Er meckerte und hüstelte ein entschul-
digendes Lachen. ,,Es ist nicht so ganz einfach, das zu erklä-
ren. Würden Sie mir gestatten, mich zu Ihnen zu setzen?
Oder darf ich Sie bitten, an meinem Tische Platz zu nehmen?"
Mir war dieser Zwischenfall eigentlich willkommen; er lenkte
mich wohltuend von meiner fruchtlosen Grübelei ab. Ich bat
den Alten, da nicht ich von ihm, sondern er von mir etwas zu
verlangen schien, an meinen Tisch. Er kam, in einer etwas
zitterigen Hand sein Glas Wein haltend, auf mich zu, setzte
sich mir gegenüber, nippte am Getränk, machte aber noch
keine Mienen, sich auszusprechen. Wir beschäftigten uns ein
paar Minuten schweigend mit unserem Mundvorrat. Endlich
fragte ich: ,,Fällt es Ihnen denn so schwer, mir anzuvertrauen,
weswegen ich Sie interessiere? Lassen Sie doch hören!"
„Nein," antwortete er, „aber mein Interesse hat einen verwun-
derlichen, einen delikaten Grund. Es wird mir durchaus nicht
leicht, meine natürliche Reserve aufzugeben. Ich komme mir
bereits zudringlich, ja unverschämt vor, daß ich mich nicht nur
tief in Sie hineinversetze, sondern sogar im Begriffe bin, Ihnen
meine intime Kenntnis Ihrer seelischen Verfassung zum Besten
zu geben. Ich habe am Aussehen der Mitmenschen ein ganz
spezielles, ich möchte wohl sagen, . . . materielles Interesse,
welches ich Ihnen sogleich spezifizieren werde. Aber zunächst
einmal: Sie sind so gut wie verzweifelt — oh verzeihen Sie!
Aber ich sah es; ich sah es so klar, wie ich Ihr Antlitz sehe."
„Das können Sie nur vermuten," sagte ich mißmutig und re-
signiert; es sei denn, Sie wüßten um gewisse Angelegenheiten
und kennten mich, ohne daß ich Sie kenne." „Auf Ehre, nichts
dergleichen! Es ist eine physiognomische, näher pategnomi-
sche Konstatierung, und diese fällt mir leicht, weil ich durch

mein Interesse aufgefordert bin, mich hier nicht zu irren.'
„Na also — was ist denn das für ein Interesse? Befürchten Sie
nicht, mich zu verletzen. Ich kann allerdings mit dem Dichter
sagen: Was auch geschehe, das Schlimmste ist mir gesche-
hen." „Stand für mich, beim ersten Blick in Ihr Gesicht, Ihre
Haltung, außer Frage." „Wirklich! In der Tat glaube ich
doch nicht, meine Seele so zur Schau zu tragen; sogar wahre
ich mich absichtlich dagegen." „Und gerade diese Gezwun-
genheit ist verräterisch — wenigstens für mich." „Sie über-
spannen meine Neugierde. Bitte, legen Sie los, oder ich zahle
und gehe." Diese Drohung wirkte sofort. Er erklärte sich:
„Mein Blick ist interessiert zugespitzt für Menschen, welche
sich dem baldigen Tode unwillkürlich oder absichtlich nähern;"
er schraubte seine Augen in die meinigen; es überrann mich
unheimlich. Es wurde mir im selben Augenblick bewußt, daß
ich meinen Selbstmord dunkel beschlossen hatte. Ich verlor
alle Haltung und gab mich meinem schauderhaften Gegenüber
preis. Ja, ich griff nach seiner Hand, drückte sie und fragte,
zu meinem eigenen Widerwillen, hastig: „Wollen Sie mir hel-
fen?" „Gewissermaßen! Ah, hören Sie! Ich will Ihnen ein
Mittel geben, sich zu erhalten, zu.konservieren. Ver-
stehen Sie, Ihr Leib soll nicht zerstört werden. Sie werden
das Ehrenrecht der erlauchtesten Persönlichkeiten genießen.
Bedenken Sie! Blühend wie immer; wenn Sie geschickt sind.,
ein Lächeln auf Ihren liebenswürdigen Zügen; biegsam, in wel-
cher Pose immer; und, wie ich Sie versichern kann, wohl auf-
gehoben in heizbaren Räumen, werden Sie, ohne alle Sorgen,
einem antiken Gotte gleich, Ihr Dasein, wenigstens rein äußer-
lich, unangetastet bis in alle Ewigkeit fortsetzen."
Meine Resignation, als ich diesen irrsinnigen Ausbruch
über mich ergehen ließ, erreichte ihren Gipfel. Also der ver-
meintliche Lebensretter erwies sich als Narren, dessen Gefasel
ich garnicht verstand. Ich beschloß, nicht weiter auf ihn hin-
zuhören und möglichst rasch zu verschwinden. Er aber ent-
nahm seiner Brusttasche ein rotes Paket, welches er öffnete.
Was war das? Es kam eine Metallbüchse von Urnenform zum
Vorschein. Er drehte den Deckel ab und ließ mich hinein-
schauen. Ich sah ein Puder von violetter Farbe. „Was be-
deutet das?" fragte ich. „Es ist ein blitzartig tötendes Gift,
welches aber die erstaunliche Eigenschaft hat, jedes Lebe-
wesen, von dem es eingenommen wird, sofort zu mumifizieren,
einzubalsamieren, in alle Ewigkeit unverweslich, ja, unver-
brennbar zu machen. Leider, da es eben absolutes Gift ist,
darf ich mein Patent nicht zur Anwendung auf Menschen brin-
gen; es sei denn, daß ich präsumtive Selbstmörder diagnostisch
ausfindig mache, welche sich lieber einbalsamieren als ordinär
ums Leben bringen. Uebrigens hatte ich unter meinen Kun-
den auch ein paar Monarchen (der heimliche Monarchen-Selbst-
mord nimmt erschrecklich überhand!), deren diskrete Empfeh-
lungsschreiben ich Ihnen vorweisen kann." — Diese Narretei
machte mich fast lächeln. Ich beschloß, ihm in die Enge zu
treiben: „Warum nannten Sie Ihr Interesse materiell? Glau-
ben Sie vielleicht, ich hätte Ihnen ein Vermögen zu bieten? Ich
muß Sie enttäuschen." „Bewahre!" sagte er, „das ist keine
Enttäuschung — im Gegenteil: Sie sind mir nur desto sicherer
in Aussicht, ich selber bin sehr reich. Mein Interesse ist des-
wegen dennoch materiell, weil ich Liebhaber bin, Leichen-
sammler, Inhaber eines wohlassortierten Museums von herrlich
konservierten Selbstmörderleichen. Wollen Sie mitkommen?
Ja? Wollen Sie selber sich Ihren Stand- oder Sitz- oder sogar
Schwebeplatz bestimmen? Ferner Ihr Kostüm? Ihre Hal-
tung? Ich veranstalte eine kleine Feier, und zur Krönung des
Festes balsamieren Sie sich dadurch ein, daß Sie dieses Pulver
hier, in Champagner aufgelöst, hinunterschlucken. Bis dahin
sind Sie mein Protege, ich sorge väterlich für Ihre Wohlfahrt,
bis zur Feier, deren Termin ich bestimme." „Und Ihre Bedin-
gung?" fragte ich, bereits suggestiv umnebelt. „Wie gesagt,
Sie vermachen mir, zu Museumszwecken, Ihren Leichnam."
Er breitete wirklich ein schon vorgedrucktes Formular vor
mich hin. Was blieb mir übrig? Ich füllte es präzis aus und
unterschrieb. Er steckte den Schein in seine Brieftasche.

45
 
Annotationen