«erlag: Heidelberger Beobachter. Herattbgeder: Ott» De-el.
Lchriftleitung: Lutherftrabe Ski, Telephon 4048
«er Heidelberger Bedbachter erlcheint S mal wöchentlich und
tostet monatlich r.40 RM. Del Postbezug zuzüglich b« W».
Bestellungen nehmen die PostLmter und lgriestrSger entgegen.
Ist die Zeitung am Erscheinen (auch durch höhere Gewalt
oeihindert, besteht lein Anspruch »ui Entschädigung.
KsllWW Ser
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Zür Zreiheit und Brot!
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llllü Mulsni
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Nr. 136 /1. Jahrgang
Freitag, den 9. Oktober 1931
Freiverkauf 15 Pfg.
MzMUWstilMW M Mnillg
Ministerkandidaten, so zahlreich wie der Sand am Meer, aber
keiner will mitmachen — außer Treviranus!
4355000 Arbeitslose
Berlin, 8. Oktober. Der herbstliche An-
stieg der Arbeitslosen hat auch in diesem
Jahre in der zweiten Halste des Monats
September eine Abschwächung erfahren.
Nach den vorläufigen Meldungen der Ar-
beitsämter hat die Zahl der Arbeitslosen,
die in der vorhergehenden Berichtszeit um
109 000 gestiegen war, in der Zeit vom 15.
bis zum 30. September um 31 000 zugenom-
men und betrug am letzten Stichtag 4 Mil-
lionen 355 000. Die Zunahme seit dem tief-
sten Stand des Sommers beläuft sich damit
in diesem Jahre aus 401 000, übertrifft also
die Steigerung in der entsprechenden Zeit
des Vorjahres (369 000) nicht erheblich. Der
Ausgangspunkt liegt allerdings in diesem
Jahre um etwa 1,3 Millionen höher als im
Jahre 1930. In der Arbeitslosenversicherung
wurden a m30. September 1344 000, in der
Krisenfürsorge 1 140 000 Hauptunkerstüt-
zungsempfänger betreut, was gegenüber dem
letzten Stichtag eine Zunahme von je etwa
17 000, . bedeutet. — Nach der letzten
jetzt vorliegenden Statistik der Wohlfahrts-
erwerbslosen waren am 31. August rund
1131 000 arbeitslose Personen vorhanden,
die als Wohlfahrtserwerbslose von den Ar-
beitsämtern anerkannt und gezählt wurden.
Im gleichen Zeitpunkt war die Arbeitslosen-
versicherung mit rund 1 282 000, die Kri-
senfürsorge mit rund 1 095 000 Haupkunter-
stützunasempfängern belastet. Von der Ge-
samtzahl der Arbeitslosen bezogen am 31.
August dieses Jahres 16,8 v. H. keine Un-
terstützung.
Abwartende Haltung der SPD.
Berlin, 8. Oktober. In der Sitzung des
Vorstandes der sozialdemokratischen Reichs-
tagsfraktion am Donnerstag erstattete der
geschäftsführende Vorsitzende Dr. Breit-
scheid Bericht über die politische Lage. Es
wurde beschlossen, zunächst die Fraktion für
Montag 15 Uhr einzuberufen.
Die Sozialdemokraten nehmen naturge-
mäß eine abwartende Haltung ein, zumal
dis Besetzung der neuen Regierung Brüning
noch nicht feststeht.
MWW ÜW im Innen Uen
Japaner bombardieren chinesische Städte.
Am die stinkende
SPD-Leiche.
Die Absplitterungen in der Sozialdemokra-
tischen Partei werden vom sozialdemokratischen
Parteivorstand, wie wir erfahren, durchaus ernst
genommen, wenn auch die Parteiredner in öf-
fentlichen Versammlungen sich sehr zuversichtlich
gebärden. Die Auseinandersetzungen in den ein-
zelnen Ortsgruppen sind nun lebhaft im Gange
und haben bereits vielfach zu dem Antrag auf
sofortige Einberufung eines außerordentlichen
Reichsparteitages der Sozialdemokratischen Par-
tei Deutschlands geführt. Ob der Parkeivorstand
diesen Wünschen nach geben wird, ist sehr zwei-
felhaft. Jedenfalls wirb er sich zunächst damit
begnügen, den Parteiausschutz emzuberusen, der
dann die endgültige Entscheidung Über die Ein-
berufung eines außerordeytlichen Reichspartei-
kages zu treffen haben wird. Gegen die Ein-
berufung führt man besonders die hohen Kosten
ins Feld, die ein solcher Parteitag verursacht,
Klärung -zukommen lassen: Die Besprechungen
zwischen Ministerpräsident Laval, Finanzmini-
ster Flandin, Handelsminister Rollin und Außen-
minister Lord Reading haben Mittwoch begon-
nen und wurden im Ministerpräsidium am
Donnerstag fortgesetzt. Die Zusammenkunft
galt einem offenen MeinuWsaustausch über Sie
allgemeine Lage und die Maßnahmen, die am
geeignetsten erscheinen, eine Besserung der
augenblicklichen Lage herbeizuftihr-en. Laval
und Briand haben Loch Reading über das Er-
gebnis ihrer Berliner Reise unterrichtet. Der
Besuch Lavals in Washington war ebenfalls
Gegenstand eines Meinungsaustausches, wobei
sämtliche Beteiligten die Bedeutung der Reisse
anerkannten. Die Minister beider Länder wa-
ren sich darüber einig, daß ihre beiden Regie-
rungen in engster Fühlung miteinander bleiben
müßten, und daß die freundschaftliche Zusam-
menarbeit im Interesse des Weltfriedens und
wirtschaftlichen Wiederaufbaues fortgesetzt wer-
den solle.
und die in der jetzigen Notzeit nur sehr schwer
auszubringen sein würden. Inzwischen sind zahl-
reiche Vertrauensleute des Parteivorstandes in
Bewegung gesetzt worden, die das ganze Land
systematisch bereisen und beruhigend wirken sol-
len.- Der Parteivorstand wird in den Tagen bis
zum Zusammentritt des Reichstags Dauer-
sitzungen abhalten, also geradezu in Permanenz
tagen. Man nimmt an, daß in der nächsten
Woche ein Ueberblick darüber sich ergeben wird.
Wieviel bisherige sozialdemokratische Reichstags-
abgeordnete sich der neuen Sozialistischen Arbei-
terpartei Deutschlands angeschlossen haben wer-
den. Man glaubt in sozialdemokratischen Krei-
sen nicht, daß die Abgesplitkerten im Reichstag
die 15 Mitglieder, die für eine eigene Fraktion
erforderlich sind, erreichen werden. Die sozial-
demokratische Delegation auf der Tagung der
Interparlamentarischen Union in Bukarest ist von
den Ereignissen innerhalb der Sozialdemokra-
tischen Partei außerordentlich überrascht worden.
Auch der Führer der Delegation, Reichskaasprä-
stdent Lobe, der in Breslau organisiert ist, ist
von den Vorgängen, wie wir hören, durchaus
überrascht worden und hat sich entschlossen, seine
Auslandsreise früher als beabsichtigt war, ab-
zubrechen.
Berlin, 9. Oktober. Wie dl« „DAZ". mel-
det, wird der Reichskanzler am Freitag vormit-
tag u. a. Dr. Vögler, Dr. Silverberg und Dr.
Schmitz empfangen. Nach dem Blatt hat der
Reichskanzler nach dem Empfang beim Reichs-
präsidenten am Abend dem früheren Reichs-
wirkschaftsminisker und langjährigen Führer der
Deutschen Volkspartei, Dr. Scholz, die Ueber-
nahme des Reichsjustizministeriums angeboten.
Dr. Scholz habe noch keine endgültige Antwort
geben können. Er sehe wohl, so sagt die
„DAZ." weiter, als Ehrenvorsitzender der
Deutschen Volkspartei, keine Möglichkeit, in
dieser Frage ohne Stellungnahme seiner
Freunde zu handeln. Die Entscheidung werde
infolgedessen in der Freitagssitzung des engeren
Vorstandes der Deutschen Dolkspartei fallen.
Dem „Vorwärts" zufolge hat man am Don-
nerstag neben -Geßler und Bracht auch von
Treviranus und Karborsf als künftigen Innen-
ministern gesprochen. „Der Name Geßler er-
regte bei den Sozialdemokraten besonders unan-
genehmes Aufsehen, womit natürlich nicht ge-
sagt sein soll, daß einer von den drei anderen
erwünscht sei." Im Vordergrund sei Trevira-
nus für das Innere geblieben. Ob das zweite
Kabinett Brüning überhaupt aus die Beine
komme, sei noch die Frage. Von den 30 Volks-
parteilern sollen höchstens 3—8 noch für die
Regierung Brüning, stimmen wollen, die anderen
zählten sich schon zur „nationalen Opposition".
Falls Brüning nicht zustande komme, erwarte
man entweder eine Regierung Augenberg oder
ein Kabinett Luther, Geßler, Cuno, von Gayl.
Der „Vorwärts" spricht im übrigen von einem
Rückzüge Brünings vor der ganzen sozialen
Reaktion. „Der Tag" berichtet ebenfalls, baß
der Reichskanzler auch daran gedacht hat, Tre-
viranus zum Innenminister zu ernennen. Eine
Fühlungnahme mit der Sozialdemokratischen
Partei habe ergeben, daß die Sozialdemokra-
ten gegen einen Aeichsinnenministpr Treviranus
keinen Einspruch erheben werde. Wenn der
Kanzler mit dem Versuch der Kabinettsbildung
vor dem Reichstag oder im Reichstag scheitere,
müsse er zurücktreten und es müsse einer Re-
gierung der nationalen Opposition in die Wege
geleitet werden.
Scharfe Zurückweisung der japanischen
Beschwerden.
Schanghai, 8. Oktober. Die chinesische Ant-
wortnote an Japan wegen der in China ausge-
brochenen japanfeindlichen Bewegung wird am
Donnerstag dem japanischen Geschäftsträger in
Rang-King übermittelt werden. Die Note weist
alle japanischen Beschwerden scharf zurück und
erklärt, die Wiederherstellung des normalen
Verhältnisses zwischen Japan und China könne
nur erfolgen, wenn Japan seine Truppen aus
chinesischem Gebiet zurückberufe. Maßnahmen
gegen die jbpanseindliche Boy-Kottbewegung
könne die Nankingregierung beim besten Wil-
len nicht treffen.
Japanisches Flugzeugbombardemcnt der
mandschurischen Stadl Tschentschau.
London, 8. Oktober. Britischen Meldungen
aus Tokio zufolge haben neun japanische Flug-
zeuge das Bombardement der mandschurischen
Stadt Dschetschau begonnen, wo Dschanghsue-
liangs Anhänger eine vorläufige Regierung er-
richtet haben.
Amtliche Erklärung über die Besprechungen
Lavals mtt Reading.
Paris, 8. Oktober. Kurz vor 14 Uhr hat
Ministerpräsident Laval der Presse folgende Er-
Diktatur?
Es schien so, als ob über Nacht in der -Mil-
helmstraße wieder eine gewisse Beruhigung ein-
getreten wäre. Insbesondere erwartete der
Reichskanzler mit Ungeduld die neue Bot-
schaft Hoovers, sie noch heute eintressen
soll und die der Kanzler glaubt zur Festigung
seiner sehr ernsten Lage ausnutzen zu können.
Es heißt, daß Hoover gewisse Bedingungen
stellen werde, die die europäischen Länder zu
erfüllen hätten, wie z. B. folgende:
1. Engere französisch-deutsche Zusammen-
arbeit.
2. Französische Finanzhilfe für Deutsch-
land.
3. Deutschland gibt die Agitation gegen den
polnischen Korridor auf.
4. Deutschland gibt auch den Weiterbau der
Linienschiffe auf.
5. Deutschland unternimmt Schritte, um zu
verhindern, daß durch Stahlhelmparaden und
ähnliche Vorfälle die Stimmung in Europa sich
verschlechtert.
6. Amerikanische Kredite und Schuldennach-
lässe sollen davon abhängig gemacht werden, baß
das Geld produktiv angelegt wird und nicht für
Arbeitslosenunterstützung oder Rüstungen Ver-
wendung findet.
7. Die Zooversche Aktion soll die Einleitung
eines wirklichen Rüstungsfeierjahres sein.
Wenn Brüning allerdings glaubt, daß diese
Bedingungen, die eine einzige Demütigung
Deutschlands -bedeuten, die Lage der Reichsre-
rung erleichtern könnten, so täuscht er sich wie-
der einmal, wie schon so oft in den letzten
Monaten. Derartige schmachvolle Bedingungen
dürften den Widerstand der Nationalen Oppo-
sition noch mehr versteifen, wenn das überhaupt
noch möglich ist. Sie würden den Zustrom zur
nationalen Opposiikion höchstens noch steigern.
Die vorübergehende Erleichterung in der
Krisenstimmung hat nicht lange angehalten, denn
tatsächlich hat das gesamte Reichskabinett in-
zwischen demissioniert, nachdem der Kanzler
eingesehen hak, daß die Lage für ihn unhaltbar
geworden war. Die Liste des neuen Kabinetts
soll heute Abend dem Reichspräsidenten vorge-
ie-gk werden. Die Namen der Ministerkandida-
ken wiederzu-geben, hat keinen Zweck, sie inter-
essieren uns weniger. Wie wir schon gestern
sagten, muß bas System Brüning fallen, und
fällt der Mantel, muß der Herzog nach.
Wir sind der Ansicht, daß auch dieses neue
Kabinett alter Struktur schon in seiner Ge-
burksstunde dem Tode geweiht ist, denn einige
der Paten, die -das Kabinett Brüning I aus der
Taufe gehoben haben, fehlen diesmal allem An-
schein nach. So ist recht beachtenswert, was
die Nationalliberale Korrespondenz der Deut-
schen Volkspartei schreibt:
„Jetzt erhebt sich die Frage: Was nun? Man
rechnet damit, -daß Dr. Brüning wieder mit der
Kabinettsbildung betraut wird. Welche Wege
er einzuschlagen gesonnen ist, ist zur Stunde noch
nicht klar. Er hat den Vorschlag, der aus den
Kreisen der Deutschen Volksparkei kam, nach
englischem Muster eine Nakionalregierung auf
breitester Basis zu bilden, nicht ausgenommen.
Heute dürfte es dafür zu spät sein.
Wenn der Reichskanzler aber jetzt glauben
sollte, das bisherige Kabinett mit einigen Um-
besetzungen unter der bisherigen Politik des
guten Willens, ber Harken Opfer, aber des un-
entschlossenen Tempos weiterzuführen, so fürch-
ten wir, baß er auf die Unterstützung mancher
Parteien wird verzichten muffen, die ihm bisher
zur Seite standen. Dann wird die Fahrt einen
anderen Kurs nehmen als bisher, dann wird die
Zahl derjenigen wachsen, die der Meinung sind,
es müsse ein grundsätzlicher Wandel eintreten,
weil mit Halbheiten nicht mehr auszukommen
ist. Es wird auch schwer sein, neue Männer
für ein Kabinett zu gewinnen, die für Notver-
ordnungen eintreten sollen, an denen sie nicht
Mitwirken Konken. Die Entscheidung liegt aber
bei demjenigen Manne, der die neue Regie-
rungsbildung übrnehmen soll. Die Entscheidung
liegt aber auch bei den Parteien der sog. natio-
nalen Opposition, die am -Sonntag in Harzbur-g
zusammenkommen wollen. Abgeordneter Din-gel-
dey hat in seiner Rede in Schleswig davon ge-
sprochen, daß keine Mitarbeit abzulehnen ist.
Lchriftleitung: Lutherftrabe Ski, Telephon 4048
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Freitag, den 9. Oktober 1931
Freiverkauf 15 Pfg.
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Ministerkandidaten, so zahlreich wie der Sand am Meer, aber
keiner will mitmachen — außer Treviranus!
4355000 Arbeitslose
Berlin, 8. Oktober. Der herbstliche An-
stieg der Arbeitslosen hat auch in diesem
Jahre in der zweiten Halste des Monats
September eine Abschwächung erfahren.
Nach den vorläufigen Meldungen der Ar-
beitsämter hat die Zahl der Arbeitslosen,
die in der vorhergehenden Berichtszeit um
109 000 gestiegen war, in der Zeit vom 15.
bis zum 30. September um 31 000 zugenom-
men und betrug am letzten Stichtag 4 Mil-
lionen 355 000. Die Zunahme seit dem tief-
sten Stand des Sommers beläuft sich damit
in diesem Jahre aus 401 000, übertrifft also
die Steigerung in der entsprechenden Zeit
des Vorjahres (369 000) nicht erheblich. Der
Ausgangspunkt liegt allerdings in diesem
Jahre um etwa 1,3 Millionen höher als im
Jahre 1930. In der Arbeitslosenversicherung
wurden a m30. September 1344 000, in der
Krisenfürsorge 1 140 000 Hauptunkerstüt-
zungsempfänger betreut, was gegenüber dem
letzten Stichtag eine Zunahme von je etwa
17 000, . bedeutet. — Nach der letzten
jetzt vorliegenden Statistik der Wohlfahrts-
erwerbslosen waren am 31. August rund
1131 000 arbeitslose Personen vorhanden,
die als Wohlfahrtserwerbslose von den Ar-
beitsämtern anerkannt und gezählt wurden.
Im gleichen Zeitpunkt war die Arbeitslosen-
versicherung mit rund 1 282 000, die Kri-
senfürsorge mit rund 1 095 000 Haupkunter-
stützunasempfängern belastet. Von der Ge-
samtzahl der Arbeitslosen bezogen am 31.
August dieses Jahres 16,8 v. H. keine Un-
terstützung.
Abwartende Haltung der SPD.
Berlin, 8. Oktober. In der Sitzung des
Vorstandes der sozialdemokratischen Reichs-
tagsfraktion am Donnerstag erstattete der
geschäftsführende Vorsitzende Dr. Breit-
scheid Bericht über die politische Lage. Es
wurde beschlossen, zunächst die Fraktion für
Montag 15 Uhr einzuberufen.
Die Sozialdemokraten nehmen naturge-
mäß eine abwartende Haltung ein, zumal
dis Besetzung der neuen Regierung Brüning
noch nicht feststeht.
MWW ÜW im Innen Uen
Japaner bombardieren chinesische Städte.
Am die stinkende
SPD-Leiche.
Die Absplitterungen in der Sozialdemokra-
tischen Partei werden vom sozialdemokratischen
Parteivorstand, wie wir erfahren, durchaus ernst
genommen, wenn auch die Parteiredner in öf-
fentlichen Versammlungen sich sehr zuversichtlich
gebärden. Die Auseinandersetzungen in den ein-
zelnen Ortsgruppen sind nun lebhaft im Gange
und haben bereits vielfach zu dem Antrag auf
sofortige Einberufung eines außerordentlichen
Reichsparteitages der Sozialdemokratischen Par-
tei Deutschlands geführt. Ob der Parkeivorstand
diesen Wünschen nach geben wird, ist sehr zwei-
felhaft. Jedenfalls wirb er sich zunächst damit
begnügen, den Parteiausschutz emzuberusen, der
dann die endgültige Entscheidung Über die Ein-
berufung eines außerordeytlichen Reichspartei-
kages zu treffen haben wird. Gegen die Ein-
berufung führt man besonders die hohen Kosten
ins Feld, die ein solcher Parteitag verursacht,
Klärung -zukommen lassen: Die Besprechungen
zwischen Ministerpräsident Laval, Finanzmini-
ster Flandin, Handelsminister Rollin und Außen-
minister Lord Reading haben Mittwoch begon-
nen und wurden im Ministerpräsidium am
Donnerstag fortgesetzt. Die Zusammenkunft
galt einem offenen MeinuWsaustausch über Sie
allgemeine Lage und die Maßnahmen, die am
geeignetsten erscheinen, eine Besserung der
augenblicklichen Lage herbeizuftihr-en. Laval
und Briand haben Loch Reading über das Er-
gebnis ihrer Berliner Reise unterrichtet. Der
Besuch Lavals in Washington war ebenfalls
Gegenstand eines Meinungsaustausches, wobei
sämtliche Beteiligten die Bedeutung der Reisse
anerkannten. Die Minister beider Länder wa-
ren sich darüber einig, daß ihre beiden Regie-
rungen in engster Fühlung miteinander bleiben
müßten, und daß die freundschaftliche Zusam-
menarbeit im Interesse des Weltfriedens und
wirtschaftlichen Wiederaufbaues fortgesetzt wer-
den solle.
und die in der jetzigen Notzeit nur sehr schwer
auszubringen sein würden. Inzwischen sind zahl-
reiche Vertrauensleute des Parteivorstandes in
Bewegung gesetzt worden, die das ganze Land
systematisch bereisen und beruhigend wirken sol-
len.- Der Parteivorstand wird in den Tagen bis
zum Zusammentritt des Reichstags Dauer-
sitzungen abhalten, also geradezu in Permanenz
tagen. Man nimmt an, daß in der nächsten
Woche ein Ueberblick darüber sich ergeben wird.
Wieviel bisherige sozialdemokratische Reichstags-
abgeordnete sich der neuen Sozialistischen Arbei-
terpartei Deutschlands angeschlossen haben wer-
den. Man glaubt in sozialdemokratischen Krei-
sen nicht, daß die Abgesplitkerten im Reichstag
die 15 Mitglieder, die für eine eigene Fraktion
erforderlich sind, erreichen werden. Die sozial-
demokratische Delegation auf der Tagung der
Interparlamentarischen Union in Bukarest ist von
den Ereignissen innerhalb der Sozialdemokra-
tischen Partei außerordentlich überrascht worden.
Auch der Führer der Delegation, Reichskaasprä-
stdent Lobe, der in Breslau organisiert ist, ist
von den Vorgängen, wie wir hören, durchaus
überrascht worden und hat sich entschlossen, seine
Auslandsreise früher als beabsichtigt war, ab-
zubrechen.
Berlin, 9. Oktober. Wie dl« „DAZ". mel-
det, wird der Reichskanzler am Freitag vormit-
tag u. a. Dr. Vögler, Dr. Silverberg und Dr.
Schmitz empfangen. Nach dem Blatt hat der
Reichskanzler nach dem Empfang beim Reichs-
präsidenten am Abend dem früheren Reichs-
wirkschaftsminisker und langjährigen Führer der
Deutschen Volkspartei, Dr. Scholz, die Ueber-
nahme des Reichsjustizministeriums angeboten.
Dr. Scholz habe noch keine endgültige Antwort
geben können. Er sehe wohl, so sagt die
„DAZ." weiter, als Ehrenvorsitzender der
Deutschen Volkspartei, keine Möglichkeit, in
dieser Frage ohne Stellungnahme seiner
Freunde zu handeln. Die Entscheidung werde
infolgedessen in der Freitagssitzung des engeren
Vorstandes der Deutschen Dolkspartei fallen.
Dem „Vorwärts" zufolge hat man am Don-
nerstag neben -Geßler und Bracht auch von
Treviranus und Karborsf als künftigen Innen-
ministern gesprochen. „Der Name Geßler er-
regte bei den Sozialdemokraten besonders unan-
genehmes Aufsehen, womit natürlich nicht ge-
sagt sein soll, daß einer von den drei anderen
erwünscht sei." Im Vordergrund sei Trevira-
nus für das Innere geblieben. Ob das zweite
Kabinett Brüning überhaupt aus die Beine
komme, sei noch die Frage. Von den 30 Volks-
parteilern sollen höchstens 3—8 noch für die
Regierung Brüning, stimmen wollen, die anderen
zählten sich schon zur „nationalen Opposition".
Falls Brüning nicht zustande komme, erwarte
man entweder eine Regierung Augenberg oder
ein Kabinett Luther, Geßler, Cuno, von Gayl.
Der „Vorwärts" spricht im übrigen von einem
Rückzüge Brünings vor der ganzen sozialen
Reaktion. „Der Tag" berichtet ebenfalls, baß
der Reichskanzler auch daran gedacht hat, Tre-
viranus zum Innenminister zu ernennen. Eine
Fühlungnahme mit der Sozialdemokratischen
Partei habe ergeben, daß die Sozialdemokra-
ten gegen einen Aeichsinnenministpr Treviranus
keinen Einspruch erheben werde. Wenn der
Kanzler mit dem Versuch der Kabinettsbildung
vor dem Reichstag oder im Reichstag scheitere,
müsse er zurücktreten und es müsse einer Re-
gierung der nationalen Opposition in die Wege
geleitet werden.
Scharfe Zurückweisung der japanischen
Beschwerden.
Schanghai, 8. Oktober. Die chinesische Ant-
wortnote an Japan wegen der in China ausge-
brochenen japanfeindlichen Bewegung wird am
Donnerstag dem japanischen Geschäftsträger in
Rang-King übermittelt werden. Die Note weist
alle japanischen Beschwerden scharf zurück und
erklärt, die Wiederherstellung des normalen
Verhältnisses zwischen Japan und China könne
nur erfolgen, wenn Japan seine Truppen aus
chinesischem Gebiet zurückberufe. Maßnahmen
gegen die jbpanseindliche Boy-Kottbewegung
könne die Nankingregierung beim besten Wil-
len nicht treffen.
Japanisches Flugzeugbombardemcnt der
mandschurischen Stadl Tschentschau.
London, 8. Oktober. Britischen Meldungen
aus Tokio zufolge haben neun japanische Flug-
zeuge das Bombardement der mandschurischen
Stadt Dschetschau begonnen, wo Dschanghsue-
liangs Anhänger eine vorläufige Regierung er-
richtet haben.
Amtliche Erklärung über die Besprechungen
Lavals mtt Reading.
Paris, 8. Oktober. Kurz vor 14 Uhr hat
Ministerpräsident Laval der Presse folgende Er-
Diktatur?
Es schien so, als ob über Nacht in der -Mil-
helmstraße wieder eine gewisse Beruhigung ein-
getreten wäre. Insbesondere erwartete der
Reichskanzler mit Ungeduld die neue Bot-
schaft Hoovers, sie noch heute eintressen
soll und die der Kanzler glaubt zur Festigung
seiner sehr ernsten Lage ausnutzen zu können.
Es heißt, daß Hoover gewisse Bedingungen
stellen werde, die die europäischen Länder zu
erfüllen hätten, wie z. B. folgende:
1. Engere französisch-deutsche Zusammen-
arbeit.
2. Französische Finanzhilfe für Deutsch-
land.
3. Deutschland gibt die Agitation gegen den
polnischen Korridor auf.
4. Deutschland gibt auch den Weiterbau der
Linienschiffe auf.
5. Deutschland unternimmt Schritte, um zu
verhindern, daß durch Stahlhelmparaden und
ähnliche Vorfälle die Stimmung in Europa sich
verschlechtert.
6. Amerikanische Kredite und Schuldennach-
lässe sollen davon abhängig gemacht werden, baß
das Geld produktiv angelegt wird und nicht für
Arbeitslosenunterstützung oder Rüstungen Ver-
wendung findet.
7. Die Zooversche Aktion soll die Einleitung
eines wirklichen Rüstungsfeierjahres sein.
Wenn Brüning allerdings glaubt, daß diese
Bedingungen, die eine einzige Demütigung
Deutschlands -bedeuten, die Lage der Reichsre-
rung erleichtern könnten, so täuscht er sich wie-
der einmal, wie schon so oft in den letzten
Monaten. Derartige schmachvolle Bedingungen
dürften den Widerstand der Nationalen Oppo-
sition noch mehr versteifen, wenn das überhaupt
noch möglich ist. Sie würden den Zustrom zur
nationalen Opposiikion höchstens noch steigern.
Die vorübergehende Erleichterung in der
Krisenstimmung hat nicht lange angehalten, denn
tatsächlich hat das gesamte Reichskabinett in-
zwischen demissioniert, nachdem der Kanzler
eingesehen hak, daß die Lage für ihn unhaltbar
geworden war. Die Liste des neuen Kabinetts
soll heute Abend dem Reichspräsidenten vorge-
ie-gk werden. Die Namen der Ministerkandida-
ken wiederzu-geben, hat keinen Zweck, sie inter-
essieren uns weniger. Wie wir schon gestern
sagten, muß bas System Brüning fallen, und
fällt der Mantel, muß der Herzog nach.
Wir sind der Ansicht, daß auch dieses neue
Kabinett alter Struktur schon in seiner Ge-
burksstunde dem Tode geweiht ist, denn einige
der Paten, die -das Kabinett Brüning I aus der
Taufe gehoben haben, fehlen diesmal allem An-
schein nach. So ist recht beachtenswert, was
die Nationalliberale Korrespondenz der Deut-
schen Volkspartei schreibt:
„Jetzt erhebt sich die Frage: Was nun? Man
rechnet damit, -daß Dr. Brüning wieder mit der
Kabinettsbildung betraut wird. Welche Wege
er einzuschlagen gesonnen ist, ist zur Stunde noch
nicht klar. Er hat den Vorschlag, der aus den
Kreisen der Deutschen Volksparkei kam, nach
englischem Muster eine Nakionalregierung auf
breitester Basis zu bilden, nicht ausgenommen.
Heute dürfte es dafür zu spät sein.
Wenn der Reichskanzler aber jetzt glauben
sollte, das bisherige Kabinett mit einigen Um-
besetzungen unter der bisherigen Politik des
guten Willens, ber Harken Opfer, aber des un-
entschlossenen Tempos weiterzuführen, so fürch-
ten wir, baß er auf die Unterstützung mancher
Parteien wird verzichten muffen, die ihm bisher
zur Seite standen. Dann wird die Fahrt einen
anderen Kurs nehmen als bisher, dann wird die
Zahl derjenigen wachsen, die der Meinung sind,
es müsse ein grundsätzlicher Wandel eintreten,
weil mit Halbheiten nicht mehr auszukommen
ist. Es wird auch schwer sein, neue Männer
für ein Kabinett zu gewinnen, die für Notver-
ordnungen eintreten sollen, an denen sie nicht
Mitwirken Konken. Die Entscheidung liegt aber
bei demjenigen Manne, der die neue Regie-
rungsbildung übrnehmen soll. Die Entscheidung
liegt aber auch bei den Parteien der sog. natio-
nalen Opposition, die am -Sonntag in Harzbur-g
zusammenkommen wollen. Abgeordneter Din-gel-
dey hat in seiner Rede in Schleswig davon ge-
sprochen, daß keine Mitarbeit abzulehnen ist.