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Verein für Historische Waffenkunde [Hrsg.]
Zeitschrift für historische Waffen- und Kostümkunde: Organ des Vereins für Historische Waffenkunde — 9.1921/​1922

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Heft 4
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Post, Paul: Eine mittelalterliche Geschützkammer mit Ladung im Berliner Zeughaus
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https://doi.org/10.11588/diglit.44571#0145

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HEFT 4 EINE MITTELALTERLICHE GESCHÜTZKAMMER MIT LADUNG IM BERLINER ZEUGHAUS

121

sehr schön gearbeitete Drehbasse von 2 m Länge und
5 cm Kaliber, die das kastilische Königswappen trägt,
außerdem eine Darstellung, die eine ungefähre Da*
tierung des Stücks ermöglicht. Es ist eine Erdkugel
mit Ekliptik, das Symbol des portugiesischen Königs
Emanuel des Großen, der 1495—1521 regierte. Der
Fundort istMajumba, eine Hafenstadt in französisch*
Kongo, wo sich noch heute eine portugiesische Faktorei
befindet. Das Geschütz stammt also augenscheinlich
von einem portugiesischen Kriegsschiff aus der Zeit
des genannten Königs. Leider fehlt die zugehörige
Kammer, aber die große Länge des Kammerrahmens
und seine im Verhältnis zum schwachen Kaliber des
Rohres große Breite gestatten Rückschlüsse auf die
Gestalt der Kammer, wonach es nicht ausgeschlossen
erscheint, daß sie auch zur Aufnahme der Kugel diente.
Trifft dies zu, so hätten wir mit einem verhältnismäßig
frühen Aufkommen der Patronenkammer zu rechnen.
Ein ganzer Komplex von Fragen ist bei der Be*
sprechung unseres Kammerfundes aufgetaucht. Wenn
nicht überall eine befriedigende Antwort gegeben
werden konnte, so hat doch die Untersuchung viel*
leicht auch da wenigstens zur Formulierung der
Probleme beitragen können. Folgendes ist etwa das
Ergebnis: Es gibt sowohl Kammerbüchsen, deren
Kammer nur zur Aufnahme von Pulverladung be*
stimmt ist, also Kartuschkammern, als auch
solche, deren Kammer auch die Kugel aufnahm,
Patronenkammern. Nach den erhaltenen Funden
zu urteilen, ist die erste Art die verbreitetere und
allem Anschein nach die ursprünglichere. Eine
Sondergattung der Kammerbüchse mit Kartusch*
kammer bildet der Kugelvorderlader, anscheinend
ein schwerkalibriges Belagerungsgeschütz, seit minde*
stens 1470 in Gebrauch. Die Patronenkammer, von der
Fronsperger berichtet, und die bisher an erhaltenen
Stücken nicht sicher nachweisbar ist, wurde anschei*
nend nur bei Lotbüchsen kleineren Kalibers und
vermutlich nur bei gegossenen Bronzegeschützen
angewandt. Wahrscheinlich handelt es sich hierbei
um eine im 15. Jahrhundert an der Handfeuerwaffe
entwickelte und von hier übernommene Errungen*
schäft der fortgeschrittenen Technik, die vielleicht
bereits um 1500 beim Geschütz Anwendung fand.
Zum Schluß können wir es uns nicht versagen, ob*
wohl nicht streng zum Thema gehörig, aus der vor*
her herangezogenen Teppichdarstellung noch einen
zweiten Ausschnitt vorzuführen, der ebenso anschau*
lieh wie dort das Laden, hier das Abfeuern einer

Kammerbüchse zeigt (Abb. 6). Während der eine Be*
dienungsmann den deckenden Schutzschirm lüftet,
um der Kugel freie Bahn zu geben, zieht der andere
mit zurückgebogenem Körper und gegen den Boden
gestemmten Füßen an einem angespannten Seil,
demselben anscheinend, das auf der anderen Dar*
Stellung (Abb. 2) am Boden liegt. Wir vermuten,
daß es um die Kammer geschlungen ist und beim


Abb. 6. Rechter Ausschnitt aus einem flandrischen Alexander*
Teppich von 1459 (Rom, Palazzo Doria)

Abfeuern festgehalten wird, „daß sie (die Kammer)
nicht hinter sich ausspringe“, wie es bei Fronsperger
an der zitierten Stelle heißt. Denn die hinter der
Kammer in den Boden eingetriebenen Holzkeile, die
sogen. „Preller“, die zum „Verspeideln“ dienten,
genügten anscheinend nicht, um den Rückstoß auf*
zuhalten. Die freie Hand hält sich der „Kanonier“
vors Gesicht, vermutlich um die Augen vor den Funken
der entzündeten Pulverladung zu schützen, die aus
der wohl recht mangelhaften Dichtung zwischen Rohr
und Kammer entweichen mochten.
 
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