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Verein für Historische Waffenkunde [Hrsg.]
Zeitschrift für historische Waffen- und Kostümkunde: Organ des Vereins für Historische Waffenkunde — 9.1921/​1922

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Heft 1
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Rose, Walther: Anna Komnena über die Bewaffnung der Kreuzfahrer
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https://doi.org/10.11588/diglit.44571#0015

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ZEITSCHRIFT FÜR HISTORISCHE WAFFEN; UND KOSTÜMKUNDE
BAND 9 20. JULI 1921 HEFT 1

ANNA KOMNENA
ÜBER DIE BEWAFFNUNG DER KREUZFAHRER
VON WALTHER ROSE

Die interessanten Ausführungen von Dr. ing.Theo«
dor Horwitz in seinem Aufsatze „Zur Entwicklungs«
geschichte der Armbrust“ (Z. H.W. K. 8,311 ff.) geben
die Veranlassung, einer Frage näher zu treten, die wohl
manchen Waffenhistoriker bereits beschäftigt haben
dürfte.
Zum Kapitel der Armbrust bemerkt nämlich
Boeheim in seinem „Handbuch der Waffenkunde1,
(Leipzig 1890, S. 402) u. a. folgendes:
„Die gelehrte Tochter des byzantinischen Kaisers Alexius,
Anna Komnena (1083—1148), erwähnt in ihrem Werke »Annae
Comnenae Alexiados XIX libri« bei der Beschreibung des
ersten Kreuzzuges einer neuen Art Bogen, die sie »Tzagrae«
nennt, mit den Worten: »Die Tzagra ist ein Bogen, den wir
nicht kannten.« — Es scheint daraus hervorzugehen, daß die
Armbrust, im Osten noch unbekannt, eine im weströmischen
Reiche erfundene und nur in Westeuropa bekannte und an«
gewendete Waffe gewesen ist.“
In ganz demselben Sinne heißt es auch in dem
Werke von Demmin: „Die Kriegswaffen“ (4. Aufl.,
Leipzig 1893, S. 99, vgl. auch S. 896):
„Die Armbrust, welche Rhodios in der Gastraphete der
Griechen wiederzuerkennen glaubt, und die den Römern nicht
unbekannt war, ja welche Ammianus Marcellinus (4. Jahrh
n. Chr.) selbst schon die Goten führen läßt, scheint erst wieder
Ende des 10. Jahrhunderts, aber nur anfänglich in Mitteleuropa,
aufgenommen worden zu sein. Wie hätten sonst der Prinzessin
Anna Komnena (1084—1148) diese Waffen unbekannt bleiben
können ? Die Prinzessin sagt wörtlich: »Eine Tzagra ist ein
Bogen, den wir nicht kannten etc.«“
Dagegen drückt sich Jähns in seinem „Handbuch
einer Geschichte des Kriegswesens von der Urzeit
bis zur Renaissance“ (Leipzig 1880, S. 760) folgender«
maßen aus:
„Die Armbrust, deren sich nach Jornandes und Ammianus
Marcellinus bereits die Goten bedienten, ist unzweifelhaft aus
der griechischen Gastraphete hervorgegangen. Indessen scheint
sie im oströmischen Reiche als Handwaffe außer Gebrauch ge«
kommen zu sein. Denn Anna Komnena (1083—1148), welche
sie als Waffe der Kreuzfahrer unter dem Namen »Tzagra«
beschreibt, erklärt sie für einen ihr unbekannten Bogen.“
Und ebenso des weiteren (S. 471, AnrnJ):
„Auffällig ist allerdings, daß Anna Komnena im Leben des
Alexius die Armbrust unter dem Namen »Tzagra« als eine

bis dahin unbekannte Waffe beschreibt, welche den
Menschen so plötzlich zu Boden strecke, daß er den Schuß
nicht einmal fühle.“
Wenn hiernach Boeheim und Demmin als sogen.
Beweis für die Unkenntnis der Byzantiner von der
Armbrust sich lediglich auf die obigen Worte
der Anna Komnena: „Die Tzagra ist ein Bogen,
den wir nicht kannten — “ beschränken, so dürfte
eine solche Schlußfolgerung eher eine bloße Be«
hauptung, als ein wirklicher Beweis dafür sein,
daß mit dieser Tzagra auch gerade die Armbrust
gemeint sei, zumal in dem genannten Zitate aus«
drücklich nur von einem „Bogen“ gesprochen wird.
Mit vollem Recht stellt daher auch gegenüber
d i e s e m Zitate Horwitz in seinem eingangs erwähnten
Aufsatze (S. 316, Anm. 4) die Frage auf: „Muß hiermit
sicher die Armbrust gemeint sein?“
Daß aber in der Tat unter der Tzagra die Arm«
brust zu verstehen ist, geht erst aus der von Boeheim
und Demmin nur mit einem “ bezw. „etc.“ an«
gedeuteten weiteren nähern Beschreibung der Anna
Komnena mit voller Deutlichkeit hervor, daher denn
auch die von Jähns gewählte Ausdrucksweise „der
Beschreibung der Armbrust als Waffe der
Kreuzfahrer unter dem Namen „Tzagra“ als
die richtigere erscheint.
Zum Verständnis der Persönlichkeit der Anna Korn«
nena und der Bedeutung ihres Werkes mögen vorweg
noch folgende kurze Angaben dienen: Anna Komnena,
Tochter des byzantinischen Kaisers Alexios I., ge«
boren 1. Dezember 1083, wurde nach einer gelehrten
Erziehung an den reichbegabten und ehrenhaften,
aber energielosen Nikephoros Bryennios vermählt,
den sie und ihre Mutter Irene bei dem Tode des
Alexios (1118) vergeblich aufzustacheln versuchten,
mit ihrem Bruder, dem Kaiser Johannes, um den Be«
sitz des Thrones zu kämpfen. Nach dem Tode ihres
Gemahls (1137) zog sie sich in ein Kloster zurück, wo
sie 1148 starb. Die von ihr unter dem Titel „Alexias“
verfaßte Geschichte ihres Vaters in den Jahren 1069
bis 1118 gehört zu den hervorragendsten historischen

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