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Innendekoration: mein Heim, mein Stolz ; die gesamte Wohnungskunst in Bild und Wort — 32.1921

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Michel, Wilhelm: Zur geistesgeschichtlichen Wertung des neuen Kunstgewerbes
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https://doi.org/10.11588/diglit.10457#0291

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INNEN-DEKORATION

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ARCHITEKT HUGO GORGE IN WIEN BLICK IN EIN SCHLAFZIMMER. AUSF: R. LORENZ

Von da an durchläuft die kunstgewerbliche Entwick-
lung ihren Weg in engerer Fühlung mit den anderen
Künsten. Sie macht die verschiedenen kleinen Rück-
schläge mit, die gegen den Naturalismus erfolgten. Sie
prägt die vorübergehende Verliebtheit in den Bieder-
meier-Stil aus, sie wird mit den Prä-Rafaeliten und den
Parnassiern vorübergehend eklektisch und historisch.
Daß dies alles keine Durchbrechung der naturalistischen
Gesamthaltung bedeutet, beweist dann immer wieder
das Antworten auf die neuen Reizungen von natura-
listischer Seite. Der Expressionismus — der wie ge-
sagt nur eine weitere Abwandlung der allgemeinen
naturalistischen Einstellung ist, gewissermaßen ihre ver-
dampftere Anwendung — wirkt sich aus im Kunst-
gewerbe und in der Architektur; das gleiche gilt für den
Kubismus. Freilich stoßen sich diese Auswirkungen zum
Teil empfindlich an Hemmungen aus dem Bereich der
Konstruktion, des Materials und der Zwecke. Aber es
ist doch sehr bezeichnend, wie etwa Bruno Taut, Poelzig

1921. JX. 2.

und Gleichstrebende die formsprengenden, kosmischen,
apokalyptischen Tendenzen des Expressionismus im bau-
lichen Bereich auszuwirken streben. Da bricht Natur in
ihrer chaotischen Erscheinungsform von unten herauf und
strömt alles Geistig-Kristallinische der Baukunst hinweg.
Der Zusammenhang des Bauwerks mit dem Kosmischen
ist zwar in allen künstlerischen Hoch-Zeiten vorhanden,
aber doch in einer Weise, die das kristallische, form-
strenge, eigenlebige Wesen des Bauwerks keineswegs
beeinträchtigt. Bei Taut wird dieser Zusammenhang in
dionysischer, unmittelbarer Weise hergestellt; das Bau-
werk erscheint hoffnungslos verschlungen im Schwall
der chaotischen, naturhaften Dinge, genau wie das eigent-
liche naturalistische Gemälde ein unsicherer Ausschnitt
aus dem Brauen und Wogen des Naturganzen ist.

Dies also dürfte einstweilen zur Frage der geistes-
geschichtlichen Einreihung der neuen Nutzkunst fest-
stehen: Sie ist die Anwendung des naturalistischen
Prinzips auch auf diesem Gebiet, sie vervollständigt den
 
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