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Verein für Historische Waffenkunde [Hrsg.]
Zeitschrift für historische Waffen- und Kostümkunde: Organ des Vereins für Historische Waffenkunde — 9.1921/​1922

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Heft 2
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Scheuer, O. F.: Das Waffentragen auf Deutschlands Hohen Schulen: Ein Beitrag zur deutschen Kulturgeschichte
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https://doi.org/10.11588/diglit.44571#0077

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HEFT 2 O. F. SCHEUER, DAS WAFFENTRAGEN AUF DEUTSCHLANDS HOHEN SCHULEN 59

die Naturdes Landes bestimmten die Vorliebe der aka*
demischen Jugend für die eine oder andere Art dieser
Übungen.WardaufdenitalienischenUniversitätendas
Ballspiel immer mit Leidenschaft getrieben, liebte der
Pariser Student nicht minder den Tanz, sind Schwim*
men und Rudern auch heute noch bevorzugte Ver*
gnügungen des englischen Studenten, so waren es
vorzüglich ritterliche Übungen, wie Fechten, Reiten,
Turnen, in denen von jeher der deutsche Student am
liebsten Erholung von den Studien suchte.1) Daher
konnte noch 1837 Rosenkranz den mit gewissen Eins
Schränkungen auch heute noch gültigen Ausspruch
tun: „In ganz Deutschland macht man sich vom
Studenten kein anderes Bild, als daß er zu fechten
verstehe. Das Rappier ist ein von ihm unabtrenns
bares Accessorium; ein eigener Zauber scheint in dem
gefährlichen Stahl zu ruhen, obwohl die Zeit längst
vorüber ist, wo der Student nie anders gingals mit dem
Degen an der Seite .. ,“2)
Das deutsche Studententumist seiner Organisation,
seiner Tracht und Sitte nach ursprünglich mit dem
öffentlichen und gesellschaftlichen Leben seiner Zeit
eng verwachsen gewesen. Der Geist der Zeit und des
Volkes hat auf die Gestaltung des akademischen Le*
bens immer mächtig eingewirkt. Wir dürfen daher den
deutschen Studenten mit all seinen Fehlern und Schwä*
chen nicht von der übrigen Welt getrennt betrachten.
Als die ersten Universitäten in Deutschland ge*
gründet wurden, stand das Rittertum 3) noch in voller
Blüte. Sein Einfluß auf den Sinn und die Neigungen
der studierenden Jugend äußerte sich nicht nur damals
in Gestaltung des ganzen Lebens auf Universitäten,
sondern blieb in ihr auch lebendig, nachdem mit
dem Mittelalter der Glanz des Rittertums verblaßt
war.'1) Nicht mit Unrecht sagt daher Ludwig Bech*
stein in seinen „Fahrten eines Musikanten“ (1857):
„Das deutsche Studentenleben war eine wichtige, be*
achtenswerte Zeiterscheinung,- auf welche die Nach*
weit einst blicken wird, wie auf ein zweites Mittelalter,
’) Seitz, F., Über die Pflege der Leibesübungen an den
deutschen Universitäten. München 1861. 7
2) Rosenkranz, K., Der Zweikampf auf unseren Universitäten.
Königsberg 1837. 10.
3) Die Ritterschaft hatte sich im Gegensatz zum Bürgertum
in den Städten und zu den Bauern zu einer einheitlichen Ge*
seilschaftsklasse mit eigenen Gesetzen und besonderen Begriffen
von Standesehre und Berufspflichten ausgebildet. Um aber
zu den Rittern gezählt zu werden, genügte es nicht, daß man
einem ritterlichen Geschlecht höherer oder niederer Ordnung
angehörte und ritterlichem Berufe nachging, es bedurfte viels
mehr, wie bei der alten germanischen Wehrhaftmachung auch
hier eines besonderen Aktes der Ritterweihe oder Schwertleite,
um den „Edelknecht“ oder „Edelknaben“ zum Ritter zu machen.
Das wesentliche dieses Aktes bestand in dem „Schwertnehmen“,

dessen Ritterlichkeit es ebenso zu bewahren suchte,
wie dessen Rohheiten . . .“
Die Ritterlichkeit! Die „Lust der Lieder und der
Waffen“ lag dem Bruder Studio seit jeher im Blute,
sie war in der Waffenfreudigkeit und dem krieger*
ischen Geist des deutschen Volkes selbst begründet.
Diese beiden Eigenschaften waren von großem Ein*
fluß auf die Wertschätzung der Stände und die Aus*
bildung der Standesehre/’) Für den Ritter war „ehr*
und wehrlos“ ein Begriff und ward es ebenso für den
Studenten. Seine bürgerliche Ehre war eben die
Waffenehre, und wer keine Waffen trug oder tragen
durfte, wem Waffen und ritterliches Gerät an sich
oder zur Strafe versagt waren, der war standeslos,
ehrlos in diesem Sinne.6)
Kein Wunder, wenn die Studenten, zumal ihnen
das Städterecht dasWaffentragen erlaubte, ihreWaffen
nicht nur gerne zur Schau trugen, sondern sich auch
sonst bestrebten, es den Rittern gleich zu tun: mit
der Klinge in der Hand sich und ihre Ehre selbst zu
verteidigen und ihr vermeintliches Recht sich selbst
zu verschaffen.7)
Doch wie alles im Leben seine Licht* und Schatten*
Seiten hat, so war es auch hier. Die Klinge saß den
Scholaren allzu locker in der Scheide. Und so machte
sich neben der Ritterlichkeit auch die Roheit geltend.
Auch hier muß aber wieder hervorgehoben werden,
daß der Student stets das Erzeugnis seiner Zeit war
und ist, nicht besser und nicht schlechter als sie. War
ja nach dem Aussterben des staufischen Hauses,
während dessen Regierungszeit das Rittertum den
Abschluß seiner Entwicklung gefunden hatte, eine
allgemeine politische Zerrüttung des Reiches einge*
treten, die auch die Rechtsbildung lähmte, welche in
wachsendem Maße auf die Lokalgewalten überging:
„Jede Landschaft, jedes weltliche oder geistliche
Herrschaftsgebiet, jeder Gerichtsbezirk, jede Stadt,
jeder Markt, jedes Dorf erzeugte ein eigenartiges
Recht.“8)
das heißt der feierlichen Anlegung des Schwertes am Ritter*
gurt, womit meistens ein kirchlicher Weiheakt verbunden war.
(Schröder, R., Lehrbuch der deutschen Rechtsgeschichte. 6. Aufl.
Leipzig 1919, 481).
4) Seitz a. a. O. 9.
5) Man unterschied damals den Wehrstand = Ritterschaft, den
Lehrstand — Geistlichkeit und den Nährstand = Bürger und
Bauer.
c) Meyer, H., Das deutsche Volkstum. II. Aufl. Leipzig 1912,1,44.
’) In den Kreisen des Rittertums hatte sich die Unsitte und
Auffassung ausgebildet, daß man nicht bloß in den Fällen der
Blutrache, sondern wegen jeder Verletzung zur Selbsthilfe greifen
und Fehde üben könne. (Brunner, H., Grundzüge der deutschen
Rechtsgeschichte. München. 7. Aufl. 1919, 174).
8) Gierke, O., Deutsches Privatrecht. Leipzig. 1895. I, 6.

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