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Zeitschrift für allgemeine Geschichte, Kultur-, Litteratur- und Kunstgeschichte — 3.1886

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Werner, Richard Maria: Frau Aja
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https://doi.org/10.11588/diglit.52691#0221

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Frau Aja. 211

auf einige Wochen hinaus leiden. Zeither bin ich völlig unleidlich
geweſen und habe mich wider den lieben Gott gewehrt wie ein
klein Kind, das nimmer weiß, was an der Zeit iſt. Geſtern aber
konnt' ich es nicht länger mit mir anſehen; da hab' ich mich ſelbſt
recht ausgeſcholten und zu mir geſagt: „Ei, ſchäm dich, alte Rätin!
Haſt gute Tage genug gehabt in der Welt und den Wolfgang
dazu, mußt, wenn die böſen kommen, nun auch fürlieb nehmen
und kein ſo übel Geſicht machen! Was ſoll das mit dir vorſtellen,
daß du ſo ungeduldig und garſtig biſt, wenn der liebe Gott dir
ein Kreuz auflegt! Willſt du denn immer auf Roſen gehen und
biſt übers Ziel, biſt über ſiebzig Jahre hinaus! Schauen's, ſo
hab' ich zu mir ſelbſt geſagt, und gleich iſt ein Nachlaß gekommen
und iſt beſſer geworden, weil ich ſelbſt nicht mehr ſo garſtig war.“

Als ſie fühlte, daß ihr Tod herannahe, ordnete ſie als gute
Hausfrau ihr Haus und ſorgte für alles genau, ſie beſtimmte für
ihr Leichenbegängnis die Weinſorte und die Größe der Bretzen,
womit die Begleiter erquickt werden ſollten, und ſchärfte den
Mägden ein, ja nicht zu wenig Roſinen in die Kuchen zu thun,
das habe ſie ihr Lebtag nicht leiden können, ſie würde ſich noch
im Grabe darüber ärgern. Von ihrem Bette aus hörte fie die
Stimme eines Tiſchlers, welcher ſich für die Anfertigung des
Sarges empfahl, worauf ſie bemerkte, es thue ihr leid, daß er
ſo ſpät komme, da ſie alles bereits angeordnet habe, doch ließ ſie
ihm zur Entſchädigung ein Geldgeſchenk reichen. Von ihrem
Neffen und Hausarzte, Dr. Melber, ließ ſie ſich genau ſagen, wie
viel Stunden ſie noch zu leben habe, und gab nicht eher nach,
als bis er die Wahrheit verkündete. Man hielt ihr Unwohlſein
für nicht ſo gefährlich und lud ſie am Morgen ihres Todestages
zu einer Geſellſchaft, da ſoll ſie wohlgemut haben antworlen
laſſen, die Frau Rat könne nicht kommen, denn ſie müſſe alleweile
ſterben. Gefaßt und ruhig erwartete ſie den Tod, welcher ſie um
die Mitternachtsſtunde des 13. Septembers 1808 von der ihr ſo
lieben Erde abrief. Sie hatte das 77. Lebensjahr überſchritten.

Goethe hat ſie tief betrauert, er wollte ihr eine Ariſteia
ſchreiben, doch kam er nicht dazu; aber im Götz von Berlichingen,
in Hermann und Dorothea, im Wilhelm Meiſter und in der Athene
ſeines herrlichen Fragmentes einer Achilleis hat er ihr Denkmale
geſtiftet. Nach ihrem Tode faßte er ihr Weſen in die Worte zu⸗
ſammen:

„Sie hatte Kopf und Herz zur That wie zum Gefühl.“
 
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