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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 11.1913

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Heft 1
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Barlach, Ernst: Eine Steppenfahrt
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https://doi.org/10.11588/diglit.4713#0022

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Lichtseide rauschend durch die Himmelsräume.
Die wenigen Wolken blenden herab und das
zufliessende Blau des Himmels zerschmilzt an
ihren Rändern. Drei Falken schwanken nicht
weit voneinander über der Ebene und streben
gegen den Wind vorwärts. Kunstvoll steuern
sie, last ohne Flügelschlag, langsam voran. Aber
ein Fehlerchen im Richten und Winkeln gegen
den Strom reisst sie augenblicklich um Meter
zurück. Wie ein Mühlrad Wasser greifen ihre
Schwungfedern die fliessende Luft, brechen
ihre Wirkungsrichtung und machen klug das
Schieben zum Ziehen. Sie lavieren wohl ein-
mal allzuscharf und überschlagen sich dann, ein
Blinken von WTeiss und Braun, drei- oder vier-
mal. Aber das Schosskind des Windes fühlt
sich schnell ins rechte Wiegen zurück und
schwankt nur bei stärkerem Drängen der Luft
oder wenn ihr voller Atem einmal stockt.
Was einer etwa hinter sich lässt, zerstiebt

gespenst mit Familienschirm, Mordszylinder und wie weisser Gischt im blauen Meer.

Vatermörder. EineGcisterkutsche inderhellenSonne Die Wolken sind rechte „Himmelserschei-

mit ängstlich zugeknüpften Seitenwänden, als reisten nungen". Sie sind da, weiss und rund, aus der

lichtscheue Verdammte ihren täglichen Weg, in tief- Atmosphäre geboren, in Herden oder einzeln ver-

ster Verborgenheit vor Menschenaugen. Als hinge streut, ohne Ankündigung oder Vorbereitung.

ihre Erlösung vom Llngesehenbleiben ab und von Von balkenförmigen ein ganzes Floss im Osten.

der Schnelle des Ortwechsels, so geisterhaft eilfertig Es schwimmt auf einer mittleren Luftschicht und

spukt der alte Kasten vorüber, kaum, dass man sein wir von unten sehen es, wo es auf ihr lastet, als

Auge auf die Gesamtheit seiner Erscheinung

eingestellt hat, ist er schon heran und vorbei.

Man thut einen tiefen Atemzug als hätte Luft

aus begrabenen Zeiten geweht, als wäre man

einen Augenblick an den Dunstkreis jener alten

Frauen und Männer getreten, deren Bilder uns

aus der Jugendzeit gegenwärtig sind. Die im

Munde unserer Eltern lebten durch Erzählungen,

bei denen es eine Qual war, die halberloschenen

Blätter des Familienalbums mit Geschichten, wie

sie das Leben schon vor langen Zeiten in die

Welt setzte, in Beziehung zu bringen. Die

fangen nun an mitten auf der russischen Steppe

aus der Erinnerung hervorzutanzen. Schatten-
bilder einer über andereZeiten spottenden Sonne.
Dieser Tag schafft ein Rauschgefühl durch

den Gnadenüberschuss seiner Wetterwunder.

Die Erde geniesst eine stille Seligkeit und die

beiden Himmelsgewaltigen, Sturmwind und

Blendsonne, überlassen sich einem gegenseitigen

Überbieten.

In die Falten des Sonnenmantels gehüllt fährt

der Sturm übers Land und zieht die gebauschte

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