t. Iahrg. / Nr. ^00
Mittwoch, -en 23. Dezember 1931
Seite 7
MArrRrdM'r im bririeiM
9/^7 L//?c/ 6s^s^/f§e/?s//6/? §//?c/ c/ssse/ibs/
Die gewerkschastsfeinvttche SPD
Die Gewerkschaften werden von der SPD
nur als Politischer Stoßtrupp mißbraucht!
„Partei und Gewerkschaften sind
eins!" Wie oft ist dieser Satz schon in
die Oeffentlichneit posaunt worden, und
wie oft hat er sich, was die ideelle Ei-
nigkeit angeht, als Seifenblase erwie-
sen! Es verdient dabei festgehalten zu
werden, daß sehr oft die Partei, fast nie
die Gewerkschaften sich dieser Phrase be-
dienen, die sich dadurch als Schlagwort,
als Mikkel zur Propaganda entpuppt.
So sehr wild scheinen uns die Gewerk-
schaften gar nicht darnach zu sein, die
Einigkeit mit der Sozialdemokratie zu
betonen, haben sie doch mit ihr schon
recht trübe Erfahrungen gemacht! Nur
in Zeiten, wo es der irrtümlich immer
noch als Arbeiterpartei angesehenen
SPD. anfängt, dreckig zu gehen, stellen
sich die Gewerkschaften in mißverstande-
ner Solidarität an ihre Seite und bekräf-
tigen den Satz" „Partei und Gewerk-
schaften sind eins!" zum Beispiel mit
Hergabe einer Million für den Wahl-
kampf . . Es darf dabei ja nicht ver-
gessen werden, daß sich -er Mitglieder-
bestand bei beiden, Partei und Gewerk-
schaften, bisher weitgehend deckte, wäh-
rend neuerdings die Partei immer mehr
an Boden verliert.
Unter der Führung Legiens wäre
eine solche Abhängigkeit der „freien"
Gewerkschaften von der Sozialdemokra-
tie, wie wir sie heute erleben, nie mög-
lich gewesen! Regelrechte Kämpfe hat
dieser Arbeiterführer gegen die Bonzo-
kratie austragen müssen, in denen er
selbst das Zentralorgan der Partei, -en
„Vorwärts", in gehässigster Weise gegen
sich antreten sah. Leider ist eine dieser
Auseinandersetzungen, die im Kriege er-
folgte, gegen die welkerschütternden Ent-
scheidungen auf den Schlachtfeldern in
der Öffentlichkeit so gut wie nicht be-
achtet worden. Es ist deshalb unseres
Erachtens von Wert, diese Borgänge ge-
rade in der heutigen Zeit einer erstaun-
ten Öffentlichkeit aufzuzeigen. Der Le-
ser möge dann selbst entscheiden, ob er
sich unserer Ansicht anschließen solle, daß
die SPD. sich der Gewerkschaften offen-
bar immer nur als Lockmittel für die So-
zialdemokratie bedient habe, daß die
SPD. im Grunde genommen dem Ge-
werkschaftsgedanken feindlich gesinnt sei.
Wir stützen uns bei der Darstellung
jener Vorgänge auf den in den Gewerk-
schaften sowohl als auch in der Partei
wohlbekannten Paul Umbreit, damals
Redakteur des „Eorrespondenzblatt der
Generalkommission der Gewerkschaften
Deutschlands", der in seinem Buche
„Die deutschen Gewerkschaften im Welt-
kriege" (Berlin 1917, Verlag für Sozial-
wissenschaft G. m. b. H.), Kapitel 11, be-
titelt „Der Parteistreit und die Gewerk-
schaften" darüber berichtet.
Er geht aus von der Erklärung der
Reichstagsfraktion am 4. August 1914,
in der betont wurde, daß die Kriegskre-
dite bewilligt würden, weil für unser
Volk und seine freiheitliche Zukunft viel,
wenn nicht alles auf dem Spiele stände.
Umbreit fährt fort:
„Selbst der „Vorwärts" war am 13.
August 1914 der Auffassung, daß Bebel,
weit entfernt von bürgerlicher Friedens-
schwärmerei, gleich Marx und Engels
die Ueberzeugung vertreten hätte, daß die
völlige nationale Selbständigkeit und
Freiheit, die Beseitigung jeglicher natio-
nalen Fremdherrschaft, die unbedingte
Sicherung des eigenen Landes vor jeder
fremden Invasion eines fremden Er-
oberers die Grundbedingung für die un-
gestörte Entwicklung der Arbeiterbewe-
gung sei. ».Z:'
Die Dinge entwickelten sich nun fol-
gendermaßen: Bei der zweiten Kredit-
bewilligung, am 2. Dez. 1914, stimmte
Liebknecht als einziger gegen die Kredite,
worauf der anständig denkende Legten
seinen Ausschluß aus der Fraktion ver-
geblich (!) forderte- Umbreit nun weiter:
„Unterdes hatte auch der „Vorwärts"
nach mehreren Verboten, die er sich durch
redaktionelle Ungeschicklichkeiten zuge-
zogen, immer offener die Politik des
Mißvergnügens vertreten, ohne sich in-
des gegen die Kreditbewilligung zu er-
klären. Er hatte die feindlichen Kriegs-
greuel und Mißhandlungen von Ver-
wundeten und Gefangenen entschuldigt
und deutsche Entgleisungen einzelner Per-
sonen oder einzelner Zeitungen verall-
gemeinert (er ist sich also bis heute treu
geblieben! Der Verfasser); er unterrich-
tete die Leser auch nur höchst mangelhaft
über das wirkliche Verhalten der sozia-
listischen Parteien und Gewerkschaften
des Auslandes (ganz wie heute! Der
Verf.) und ließ Angriffe ausländischer
Genoffen auf die deutsche Partei und
Gewerkschaften unerwidert, wodurch der
Eindruck erweckt wurde, als seien die
darin enthaltenen Vorwürfe zutreffend."
Das schreibt ein alter Gewerkschaft-
ler und Sozialdemokrat; aber es kommt
noch besser:
3m März 1915 hatte der Reichstag
über den Haushalt zu beraten. Die
SPD.-Fraktion beschloß mit 77 gegen
23 Stimmen die Bewilligung. Die Op-
ponenten verließen bei der Abstimmung
den Sitzungssaal, und im Juni 1915 for-
derte die „Leipziger Volkszeitung" zur
Abkehr von der Politik des 4. August
auf. Die Dolchstoßgesellschaft sammelte
sich . . . Da einen oppositionellen Auf-
ruf auch 20 Gewerkschaftsführer unter-
zeichnet hatten, nahm die am 5. 3uli 1915
tagende Konferenz der Verbandsvor-
stände dazu Stellung in einer Meise, die
die deutsche Gewerkschaften zum ersten-
male für die Politik des 4. August fest-
legte. Als der „Vorwärts", der zügel-
los gegen die Gewerkschaften hehle, zu
üppig wurde, unternahm es das „Corre-
spondenzblatt der Generalkommission der
Gewerkschaften Deutschlands", aus zahl-
reichen Zitaten einen fortwährenden
Wandel seiner Politik während des
Krieges nachzuweisen:
„Wie auf einem Karussel die Melk
im Kreise herumwirbelt und alle Him-
melsrichtungen fortwährend miteinander
vertauscht erscheinen, so nimmt sich die
proletarisch-sozialistische Politik in der
Aufmachung des „Vorwärts" aus. Nun
kann man es zwar gewiß auch für durch-
aus verdienstlich halten, wenn das Zen-
tralorgan einer großen Partei seine Le-
ser nach und nach mit allen Gesichtspunk-
ten und Betrachtungsweisen vertraut
macht. Nur will uns bedünken, daß sich
für ein solches Blatt der Name „Vor-
wärts" wenig eignet. Zutreffender schon
würde die Richtung mit dem Namen
„Rundherum" bezeichnet."
Diesem Urteile eines Mistenden aus
dem 3ahre 1915 ist auch für unsere Zeit
wohl nichts hinzuzufügen!
Kurz darauf bekam Hilferding eins
aufs Dach, als ihn dasselbe Gewerk-
schaftsblatt in Abwehr eines Artikels
im „Vorwärts" darauf hinwies, daß er
seine Kritik über die Haltung der deut-
schen Gewerkschaften an die Sozialisten
Belgiens, Frankreichs und Englands rich-
ten müsse, „die die Gemeinsamkeit der
Interessen der Arbeiterklasse mit den
herrschenden Schichten durch Eintritt in
die Regierung bekräftigt hätten, oder
an gewisse russische Parteitheorekiker,
die dem russischen Proletariat begreiflich
zu machen suchten, daß seine Interesten
in diesem Weltkriege mit denen des Za-
rismus identisch seien"
Anfang 1916 forderten die Gewerk-
schaften den Ausschluß aller Disziplinbre-
cher, denn „ohne Disziplin sei kein Ge-
meinschaftswirken möglich", ein Satz,
den wir nur unterschreiben können, den
aber die Partei sich nicht zu eigen machte.
Zu sehr waren dort schon die Unkermi-
nierer der deutschen Front am Merke!
Das Zentralorgan der freien Gewerk-
schaften stellte noch einmal ausdrücklich
fest:
„Die Politik des 4. August 1914 ent-
spricht den vitalsten Gewerkschaftsinter-
essen. Sie sichert die Fernhaltung jeder
feindlichen Invasion, sie schützt uns vor
der Zerstückelung deutschen Gebietes und
vor der Vernichtung blühender deutscher
Wirtschaftszweige, sie schützt uns vor
dem Schicksal eines unglücklichen Kriegs-
abschlusses, der uns auf Jahrzehnte hin-
aus mit Kriegsentschädigungen belasten
würde..."
Wie richtig die Gewerkschaftsführung
die Lage beurteilte und wie falsch die
Partei, das lehrt uns die heutige Zeit
nur zu aufdringlich. Daß die Partei trotz
dieser ernsten Warnung den entgegen-
gesetzten Weg beschritt, das aufzuklären
dürfte Sache eines späteren deutschen
Gerichtshofes sein. Jedenfalls war da-
durch ein offener Kriegszustand entstan-
Kive BerWllllvvg der Heidelberger NSW.
Die Nationalsozialistische Betriebszellen Or-
ganisation Heidelberg, die sich in letzter Zeit
immer mehr entwickelt, hatte am letzten Diens-
tag zu einer Mitgliederversammlung in bie
„Stadt Bergheim" eingeladen. Nach einleiten-
den Worten des Betriehszellenleikers Pg. Stadt-
rat Pahl, ö«r darauf hinwies, daß di« Bildungs-
arbeit zu einer Aufgabe der Betriebszellen ge-
höre, ergriff Pg. Prof. Ganter das Mort zu dem
Thema: Zntellsbkueller und Arbeikerkum.
Zn allgemein verständlicher Art verstand er
es den Begriff intellektuell zu erläutern und
führte bann ungefähr folgendes aus:
Es gebe genau so wie es Gute und Böse gibt
zwei Schichten intellektueller. Die eine die sich
mehr der Einbildung hinqebe geistige Führer zu
sein, welche aber die Brücken zum Volk aus
dem sie selbst kamen längst abgebrochen haben.
Für sie habe nur ein Gesetz Gültigkeit das lau-
tet: Mas nützt mir. Verbunden damit sei
gleichzeitig ein oftmals übertriebenes Geltungs-
bedürfnis nach außen hin etwas zu sein was an
innerem Wert nicht vorhanden sei. An prak-
tischen Beispielen zeigte der Redner, daß beson-
ders in den heute herrschenden Schichten von
intellektuellen, dies« schlechten Eigenschaften
vorherrschend seien, immer mehr müsse man
feststellen, daß die Volksverbundenheit fehle, die
nötig sei um den Staat zu retten. Volk als Ge-
samtheit sei der tiefste innere Werk eines Staa-
tes. Deshalb müßten wir uns auf dem Stand-
punkt der Auslese von unten und nicht von oben
stellen. Die guten Kräfte im deutschen Arbeiker-
lum müssen die Möglichkeit haben sich nach oben
zu entwickeln und durchzusehen. So nur fei es
möglich, daß auf dieser gesunden Auslese Füh-
rer entstehen, die unser Vaterland in Zukunft
führen können. Der Staat sei nicht dazu da,
einer Schicht degenerierter Menschen Lebens-
möglichkeiten zu schaffen, so schreibe Adolf
Hitler in seinem Werk „Mein Kampf". Macht
Luch frei vom intellektuellen Dünkel, so müsse
man heut« hinausrufen. Vor dem einzelnen
steht die Gesamtheit.
Der Abend war ein voller Erfolg unserer ,
noch jungen BekriebSzellenorganisation.
den, in welchem beiderseitig schwerste-
Geschütz aufgefahren wurde. Der „Vor-
wärts" erklärte die Politik des 4. August
1914 nun auf einmal für einen Wirbel-
sturm sich überstürzender Ereignisse ge-
faßten Zufallsbeschluß (wir glauben mehr
an Angst! Der Verf.), der in einer ganz
besonderen Lage und ohne Befragung
der großen Maste der Parteigenossen
gefaßt worden wäre. Diese verräterische
Auslastung der Zentralorgans der SPD.
zeitigte eine scharfe Entgegnung des Ge-
werkschaftsblattes, die in folgenden Sät-
zen gipfelte:
„Mit dem „Vorwärts" darüber zu
streiten, ob das Festhalten der Gewerk-
schaften an der Politik des 4. August
1914 richtig oder ein Eingriff in das
Selbstbestimmungsrecht der Partei sei,
erscheine zwecklos, da er nicht legitimiert
sei, namens der Partei Erklärungen ab-
zugeben."
„Der Parteiwagen sei aber den Ge-
werkschaften nicht gleichgültig, denn er
berge auch gewerkschaftliches Gut, das
diese der Partei anvertraut hätten . . ."
„Den Geist der Partei, von dem im
„Vorwärts" niemals etwas zu bemer-
ken war, halten sie für etwas Selbstver-
ständliches - . ."
„Es hat zu allen Zeiten schrullenhafte
Leute gegeben, Warum soll das wäh-
rend des Krieges anders sein?"
„Die Sorge des „Vorwärts" sollte
sich darauf beschränken, daß er auf dem
Boden der sehr verantwortungsvollen
Wirklichkeit bleibe, und daß er nicht
durch seine desorganisatorischen Tenden-
zen der Arbeiterschaft Deutschlands die
Aktionskraft nehme..."
Jeder einzelne dieser Sähe mußte wie
ein Schlag ins Gesicht des „Vorwärts"
wie auch der SPD. wirken. Ihm wird
die Legitimation abgesprochen, obwohl
er sie von parteiwegen besitzt; von Geist
sei bei ihm niemals etwas zu bemerken;
„schrullenhafte Leute", und zuletzt der
ungeheure Vorwurf, daß er, das Zen-
tralorgan der Sozialdemokratischen Par-
tei Deutschlands, der Arbeiterschaft
Deutschlands die Aktionskraft nehme...
Hier etwas hinzufügen hieße die Wir-
kung vorstehender Worte nur abschwä-
chen! Es bleibt nur festzustellen, daß sich
— zum Schaden der deutschen Arbeiter!
— auch in diesem Punkte „Vorwärts"
und SPD. treugeblieben sind!
Me Auseinandersetzungen wurden
immer schärfer; immer mehr zeigte der
„Vorwärts", daß es ihm nicht so sehr
auf das Wohl der Arbeiter, vertreten
durch die Gewerkschaften, ankam, als
auf ganz andere Ziele, Ziele, die in einer
Richtung lagen, die dem Wohle des ge-
samten deutschen Volkes abträglich
waren.
Diese Ziele wurden offenbar auch
von den Gewerkschaften erkannt, denn
wie zur Bekräftigung ihrer Ansichten
und wie zur Warnung an die, die es an-
ging, gaben sie 1916 ein Flugblatt her-
aus, das in großer Auflage im Heere ver-
breitet wurde, und in dem es hieß:
„Das Volk, das vor dem Zarismus
und seinen Verbündeten die Selbsterhal-
tung preisgibt, hat in der Zukunft des
Sozialismus seinen entscheidenden Ein-
fluß verloren . . ."
Aber es war wohl schon zu spät. Als
Rußland 1917 niedergerungen war, als
damit „der Hort des Antisemitismus"
verschwand, wie ihn die SPD. immer
nannte, schien diese plötzlich das Interesse
an einer glücklichen Beendigung des
Krieges im Interesse der deutschen Arbei-
terschaft verloren zu haben. Was ging
sie auch der Sozialismus an! So endete
der letzte große Kampf der Gewerkschaf-
ten gegen Parteisonderziele mit dem
Zusammenbruch im November 1918,
und mit dem Tode Carl Legiens der Wi-
derstand der Gewerkschaften gegen die
Parteipolitik überhaupt. Seitdem sind
„Partei und Gewerkschaften wirklich
eins", unter -er Fuchtel -er Partei!
Kari Mathow.
Mittwoch, -en 23. Dezember 1931
Seite 7
MArrRrdM'r im bririeiM
9/^7 L//?c/ 6s^s^/f§e/?s//6/? §//?c/ c/ssse/ibs/
Die gewerkschastsfeinvttche SPD
Die Gewerkschaften werden von der SPD
nur als Politischer Stoßtrupp mißbraucht!
„Partei und Gewerkschaften sind
eins!" Wie oft ist dieser Satz schon in
die Oeffentlichneit posaunt worden, und
wie oft hat er sich, was die ideelle Ei-
nigkeit angeht, als Seifenblase erwie-
sen! Es verdient dabei festgehalten zu
werden, daß sehr oft die Partei, fast nie
die Gewerkschaften sich dieser Phrase be-
dienen, die sich dadurch als Schlagwort,
als Mikkel zur Propaganda entpuppt.
So sehr wild scheinen uns die Gewerk-
schaften gar nicht darnach zu sein, die
Einigkeit mit der Sozialdemokratie zu
betonen, haben sie doch mit ihr schon
recht trübe Erfahrungen gemacht! Nur
in Zeiten, wo es der irrtümlich immer
noch als Arbeiterpartei angesehenen
SPD. anfängt, dreckig zu gehen, stellen
sich die Gewerkschaften in mißverstande-
ner Solidarität an ihre Seite und bekräf-
tigen den Satz" „Partei und Gewerk-
schaften sind eins!" zum Beispiel mit
Hergabe einer Million für den Wahl-
kampf . . Es darf dabei ja nicht ver-
gessen werden, daß sich -er Mitglieder-
bestand bei beiden, Partei und Gewerk-
schaften, bisher weitgehend deckte, wäh-
rend neuerdings die Partei immer mehr
an Boden verliert.
Unter der Führung Legiens wäre
eine solche Abhängigkeit der „freien"
Gewerkschaften von der Sozialdemokra-
tie, wie wir sie heute erleben, nie mög-
lich gewesen! Regelrechte Kämpfe hat
dieser Arbeiterführer gegen die Bonzo-
kratie austragen müssen, in denen er
selbst das Zentralorgan der Partei, -en
„Vorwärts", in gehässigster Weise gegen
sich antreten sah. Leider ist eine dieser
Auseinandersetzungen, die im Kriege er-
folgte, gegen die welkerschütternden Ent-
scheidungen auf den Schlachtfeldern in
der Öffentlichkeit so gut wie nicht be-
achtet worden. Es ist deshalb unseres
Erachtens von Wert, diese Borgänge ge-
rade in der heutigen Zeit einer erstaun-
ten Öffentlichkeit aufzuzeigen. Der Le-
ser möge dann selbst entscheiden, ob er
sich unserer Ansicht anschließen solle, daß
die SPD. sich der Gewerkschaften offen-
bar immer nur als Lockmittel für die So-
zialdemokratie bedient habe, daß die
SPD. im Grunde genommen dem Ge-
werkschaftsgedanken feindlich gesinnt sei.
Wir stützen uns bei der Darstellung
jener Vorgänge auf den in den Gewerk-
schaften sowohl als auch in der Partei
wohlbekannten Paul Umbreit, damals
Redakteur des „Eorrespondenzblatt der
Generalkommission der Gewerkschaften
Deutschlands", der in seinem Buche
„Die deutschen Gewerkschaften im Welt-
kriege" (Berlin 1917, Verlag für Sozial-
wissenschaft G. m. b. H.), Kapitel 11, be-
titelt „Der Parteistreit und die Gewerk-
schaften" darüber berichtet.
Er geht aus von der Erklärung der
Reichstagsfraktion am 4. August 1914,
in der betont wurde, daß die Kriegskre-
dite bewilligt würden, weil für unser
Volk und seine freiheitliche Zukunft viel,
wenn nicht alles auf dem Spiele stände.
Umbreit fährt fort:
„Selbst der „Vorwärts" war am 13.
August 1914 der Auffassung, daß Bebel,
weit entfernt von bürgerlicher Friedens-
schwärmerei, gleich Marx und Engels
die Ueberzeugung vertreten hätte, daß die
völlige nationale Selbständigkeit und
Freiheit, die Beseitigung jeglicher natio-
nalen Fremdherrschaft, die unbedingte
Sicherung des eigenen Landes vor jeder
fremden Invasion eines fremden Er-
oberers die Grundbedingung für die un-
gestörte Entwicklung der Arbeiterbewe-
gung sei. ».Z:'
Die Dinge entwickelten sich nun fol-
gendermaßen: Bei der zweiten Kredit-
bewilligung, am 2. Dez. 1914, stimmte
Liebknecht als einziger gegen die Kredite,
worauf der anständig denkende Legten
seinen Ausschluß aus der Fraktion ver-
geblich (!) forderte- Umbreit nun weiter:
„Unterdes hatte auch der „Vorwärts"
nach mehreren Verboten, die er sich durch
redaktionelle Ungeschicklichkeiten zuge-
zogen, immer offener die Politik des
Mißvergnügens vertreten, ohne sich in-
des gegen die Kreditbewilligung zu er-
klären. Er hatte die feindlichen Kriegs-
greuel und Mißhandlungen von Ver-
wundeten und Gefangenen entschuldigt
und deutsche Entgleisungen einzelner Per-
sonen oder einzelner Zeitungen verall-
gemeinert (er ist sich also bis heute treu
geblieben! Der Verfasser); er unterrich-
tete die Leser auch nur höchst mangelhaft
über das wirkliche Verhalten der sozia-
listischen Parteien und Gewerkschaften
des Auslandes (ganz wie heute! Der
Verf.) und ließ Angriffe ausländischer
Genoffen auf die deutsche Partei und
Gewerkschaften unerwidert, wodurch der
Eindruck erweckt wurde, als seien die
darin enthaltenen Vorwürfe zutreffend."
Das schreibt ein alter Gewerkschaft-
ler und Sozialdemokrat; aber es kommt
noch besser:
3m März 1915 hatte der Reichstag
über den Haushalt zu beraten. Die
SPD.-Fraktion beschloß mit 77 gegen
23 Stimmen die Bewilligung. Die Op-
ponenten verließen bei der Abstimmung
den Sitzungssaal, und im Juni 1915 for-
derte die „Leipziger Volkszeitung" zur
Abkehr von der Politik des 4. August
auf. Die Dolchstoßgesellschaft sammelte
sich . . . Da einen oppositionellen Auf-
ruf auch 20 Gewerkschaftsführer unter-
zeichnet hatten, nahm die am 5. 3uli 1915
tagende Konferenz der Verbandsvor-
stände dazu Stellung in einer Meise, die
die deutsche Gewerkschaften zum ersten-
male für die Politik des 4. August fest-
legte. Als der „Vorwärts", der zügel-
los gegen die Gewerkschaften hehle, zu
üppig wurde, unternahm es das „Corre-
spondenzblatt der Generalkommission der
Gewerkschaften Deutschlands", aus zahl-
reichen Zitaten einen fortwährenden
Wandel seiner Politik während des
Krieges nachzuweisen:
„Wie auf einem Karussel die Melk
im Kreise herumwirbelt und alle Him-
melsrichtungen fortwährend miteinander
vertauscht erscheinen, so nimmt sich die
proletarisch-sozialistische Politik in der
Aufmachung des „Vorwärts" aus. Nun
kann man es zwar gewiß auch für durch-
aus verdienstlich halten, wenn das Zen-
tralorgan einer großen Partei seine Le-
ser nach und nach mit allen Gesichtspunk-
ten und Betrachtungsweisen vertraut
macht. Nur will uns bedünken, daß sich
für ein solches Blatt der Name „Vor-
wärts" wenig eignet. Zutreffender schon
würde die Richtung mit dem Namen
„Rundherum" bezeichnet."
Diesem Urteile eines Mistenden aus
dem 3ahre 1915 ist auch für unsere Zeit
wohl nichts hinzuzufügen!
Kurz darauf bekam Hilferding eins
aufs Dach, als ihn dasselbe Gewerk-
schaftsblatt in Abwehr eines Artikels
im „Vorwärts" darauf hinwies, daß er
seine Kritik über die Haltung der deut-
schen Gewerkschaften an die Sozialisten
Belgiens, Frankreichs und Englands rich-
ten müsse, „die die Gemeinsamkeit der
Interessen der Arbeiterklasse mit den
herrschenden Schichten durch Eintritt in
die Regierung bekräftigt hätten, oder
an gewisse russische Parteitheorekiker,
die dem russischen Proletariat begreiflich
zu machen suchten, daß seine Interesten
in diesem Weltkriege mit denen des Za-
rismus identisch seien"
Anfang 1916 forderten die Gewerk-
schaften den Ausschluß aller Disziplinbre-
cher, denn „ohne Disziplin sei kein Ge-
meinschaftswirken möglich", ein Satz,
den wir nur unterschreiben können, den
aber die Partei sich nicht zu eigen machte.
Zu sehr waren dort schon die Unkermi-
nierer der deutschen Front am Merke!
Das Zentralorgan der freien Gewerk-
schaften stellte noch einmal ausdrücklich
fest:
„Die Politik des 4. August 1914 ent-
spricht den vitalsten Gewerkschaftsinter-
essen. Sie sichert die Fernhaltung jeder
feindlichen Invasion, sie schützt uns vor
der Zerstückelung deutschen Gebietes und
vor der Vernichtung blühender deutscher
Wirtschaftszweige, sie schützt uns vor
dem Schicksal eines unglücklichen Kriegs-
abschlusses, der uns auf Jahrzehnte hin-
aus mit Kriegsentschädigungen belasten
würde..."
Wie richtig die Gewerkschaftsführung
die Lage beurteilte und wie falsch die
Partei, das lehrt uns die heutige Zeit
nur zu aufdringlich. Daß die Partei trotz
dieser ernsten Warnung den entgegen-
gesetzten Weg beschritt, das aufzuklären
dürfte Sache eines späteren deutschen
Gerichtshofes sein. Jedenfalls war da-
durch ein offener Kriegszustand entstan-
Kive BerWllllvvg der Heidelberger NSW.
Die Nationalsozialistische Betriebszellen Or-
ganisation Heidelberg, die sich in letzter Zeit
immer mehr entwickelt, hatte am letzten Diens-
tag zu einer Mitgliederversammlung in bie
„Stadt Bergheim" eingeladen. Nach einleiten-
den Worten des Betriehszellenleikers Pg. Stadt-
rat Pahl, ö«r darauf hinwies, daß di« Bildungs-
arbeit zu einer Aufgabe der Betriebszellen ge-
höre, ergriff Pg. Prof. Ganter das Mort zu dem
Thema: Zntellsbkueller und Arbeikerkum.
Zn allgemein verständlicher Art verstand er
es den Begriff intellektuell zu erläutern und
führte bann ungefähr folgendes aus:
Es gebe genau so wie es Gute und Böse gibt
zwei Schichten intellektueller. Die eine die sich
mehr der Einbildung hinqebe geistige Führer zu
sein, welche aber die Brücken zum Volk aus
dem sie selbst kamen längst abgebrochen haben.
Für sie habe nur ein Gesetz Gültigkeit das lau-
tet: Mas nützt mir. Verbunden damit sei
gleichzeitig ein oftmals übertriebenes Geltungs-
bedürfnis nach außen hin etwas zu sein was an
innerem Wert nicht vorhanden sei. An prak-
tischen Beispielen zeigte der Redner, daß beson-
ders in den heute herrschenden Schichten von
intellektuellen, dies« schlechten Eigenschaften
vorherrschend seien, immer mehr müsse man
feststellen, daß die Volksverbundenheit fehle, die
nötig sei um den Staat zu retten. Volk als Ge-
samtheit sei der tiefste innere Werk eines Staa-
tes. Deshalb müßten wir uns auf dem Stand-
punkt der Auslese von unten und nicht von oben
stellen. Die guten Kräfte im deutschen Arbeiker-
lum müssen die Möglichkeit haben sich nach oben
zu entwickeln und durchzusehen. So nur fei es
möglich, daß auf dieser gesunden Auslese Füh-
rer entstehen, die unser Vaterland in Zukunft
führen können. Der Staat sei nicht dazu da,
einer Schicht degenerierter Menschen Lebens-
möglichkeiten zu schaffen, so schreibe Adolf
Hitler in seinem Werk „Mein Kampf". Macht
Luch frei vom intellektuellen Dünkel, so müsse
man heut« hinausrufen. Vor dem einzelnen
steht die Gesamtheit.
Der Abend war ein voller Erfolg unserer ,
noch jungen BekriebSzellenorganisation.
den, in welchem beiderseitig schwerste-
Geschütz aufgefahren wurde. Der „Vor-
wärts" erklärte die Politik des 4. August
1914 nun auf einmal für einen Wirbel-
sturm sich überstürzender Ereignisse ge-
faßten Zufallsbeschluß (wir glauben mehr
an Angst! Der Verf.), der in einer ganz
besonderen Lage und ohne Befragung
der großen Maste der Parteigenossen
gefaßt worden wäre. Diese verräterische
Auslastung der Zentralorgans der SPD.
zeitigte eine scharfe Entgegnung des Ge-
werkschaftsblattes, die in folgenden Sät-
zen gipfelte:
„Mit dem „Vorwärts" darüber zu
streiten, ob das Festhalten der Gewerk-
schaften an der Politik des 4. August
1914 richtig oder ein Eingriff in das
Selbstbestimmungsrecht der Partei sei,
erscheine zwecklos, da er nicht legitimiert
sei, namens der Partei Erklärungen ab-
zugeben."
„Der Parteiwagen sei aber den Ge-
werkschaften nicht gleichgültig, denn er
berge auch gewerkschaftliches Gut, das
diese der Partei anvertraut hätten . . ."
„Den Geist der Partei, von dem im
„Vorwärts" niemals etwas zu bemer-
ken war, halten sie für etwas Selbstver-
ständliches - . ."
„Es hat zu allen Zeiten schrullenhafte
Leute gegeben, Warum soll das wäh-
rend des Krieges anders sein?"
„Die Sorge des „Vorwärts" sollte
sich darauf beschränken, daß er auf dem
Boden der sehr verantwortungsvollen
Wirklichkeit bleibe, und daß er nicht
durch seine desorganisatorischen Tenden-
zen der Arbeiterschaft Deutschlands die
Aktionskraft nehme..."
Jeder einzelne dieser Sähe mußte wie
ein Schlag ins Gesicht des „Vorwärts"
wie auch der SPD. wirken. Ihm wird
die Legitimation abgesprochen, obwohl
er sie von parteiwegen besitzt; von Geist
sei bei ihm niemals etwas zu bemerken;
„schrullenhafte Leute", und zuletzt der
ungeheure Vorwurf, daß er, das Zen-
tralorgan der Sozialdemokratischen Par-
tei Deutschlands, der Arbeiterschaft
Deutschlands die Aktionskraft nehme...
Hier etwas hinzufügen hieße die Wir-
kung vorstehender Worte nur abschwä-
chen! Es bleibt nur festzustellen, daß sich
— zum Schaden der deutschen Arbeiter!
— auch in diesem Punkte „Vorwärts"
und SPD. treugeblieben sind!
Me Auseinandersetzungen wurden
immer schärfer; immer mehr zeigte der
„Vorwärts", daß es ihm nicht so sehr
auf das Wohl der Arbeiter, vertreten
durch die Gewerkschaften, ankam, als
auf ganz andere Ziele, Ziele, die in einer
Richtung lagen, die dem Wohle des ge-
samten deutschen Volkes abträglich
waren.
Diese Ziele wurden offenbar auch
von den Gewerkschaften erkannt, denn
wie zur Bekräftigung ihrer Ansichten
und wie zur Warnung an die, die es an-
ging, gaben sie 1916 ein Flugblatt her-
aus, das in großer Auflage im Heere ver-
breitet wurde, und in dem es hieß:
„Das Volk, das vor dem Zarismus
und seinen Verbündeten die Selbsterhal-
tung preisgibt, hat in der Zukunft des
Sozialismus seinen entscheidenden Ein-
fluß verloren . . ."
Aber es war wohl schon zu spät. Als
Rußland 1917 niedergerungen war, als
damit „der Hort des Antisemitismus"
verschwand, wie ihn die SPD. immer
nannte, schien diese plötzlich das Interesse
an einer glücklichen Beendigung des
Krieges im Interesse der deutschen Arbei-
terschaft verloren zu haben. Was ging
sie auch der Sozialismus an! So endete
der letzte große Kampf der Gewerkschaf-
ten gegen Parteisonderziele mit dem
Zusammenbruch im November 1918,
und mit dem Tode Carl Legiens der Wi-
derstand der Gewerkschaften gegen die
Parteipolitik überhaupt. Seitdem sind
„Partei und Gewerkschaften wirklich
eins", unter -er Fuchtel -er Partei!
Kari Mathow.