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Verein für Historische Waffenkunde [Hrsg.]
Zeitschrift für historische Waffen- und Kostümkunde: Organ des Vereins für Historische Waffenkunde — 9.1921/​1922

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Heft 6/7
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Dihle, Helene: Herkunft und Entstehung des Flügelkleides
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https://doi.org/10.11588/diglit.44571#0246

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214

HELENE DIHLE: HERKUNFT UND ENTSTEHUNG DES FLÜGELKLEIDES

BAND 9

Bis etwa zum Anfang des 11. Jahrhunderts kannte
man an der westeuropäischen Tracht sowohl bei
Männern als auch bei Frauen nur den engen, bis
zum Handgelenk reichenden Ärmel ohne nennens«
werte Verzierung. Im 11. Jahrhundert, vereinzelt
schon früher, begann man, die Ärmel des Ober«
kleides vom Ellenbogen an stark zu erweitern, so
daß sie bis zum Knie oder länger herabhingen. Es


steifung, mit Edelsteinen und Stickereien überladen,
unbenutzt aus dem der spanischen Tracht eigentüm«
liehen Schulterwulst hervorwachsen. Porträts von
Velasquez, Franz Hals und van Dyck bieten uns
eine Fülle verschiedener Formen solcher spanischen
Schmuckärmel (Abb. 1).
Daneben hatte sich etwa im 15. Jahrhundert eine
Zierform herausgebildet, welche in ihrer Entwicklung
und ihrem Wandel für die charakteristischen Merk«

|


Abb. 1. D. Valesquez, Isabella v. Bourbon.
Sammlung C. H. Erhardt

Abb. 2. A. Dürer. Handzeichnung. Nürnbergerin.
1500. Albertina

sei dabei an das bekannte Bild der Superbia im Hortus
deliciarum erinnert, oder auch, hundert Jahre später,
an den Hohn Seifried Helblings im kleinen Lucidarius:
„Die Ärmel gar, — der Torheit Gipfel, —
Ihm hingen wie Kapuzenzipfel
Vom Ellenbogen tief hernieder —“
In den folgenden Jahrhunderten wuchsen sich diese
Ärmel zu immer mannigfaltigeren und groteskeren
Formen aus: mit Lappen und Zaddeln versehen
schleppten sie am Boden, als enge Schläuche mit
Schlupflöchern in Ellenbogenhöhe hingen sie herab,
pelzverbrämt oder mit Borte geziert. Die spanische
Mode am Ende des 16. Jahrhunderts raubte ihnen
das schlaffe Gezaddel, die weiche, nachschleppende
Fülle und ließ sie in pompöser, prunkvoller Ver«

male des späteren Flügelkleides bedeutsam ist. Man
begann nämlich, die langen, schlauchartigen Ärmel
von unten an bis zur Achsel aufzuschneiden, so
daß ihr ärmelartiger Charakter vollkommen verloren
ging und nur hängende Stoffstreifen übrig blieben.
Wir finden diese Form wiederholt auf Stichen Israels
von Meckenem, z. B. auf seiner Darstellung von
der Enthauptung Johannes des Täufers bei den beiden
Posaunenbläsern. Während der eine von ihnen die
Streifen nach vorn über die Arme gelegt hat, trägt
sie der andere auf dem Rücken verknotet. Auch
von Dürer gibt es aus dem Jahre 1500 die Zeich*
nung einer vornehmen, zum Tanz gehenden Nürn«
bergerin, welche ihre langen, mit Pelz gefütterten
Streifenärmel über den Arm geschlagen hat. (Abb. 2.)
 
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