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Verein für Historische Waffenkunde [Hrsg.]
Zeitschrift für historische Waffen- und Kostümkunde: Organ des Vereins für Historische Waffenkunde — 9.1921/​1922

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Heft 6/7
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Dihle, Helene: Herkunft und Entstehung des Flügelkleides
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https://doi.org/10.11588/diglit.44571#0250

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216

ZU DEN TAFELN

BAND 9

eines Gängelbandes erscheinen, darf uns nicht stören.
Wir dürfen nicht vergessen, daß diese Streifen als
modische Kleiderzutat sowohl bei Kindern jeden
Alters als auch bei Erwachsenen vorkommen.
Dafür, daß diese Streifen tatsächlich als Gängel*
bänder benutzt wurden, haben wir unzweideutige
Beweise auf alten Bildern. Auf einem Bilde von
Velasquez z. B., eine vornehme Dame mit ihrem
Kinde darstellend, hält die Mutter das noch ziemlich
kleine Kind an dem einen Flügel fest, während das
Kind den andern spielend durch die Finger gleiten
läßt (Abb. 4).
Als modische Gewandzutat verschwinden diese
Streifen ebenso wie alle anderen Arten von un*
benutzten Schmuckärmeln im ersten Viertel des
17. Jahrhunderts mit dem Erlöschen der spanischen
Mode, um bis heute in der Kostümgeschichte nicht
wieder aufzutauchen. Nur an den Kleidern ganz
kleiner Kinder hielten sie sich zum praktischen Ge*
brauch als Gängelbänder noch das 18. Jahrhundert
hindurch. Ihre ursprüngliche charakteristische Be*
schaffenheit jedoch, welche bis dahin noch leise ihre
Entstehung aus dem Ärmel verriet, die stoffliche
Übereinstimmung mit dem Kleide und das Hervor*
wachsen unter dem spanischen Schulterbausch hervor
aus der Ärmelnaht, diese Merkmale verschwinden
im 18. Jahrhundert ganz.
Schon bei dem Kleide aus dem Stockholmer
Museum ist der Ansatz der Flügel nicht mehr in
der Ärmelnaht, sondern oben in der Achselnaht,
wodurch bereits der eigentliche Sinn dieser Streifen
dunkel wird.
Wir können ferner bemerken, daß zuweilen an
Stelle der Streifen Schnüre treten oder daß in der
Rokokozeit Leitbänder aus zartfarbenem Seidenband
mit graziösen Schleifen an das Kleid geheftet w'erden.
Diese veränderte Form, welche nichts mehr von
dem Ursprung ahnen ließ, mag dazu beigetragen
haben, daß sich im 18. Jahrhundert, das ja in Bezug
auf historische Forschung überhaupt nicht kritisch

Z U D E N
I. MEISTERWERKE DER WAFFENSCHMIEDEKUNST.
Tafel VI.
Degen aus der Sammlung Dreger. (Siehe den Aufsatz
auf S. 199).
II. ALTE TRACHTEN. TAFEL VI.
Chormantel und Dalmatika des 18. Jahrhunderts.
Chormantel (rechts). Großes Muster, Kelche und Blätter in

war, die Vorstellung von einem Flügelkleide ver*
flüchtigte, oder daß sich zum mindesten daneben eine
unklare, poetische Übertragung herausbildete, in der
die Bezeichnung „Flügelkleid“ ganz allgemein für ein
kindliches, jugendliches Gewand gebraucht wurde.
Das geht deutlich aus der Art hervor, in welcher
Schriftsteller jener Zeit das Wort angewendet haben.
„Der Fürwitz und der Geist der Liebe
Fährt oftmals schon ins Flügelkleid“
heißt es bei Hagedorn im ersten Viertel des 18. Jahr*
hunderts. Oder bei Zacharias: „Kaum aus dem
Flügelkleid, spielt sie schon stolz die Dame.“
In dem bekannten Liede: „Als ich noch im Flügel*
kleide in die Mädchenschule ging“, das um 1790
entstanden ist, haben wir das Wort unzweifelhaft
als allgemeine poetische Bezeichnung aufzufassen,
denn ein Knabe, der schon in die Schule ging, pflegte
damals kein richtiges Flügelkleid mehr zu tragen.
Das Verschwinden des dem praktischen Gebrauch
dienenden Flügelkleides in den neunziger Jahren
des 18. Jahrhunderts hängt mit der kostümgeschicht*
liehen Entwicklung zusammen und hat ganz einfach
technische Gründe.
Bis zur französischen Revolution steckte man
Knaben und Mädchen, sobald sie den Windeln
entwachsen waren, in eine enge Schnürbrust mit
steifen Fischbeinstäben. Nur bei einer Kinderkleidung,
die, gestützt durch ein solches Gerüst, am Ober*
körper eng und fest anliegt, ist die Anwendung von
Gängelbändern, welche am Rücken des Kleides be*
festigt sind, überhaupt möglich.
Sobald das Kind ein loses, kittelartiges Kleidchen,
womöglich ohne Gürtel, trägt, würde man mit den
auf die eben beschriebene Weise befestigten Leit*
bändern beim Gebrauch das ganze Kleid hochziehen
und das Kind gar nicht zu halten vermögen. Eine
solche lose Kleidung wurde den Kindern aber durch
die um 1794—95 einsetzende Mode der griechischen
Tracht beschert, und damit war der praktische Ge*
brauch des Flügelkleides unmöglich geworden.

TAFELN
Goldbrokat, auf rotem Seidenatlas. Darin Auge Gottes, Schwert
und Wappen. Die eingestickten Buchstaben A. und T. deuten
den Wahrspruch an: amore et timore. Der Mantel gehört zu
einer Schenkung, die Kaiser Joseph I. gelegentlich seiner Krönung
dem Aachener Dom machte, bestehend aus: 4 Chormänteln,
4 Casein, 4 Dalmatiken nebst Zubehör in gleicher Ausführung.
Zu diesen gehört die links abgebildete Dalmatika.
(Aachener Dom )
 
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