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Verein für Historische Waffenkunde [Hrsg.]
Zeitschrift für historische Waffen- und Kostümkunde: Organ des Vereins für Historische Waffenkunde — 9.1921/​1922

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Heft 1
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Post, Paul: Waffe und Kostüm: Beziehungen zwischen Harnisch und Bürgertracht
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https://doi.org/10.11588/diglit.44571#0037

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HEFT 1

PAUL POST, WAFFE UND KOSTÜM

21

wird durch die Weiterentwicklung bestätigt. Der
hartnäckig über ein halbes Jahrhundert bewahrte
kurze Haarschnitt entfaltet sich erst wieder in den
sechziger Jahren zu alter Länge, als die Einführung
der Schallern mit ihrem nach hinten heraus gebogenen
Nackenschirm seiner Fülle Raum gibt. (Tafel I).
Es kann nicht wundernehmen, wenn der starke
gestaltende Einfluß des Harnisches auf die bürgere
liehe Tracht des Mannes in dieser Periode seine
Kreise bis in den Bereich der Frauentracht zieht. Im
straffen Sitz der Kleidung, für die der Harnisch
tonangebend war, folgt sie der männlichen Tracht
in der zweiten Hälfte des 14. Jahr«
hunderts (Abb. 4) und nimmt in den
neunziger Jahren vereinzelt auch den
Taillengürtel an (Abb. 6), der im
15. Jahrhundert zum wesentlichsten
Bestandteil des Frauenkleides wird.
Sogar der verkürzte, unter dem Ein«
fluß des Helmes entstandene Haar«
schnitt um die Wende des Jahr«
hunderts wirkt unverkennbar auf
die Frisur der Frau. Das Haar, das
bis dahin von den Schläfen über die
Wangen in zwei Flechten herabfiel
(Abb. 4), wird jetzt vorn aufgenom«
men und entwickelt sich zu der be«
kannten Hörnerfrisur (Abb. 8).
Mit der Vollendung des gotischen
Plattenharnisches gelangt unsere
Wanderung in bekannte Regionen;
wir können uns bei unseren Ver«
gleichen kürzer fassen und ohne
Vorführung von Beispielen auf die
Anschauung unserer Leser verlassen.
Allgemein läßt sich sagen, daß der Harnisch mit
seiner technischen Vollendung und in dem Maße,
wie er an praktischer Bedeutung verliert, mehr und
mehr unter den Einfluß der bürgerlichen Tracht
gerät. So entspricht der ausgereifte gotische Harnisch
der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts mit seiner
eingezognen Taille und dem kurzen Schurz durchaus
dem Schnitt der gleichzeitigen Bürgertracht, ja die
häufig begegnenden strahlenförmigen Riffelungen
am Rücken sind unmittelbar der Fältelung des zu«
sammengeschnürten Rocks entlehnt. Als eine letzte
Rückwirkung des Harnisches auf die Ziviltracht, sind
die eigentümlichen Schwellungen an den Ärmel«
ansätzen anzusehen, die um die Mitte des Jahr«
hunderts namentlich in den romanischen Ländern
in Mode kamen. Sie werden durch kugelige Wülste
am Unteigewandsärmel bewirkt, die ursprünglich als

Polster unter dem Armzeug des Harnisches zum
Schutz für die exponierten Schultern bestimmt sind')
(Abb. 9). Zu Beginn des 16. Jahrhunderts geht
bekanntermaßen die Abhängigkeit des Harnisches
zuweilen bis zur völligen Nachahmung der bürger«
liehen Tracht mit ihren Schlitzen und weit ausladenden
Schössen, wofür unsere Waffensammlungen zahlreiche
Beispiele liefern. (Vergl. den Harnisch des Wilh.
v. Roggendorf in der Wiener Sammlung, des Herzogs
v. Liegnitz im Berliner Zeughaus.)
Von diesen Sonderfällen abgesehen äußert sich
die Parallelität zwischen Harnisch und Bürgertracht
namentlich in der bekannten Ent«
wicklung der Schuhform vom spät«
gotischen Schnabelschuh über das
„Kuhmaul“ zum sogen. Enten«
Schnabel in der ersten Hälfte des
16. Jahrhunderts und in der charakte«
ristischen Taillen« und Brustbildung
der bürgerlichen Mode der zweiten
Hälfte des Jahrhunderts,, die der
Harnisch in allen Phasen ihrer Ent«
wicklung bis zum sogen. Gansbauch
am Ende desjahrhunderts getreulich
mitmacht. Im letzten Stadium seiner
Gestaltung endlich zu Beginn des
17. Jahrhunderts rückt die Taille am
Harnisch ganz der bürgerlichen
Tracht des Barocks entsprechend,
hoch hinauf und an die kurze,
flache, leicht nach außen gebogene
Brust schließen sich weit aus«
ladend die Oberschenkeldecken,
um den gebauschten Pluderhosen
darunter Raum zu geben.
Der in großen Zügen durchgeführte Vergleich
von Harnisch und Bürgertracht dürfte trotz nofi
gedrungener Lückenhaftigkeit eine ausreichende Vor«
Stellung von ihrer ununterbrochenen, weitgehenden
Konformität und dem oft nicht reizlosen Spiel der
Wechselbeziehungen vermitteln. Es soll uns ge«
nügen, wenn der Überzeugung der Weg gebahnt
ist, daß das wirkliche Verständnis für die eine
Entwicklungsreihe nicht ohne Kenntnis der anderen
möglich ist. Diese Erkenntnis allein würde den
erweiterten Rahmen unserer Zeitschrift rechtfertigen
und ihr zugleich eine wichtige Aufgabe zuweisen.

*) König Rene gibt in seinem Turnierbuch hierüber«
eine Anweisung mit Abbildung. Les lournoys de roi
Rene usw. publies par Champollion Figeas. Paris 1826,
S. 7. Taf. VI.


Abb. 9. Aus dem Gemälde „Das
Gottesurteil“ von Dirk Bouts, 1468,
Gallerie Brüssel
 
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